Es ist nicht leicht, einen langen Artikel über ein Ereignis zu schreiben, bei dem sich stündlich die Meldungen überschlagen. Ich will es dennoch versuchen, auch wenn sich während des Schreibens bereits der Sieg des Volkes über die Staatsmacht andeutet. Daher bitte ich eventuelle logische Brüche zu entschuldigen. Den Artikel begann ich gestern, als die heute sich abzeichnende Erosion der Staatsmacht zwar zu ahnen, aber noch nicht sichtbar war. Da ich noch einem Beruf nachgehe, bitte ich vorab, eventuelle Ungenauigkeiten zu entschuldigen. Der Artikel entstand, während ich nebenbei die Ereignisse zu verfolgen versuchte.
Der Artikel ist denen gewidmet, die es mit ihrem Widerstand schaffen, die knüppelnden Sicherheitskräfte im ganzen Land zu zermürben und sich nicht brechen zu lassen.
1. Präsidentschaftswahl und Abstimmung auf der Straße
1.1. Unsichtbar Im Nebel von Europa
1.2. Großer Vaterländischer Krieg, Chernobyl und Kurapaty
2.1 Bilder eines Volksaufstandes
2.2. Was bezweckt das unkontrollierte Wüten der Sicherheitskräfte?
3. Geopolitische Einflüsse
3.1. Die Vagner-Posse
3.2. Russisch-Belarusische Union
3.3. Warnschuß auch für das System Putin
4.1 Ein autobiographischer Ausflug in die eigene Vergangenheit
4.2. Väterlicher Staat bei Immanuel Kant
4.3. Väterchen Lukashenko
4.4. Ein Virus als Nebukadnezar
4.5. Eine Hausfrau tritt an
4.6. Ukrainisches Szenario in und für Belarus?
4.7. Militärisches Eingreifen oder Volksrepubliken
5. Reaktionen in Deutschland und die Zukunft in Belarus
1. Präsidentschaftswahl und Abstimmung auf der Straße
Es sah alles nach Normalität aus. Tagelang ging das Volk bis zum 9. August zur Wahl, es wurde eine Wahlbeteiligung von 84,17% verkündet und der Amtsinhaber Alexander Lukashenko erhielt 80,08% der Stimmen. Wie immer wurde die Wahl als unfrei eingestuft und diplomatisch ging alles seinen gewohnten Gang. Putin gratulierte, Kim Jong Un und am Montag erreichten Lukashenko Glückwünsche von Xi Jinping. Europa war besorgt und überlegte, ob man vielleicht nicht doch wirkungslose Sanktionen beschließen könnte, während die OMON Munition aus Tschechien auf Menschen verschoß. Für einen Strategen wie Lukashenko kein Problem. Zwei oder drei Monate würden Sanktionen dauern, bis die EU ihn doch wieder braucht.
Dann sprach das Volk.
Die Frage, ob Lukashenko Präsident bleiben kann oder nicht, wurde weder im Kreml, noch im Weißen Haus getroffen. Weder der CIA, noch der FSB hatte die Finger drin. Der Aufstand kam zu spontan, er entwickelte sich innerhalb des Landes derartig rasant - kein Drehbuch dieser Welt hätte es besser schreiben können als die Menschen in Belarus. Denen es kaum einer zugetraut hatte.
Der berühmte Grafiker Vladimir Tsesler veröffentlichte auf seiner Facebookseite unter der Überschrift "Neustart" eine neue Grafik: Loading 97%. Die von Lukashenko eingeführte Flagge von Belarus ist kaum noch zu sehen, die traditionellen weiß-rot-weißen Farben von Belarus sind nahezu komplett hochgeladen. Tseslers am 13. August um 1 Uhr hochgeladene Grafik verdeutlicht die aktuelle Situation.
1.1. Unsichtbar Im Nebel von Europa
Belarus ist für viele Deutsche lediglich als letzte Diktatur Europas oder wird als strategisch notwendiger Vorhof Russlands definiert. Kaum einer weiß etwas von dem Land und den Menschen. Daher empfehle ich den Artikel "Im Nebel" von Ingo Petz, der am 22. Juli 2020 im Eurozine erschien und der ausführlich die Stimmung im Land Belarus beschreibt sowie die Gründe für die lange Präsidentschaft von Lukashenko erläutert.
Offensichtlich ist etwas faul in Lukashenkas „Staat für das Volk“. Nicht wie
bisher vor allem Minsk, sondern auch die Provinz, die gemeinhin als Hochburg
Lukaschenkas gilt, hat sich gegen den Landesfürsten gewendet.
Ingo Petz, Im Nebel
Ich werde angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Belarus darauf verzichten, den historischen Aspekt ausführlicher zu erläutern und verweise auf den verlinkten Artikel, dessen Hauptaspekte ich ohnehin nur wiederholen könnte. Daher beschränke ich mich nur auf wesentliche Aspekte, die mir wichtig erscheinen
1.2. Großer Vaterländischer Krieg, Chernobyl und Kurapaty
Drei Ereignisse des letzten Jahrhunderts prägen Belarus bis heute. Während des 2. Weltkrieges kam ein Viertel der Bevölkerung auf dem heutigen Gebiet Belarus gewaltsam ums Leben. Stellvertretend dafür steht der in der Sowjetunion mythologisierte Kampf um die Brester Festung, um die bereits 1939 gekämpft wurde. Die Erinnerung an diese Schlacht, die etwas über einen Monat andauerte, lebt bis heute und ist ein zentraler Teil der Erinnerung für weite Teile der belarusischen Gesellschaft.
Der Reaktorunfall von Chernobyl 1986 verseuchte hauptsächlich das Gebiet des heutigen Belarus. Im 10km von Homel entfernten Vetka beginnt am Ortsende die Sperrzone des verseuchten Gebietes. Der Versuch, mittels Liquidatoren die Schäden des Reaktorunfalls zu bekämpfen und der Versuch, den Unfall geheimzuhalten, zerstörte das Vertrauen vieler Menschen in Belarus in das Sowjetsystem.
1988 fanden Ausgrabungen im Wald von Kurapaty am Stadtrand von Minsk statt. Die Untersuchungskommission kam Anfang 1989 zum Schluß, auf einer Fläche von etwa 30 Hektar befänden sich 510 vermutete Grabstätten und schätzte die Zahl der Opfer auf mindestens 30000 Personen. Der belarusische Historiker Zianon Pazniak nannte in einem Interview im Sommer 1989 mit 250000 eine weitaus höhere Zahl. Nach Ausgrabungen kam die Generalstaatsanwaltschaft 1998 auf eine Zahl von etwa 7000. Diese Untersuchung fand aber schon zur Amtszeit von Lukashenko statt und dürfte politisch motiviert sein. Seit 1994 setzte Lukashenko auf sowjetische Symbole und hatte wenig Interesse an den Morden des NKWD zwischen 1937 und 1941.
1988 kam man zum Ergebnis, alle Opfer waren Zivilisten, die sich auf eine lange Reise vorbereitet hatten und ihre Häuser nicht lange vor ihrem Tod verlassen haben können. Das läßt den Rückschluß zu, die Opfer wurden ohne Gerichtsverfahren und nicht nach einer längeren Lagerhaft erschossen. Der Zeitraum von vier Jahren läßt die Deutung zu, ein Teil der Menschen fiel dem Großen Terror 1937/38 zum Opfer, der andere Teil wird nach dem Molotov-Ribbentrop-Pakt ermordet worden sein, nachdem Teile des östlichen Polens in die Belarussische SSR eingegliedert wurden. Erst 1990 erkannten die sowjetischen Behörden die Verantwortung für diese Hinrichtungen an und bis heute gibt es Stimmen, die behaupten, die Ermordeten seien Opfer der Nationalsozialisten gewesen.
Im September 2001 gab es in Minsk Proteste gegen den geplanten Ausbau der Minsker Umgehungsstraße direkt durch den Wald von Kurapaty. Viele Protestierende wurden verhaftet und verurteilt. Kurapaty paßte nicht in das Geschichtsbild des Systems Lukashenko.
2.1. Bilder eines Volksaufstandes
Nun also gehen die Belarussen wieder auf die Straße, nicht nur für die
Barbariko, Zepkalo oder Mikola Statkevitsch, die bereits vor ihrer
Registrierung inhaftiert wurden, sondern gegen das Missmanagement
im Land, gegen die fehlende Perspektive für die kommende Generation,
gegen die Aushebelung von Recht und Verfassung, gegen Repressionen
und staatliche Willkür, für faire Chancen von privaten Unternehmern,
für wirtschaftliche und politische Reformen, für das Recht auf eine faire Wahl.
Viele sagen ganz offen, dass sie Lukschenka leid sind.
Es hat sich einiges an Frust und Kritik angesammelt.
Ingo Petz, Im Nebel
Die Ereignisse in Belarus lassen einen erschauern und der Mut der Menschen nötigt Bewunderung ab. Nachdem im Land das Internet nahezu vollständig abgeschaltet werden konnte und nur auf Telegram noch Nachrichten und Bilder übermittelt werden konnten, entschloß sich die Staatsmacht am Morgen des 12. August, Teile des Internets wieder freizuschalten.
Videos und Berichte zeigen die ungeheure Brutalität, mit der hauptsächlich die Einheit OMON (Mobile Einheit besonderer Bestimmung, dem Innenministerium unterstellt) die Straßen zu beherrschen versucht. Die Meldungen des TV-Kanals Belsat sind voll von Willkür und Schikane. Wahllos wird versucht, Passanten zu verprügeln, Autos anzuhalten und auf flüchtende Fahrer zu schießen. Das Knüppeln auf Menschen, die sich nicht wehren, gehört genauso zum Repertoire wie unterlassene medizinische Hilfeleistung. Als der 25jährige Alyaksandra Vikhora nach seiner Verhaftung über Herzprobleme klagte, wurde er in die Psychatrie eingeliefert. Er starb. Viele Bilder dokumentieren die Folgen der Gewalt durch Ordnungskräfte, aus Brest wird der Einsatz von Schußwaffen gemeldet. In Hrodna wurde ein 5jähriges Mädchen verletzt, Autofahrer werden angehalten und willkürlich verprügelt. Einem Motorradfahrer wird die Pistole an den Kopf gelegt und er wird brutal zusammengeschlagen, während die Autofahrer hupend protestieren. Verletzten zu helfen birgt die Gefahr, selbst geschlagen zu werden. Demonstrationen werden gewaltsam aufgelöst, wobei Schüsse und Hupkonzerte zu hören sind. Das Filmen der Gewaltaktionen ist gefährlich. Bei einem Schuß in eine Wohnung wurde auf ein Kinderzimmer gezielt und Splitter prallten 10cm neben dem Kleinkind in das Kissen.
Das Straßenbild prägen Gefangenentransporter, laut Berichten gehen in Minsk Bereitschaftspolizisten mit Maschinengewehren in Stellung.
Keiner von uns hätte sich vorstellen können, wie sich die Bereitschaftspolizei
verhalten hat. [...] Die Häftlinge sitzen in Turnhallen ohne Essen und Wasser.
Und vor allem - die Menschen sind absolut friedlich.
Svetlana Alexievich, Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin
Die Bilder aus Belarus zeigen ebenso, die Menschen lassen sich nicht einschüchtern. Ob Kerzen aufgestellt werden (es lebe Belarus), ob Autos Hupkonzerte veranstalten, sich Menschen einfach zu einer Kette aneinanderreihen, ob in Brest ein Mann protestierenden Mädchen weiße Rosen als Zeichen der Solidarität überreicht. Eine Menschenkette zu bilden kann zur Verhaftung (in Vitebsk) führen. In fast allen Städten wie auch in Loshitsa bilden sich Menschenketten und Autofahrer hupen, um ihre Solidarität zu bekunden. In Minsk wurde auf der Pushkinskaya ein Mann erschossen. Immer wieder legen Menschen Blumen und Kränze nieder, die immer wieder geräumt werden. Es gibt Streiks in einigen Betrieben, ein Mann legte mit seinem Protest zeitweise die Metro lahm.
Mancher Protest ist rührend und wunderschön. Auf dem Siegesplatz in Minsk formierten sich barfüßige Frauen und singen ein Wiegenlied.
Die Liste der Verhafteten ist lang. Der Politologe Vital Tsyhankou und seine Frau Volha Tsyhankou wurden festgenommen und schwer geschlagen. Der Barbetreiber Lyavon Khalatryan aus Minsk, der Bandleader und Journalist Alyaksandr Dzyanisau, Der Schriftsteller Wladimir Kaminer fordert seit Tagen die Freilassung seines Freundes Vitali Shkliarov, die Linksjugend kämpft für ihren Genossen Pavel. in Belarus fordert Artur Klinau die Freilassung seiner Tochter. Ihr Vergehen: Sie war Mitglied einer Wahlkommission und hat wohl nicht die gewünschten Zahlen geliefert. Viele weitere Beispiele finden sich auf der deutschsprachigen Facebook-Seite Stimmen aus Belarus. Die bekannte Gruppe N.R.M. (Unabhängige Republik der Träume), die seit dem Amtsantritt Lukashenkos eine Stimme der Opposition ist, hat ihr bekanntestes Lied Try Charapachi am 12. August in einer aktualisierten Version ins Netz gestellt.
"Unschuldige Menschen schlagen, Unbewaffnete demütigen,
Frauen verspotten und die Sicherheit von Kindern riskieren -
ist es Liebe für die Heimat und die Menschen?
Wie schläfst du nachts? Hörst du dein wahres Gewissen?
Wenn diese blutige Grausamkeit nicht aufhört,
werden wir uns und einander für immer verlieren."
Ksenia Sitnik, Sängerin
Besonders Journalisten werden in ihrer Arbeit behindert. Manche wie Stanislav Korshunov wurden in der Zwischenzeit mit seltsamen Begründungen freigelassen, neue Verhaftete kommen hinzu, wie die ukrainischen Menschenrechtsaktivisten Kanstantsin Ravutski und Yauhen Vasilyev. Täglich versammeln sich die Angehörige von Inhaftierten vor Gefängnissen, wo die Insassen unter Schlafmangel und fehlendem Essen leiden.
Der russische Znak-Journalist Nikita Telishenko wurde am 10. August willkürlich festgenommen und berichtete von unglaublichen Zuständen. Blutende und verletzte Häftlinge mußten sich zum Teil in einer zweiten Schicht übereinander legen. Es mehren sich die Aussagen von Freigelassenen, die von Folter und von Mißhandlungen berichten.
Die neuen Häftlinge wurden gezwungen, sich als zweite Schicht auf die anderen zu legen.
Nach einer Weile müssen sie jedoch kapiert haben, dass das eine schlechte Idee ist,
und jemand befahl, Bänke zu bringen. Ich gehörte zu denen, die darauf sitzen durften.
Aber man durfte nur mit gesenktem Kopf sitzen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
Und erst dann sah ich, wo wir waren – es war die Aula der Polizeiwache im
Moskowski Bezirk. Ich konnte einen Blick erhaschen und sah, dass an der Wand
gegenüber Fotos von Polizisten mit besonderen Verdiensten hingen.
Für mich war das böse Ironie:
Werden die Schläge von heute wohl auch als besondere Verdienste gewertet?
Nikita Telishenko, Rundherum lagen Menschen in Blutlachen
2.2. Was bezweckt das unkontrollierte Wüten der Sicherheitskräfte?
Die Bilder, Videos und Berichte zeigen ein Land, in dem der Präsident 80,08% der Stimmen erhalten haben will. Bei einer Wahlbeteiligung von 84,17%. Es sei zur Erinnerung noch einmal erwähnt.
Über die Motive des Krieges gegen die eigene Bevölkerung läßt sich nur spekulieren. Die Willkür soll die Menschen einschüchtern, was bis zum jetzigen Zeitpunkt kaum gelingt. Es gibt einen flächendeckenden Aufstand, den es in dieser Form selbst 2014 in der Ukraine nicht gab. Immer neue Formen des friedlichen Protestes werden in kürzester Zeit entwickelt.
Denkbar ist es, die Staatsmacht will mit erzwungenen Statements Rädelsführer zu präsentieren. Seit Jahren wird in Belarus versucht, Demonstranten als Rechtsextreme und Faschisten zu verunglimpfen. Eine Taktik, die seitens Russland gegenüber der Ukraine gut zu funktionieren scheint und vom belarusischen KGB immer wieder angewendet wird. Diese Waffe scheint angesichts des Aufstandes stumpf geworden zu sein.
Dennoch finden sich noch immer genügend OMON-Kräfte, die wahllos auf die eigene Bevölkerung schlagen und die ohnehin überfüllten Gefängnisse im Land weiter füllt, während jung und alt "Schande" ruft. Wie man ein Land mit nackter Gewalt und Repressalien sowie Propaganda regiert, zeigt Nordkorea. Ein Land, zu dem Lukashenko gute Beziehungen pflegt und in dem ein solcher Volksaufstand wie in Belarus ausgeschlossen ist.
Gelingt es Lukashenko, wenigstens die Sicherheitsorgane zusammenzuhalten? Auch da lohnt sich ein Vergleich mit dem Maidan in der Ukraine 2013/14. Dort hatten die Einheiten sofort Teile des Landes nicht mehr unter Kontrolle. Städte wie Lviv oder Rivne wurden faktisch aufgegeben und der Machtkampf konzentrierte sich auf Kyiv. Auch in vielen Städten im Osten oder im Süden des Landes wurden von Demonstranten öffentliche Gebäude besetzt.
Das ist in Belarus anders. Der Protest äußert sich jederzeit in allen Regionen des Landes, aber die Sicherheitsorgane funktionieren ebenso in allen Landesteilen. Während sich in der Ukraine der Protest größtenteils friedlich organisieren konnte, schlägt in Belarus die Staatsmacht überall zu. Es gibt Berichte, wo OMON-Soldaten in einem Krankenwagen zu verletzten Demonstranten fuhren und diese schlugen und verhafteten.
3. Geopolitische Einflüsse
Dem Maidan wurde unterstellt, sie sei ohne Einflüsse von außen nicht möglich gewesen. Es werden ausländische Einflüsse unterstellt. Gibt es diese Einflüsse auch in Belarus und wo werden sie sichtbar?
Wenn man sieht, wie die Opposition gegen Lukashenko aufgestellt ist und wie sie sich präsentiert, bleibt am Ende keinerlei Einfluß von außen übrig, der erklären könnte, warum nach der Wahl in so vielen Städten gleichzeitig der Protest sichtbar wird. In der Opposition finden sich prorussische Bürger gemeinsam mit belarusischen Nationalisten und vielen anderen Strömungen. Die populärste Gegenkandidatin Svetlana Tikhanovskaya trat daher auch lediglich mit der Forderung nach fairen und freien Wahlen an, an der auch die inhaftierten Politiker teilnehmen können, denen die Kandidatur verwehrt wurde. Ihrem Ehemann Sergey Tikhsnovski zum Beispiel, der bis heute im Gefängnis einsitzt
3.1. Die Vagner-Posse
Am 29. Juli begann eine bühnenreife Posse, die sich kein Satiriker besser ausdenken kann. Der belarussische Geheimdienst KGB verhaftete in einem Sanatorium in der Nähe von Minsk 32 Söldner der russischen Militärfirma Gruppe Vagner fest. Das russische Magazin Novaya Gazeta veröffentlichte einige Namen, die die Brisanz der Verhaftung verdeutlichen. Einige der Söldner waren Teilnehmer am Krieg im Donbas gegen die Ukraine.
Der Vorwurf gegen die insgesamt 33 Verhafteten lautete: Vorbereitung eines Umsturzes in Belarus nach dem Vorbild des Maidans. Die Verteidigung einiger Verhafteten: Man sei auf der Durchreise nach Istanbul, um dort die Hagia Sophia zu besichtigen. Es erinnerte an die legendäre Posse der zwei Beschuldigten des Anschlages gegen Skripal, man habe lediglich die Kathedrale von Salisbury besuchen wollen. Die Geschichten des Baron Münchhausen klangen plausibler.
Glaubwürdig klang lediglich die Begründung, weshalb der belarusische KGB auf die Vagner-Söldner aufmerksam wurde. Das Sanitätspersonal wunderte sich, warum eine Gruppe russischer Männer kein Alkohol trinkt und meldete diesen Verdacht.
Es ist bekannt, die Söldner von Vagner flogen oft über Minsk zu ihren Einsatzorten. Ebenso ist bekannt, Lukashenko spielte im eigenen Land immer mal wieder die Karte des Bewahrers der Unabhängigkeit von Belarus auch gegenüber der Russischen Föderation. Der Termin kurz vor der Wahl deutet darauf hin, Lukashenko wollte das Spiel der ausländischen Einmischung spielen. Auch beim Maidan 2014 zeigte sich, eine Bewegung aus dem Volk kann man diskreditieren, wenn man die Bedrohung oder den Einfluß ausländischer Mächte aufzuzeigen versucht. Welches Interesse könte die Russische Föderation an einen Umsturz in Belarus haben?
3.2. Russisch-Belarusische Union
Jelzin und Lukashenko schlossen einen Vertrag über die Russisch-Belarusische Union, der Ausdruck der Hinwendung Lukashenkos in Richtung Russland war. Über den embryonalen Zustand kam diese geplante Union aber nie hinaus. Zunächst forcierte Lukashenko diesen Plan, später fürchtete er die Abhängigkeit. Es "besteht eine wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit", die Lukashenko und weite Teile des belarusischen Volkes gemeinsam fürchteten.
3.3. Warnschuß auch für das System Putin?
gegen seine Kinder errichtet wäre, d.i. eine väterliche Regierung (imperium paternale),
wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können,
was ihnen wahrhaftig nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten
genötigt sind, um, wie sie glücklich sein sollen, bloß von dem Urteile des
Staatsoberhaupts, und, daß dieser es auch wolle,
bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus.
Immanuel Kant
Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis im Staatsrecht (Gegen Hobbes)
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