1. Vom Tag des Sieges zum Tag des Krieges
2. Wir können es wiederholen
3. Deutsche Realitätsverweigerung durch das Dogma Wandel durch Handel
4. Und jetzt werde ich Ihnen zeigen, von wo aus der Angriff auf Belarus vorbereitet wurde
"Dieses Jahr sagen wir ‚Nie wieder‘ anders. „Nie wieder“ hören wir anders. Es klingt schmerzhaft, grausam. Ohne Ausrufezeichen, aber mit Fragezeichen. Du sagst: nie wieder? Erzählen Sie der Ukraine davon."
Volodymyr Zelenskyy zum 9. Mai
1. Vom Tag des Sieges zum Tag des Krieges
Immer weniger Veteranen können noch von den Schrecken des 2. Weltkrieges erzählen. Als die Erinnerung in der UdSSR noch sehr präsent war, war der 9. Mai weder ein Feiertag, noch ein Tag des Gedenkens. Es war ein normaler Arbeitstag. Der Feiertag wurde erst 1965 von Breshnev eingeführt.
Wer nicht mit Putins Russland mitfeiern will, wird zum Feind erklärt und muß "entnazifiziert" werden. Mit eben diesem Argument wurde der Ukraine am 24. Februar 2022 der Krieg erklärt, auch wenn man es bis heute in Russland "Sonderoperation" nennt. Ein absurder Begriff für einen Krieg, der Russland bereits mehr als 20000 Soldaten gekostet hat und bei dem es im Moment so aussieht, die Offensivkraft der russischen Armee sind am Vorabend der Feiern am 9. Mai nahezu vollständig erlahmt.
Wie der Scheinriese aus Lummerland wird der Sieg und wird die Erinnerung immer größer, je weiter dieser Tag zeitlich entfernt ist. 1965 erklärte Leonid Breshnev diesen Tag zum Feiertag. In der Endphase der UdSSR vermochte die waffenstarrende Siegesfeier nicht mehr die Perspektivlosigkeit der Jugend zu übertünchen. Anfang der 1990er verzichtete man in Russland sogar für einige Jahre auf die traditionelle Siegesparade auf dem Roten Platz.
Die Symbolik des 9. Mai und diese Rhetorik, dass sich Russland nicht nur seit dem Beginn der Invasion der Ukraine im Krieg mit dem Westen befindet, ist ein Diskurs, der auch schon Jahre vorher in der russischen Öffentlichkeit bestärkt worden ist: Russland befindet sich im Krieg mit dem Westen. Es ist eine Kontinuität zum Zweiten Weltkrieg. Russland ist auf der richtigen Seite der Geschichte.
Liana Fix, 8. Mai 2022, BR24
Seit Putin Präsident wurde, übernahm der 9. Mai immer mehr die Rolle der Herrschaftslegitimation. Das Sankt-Georgs-Band und das unsterbliche Regiment wurden Teil einer monumentalen Propagandashow, die jedem Russen vermitteln, er sei Mitglied des großen erneuerten Russland. Parallelen zum Volksgenossen im 3. Reich drängen sich dabei auf.
Nun warte ich voller Angst auf den 9. Mai, an dem Putin womöglich eine Parade zum Sieg über den imaginären Nazismus veranstalten will, wohl gar mit einer Vorführung gefangener Banderowzy auf dem Roten Platz – sie haben ja bereits im August 2014 in Donezk ukrainische Kriegsgefangene vorgeführt. Hinter ihnen schrubbte eine Straßenreinigungsmaschine ihre Spuren weg, genau wie 1944 in Moskau.
Sergei Medvedev, 19. April 2022 (deutsch) (russisch)
Ein verrückter Kult des patriotischen Rausches, der tief in den Alltag eingedrungen ist und die Sinne vernebelt. Putins Ziel ist ein neues Yalta, als Einflußsphären abgesteckt wurden. Die Balten, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen und andere Völker wurden nicht gefragt. Daheim wird ein religiöser Kult mit Unterstützung der orthodoxen Kirche gepflegt, während andere Religionen unterdrückt werden, die sich nicht dem Diktat der Siegernation unterwerfen. Der evangelische Erzbischof von Moskau Dietrich Brower berichtete in einem Interview mit der Zeit: "In Russland ist innerhalb weniger Tage klar geworden, dass wir jetzt nicht über Krieg reden oder öffentlich Frieden predigen sollten. Stattdessen müssen wir als religiöse Führer den „richtigen Standpunkt“ einnehmen – das heißt, uns für die Politik der Regierung einsetzen." Es wundert nicht, wenn letztes Jahr 50% der Russen Stalin-Denkmäler begrüßten und nur 20% sich dagegen aussprachen.
Die herrschenden Kreise Polens brüsteten sich nicht wenig mit der ‚Stabilität‘ ihres Staates und der ‚Macht‘ ihrer Armee. Es genügte jedoch ein kurzer Schlag gegen Polen, geführt zunächst von der deutschen Armee und danach von der Roten Armee, damit von diesem missgestalteten Geschöpf des Versailler Vertrages, das von der Unterjochung der nichtpolnischen Nationalitäten lebte, nichts übrig blieb.
Vjacheslav Molotov, sowj. Außenminister am 31. Oktober 1939 vor dem Obersten Sovjet
Seit Jahren wurde es immer klarer: Russlands Politik steuert auf einen Krieg zu. Die Bevölkerung wurde systematisch mit dem Dauerfeuer der Propaganda auf einen Krieg vorbereitet. Es war auch zu erahnen: Das erste Opfer wird die Ukraine sein. Von dem man sich ähnlich bedroht fühlte wie Deutschland und die UdSSR 1939 von Polen.
2. Wir können es wiederholen
Der Einmarsch in die Ukraine ist der wichtigste und schrecklichste Effekt der militaristischen 9.-Mai-Religion: Anstelle einer Würdigung des Sieges, eines Festakts zum Kriegsende, anstelle einer Feier des Friedens ist Russland dazu übergegangen, den Krieg zu rühmen. Der Sieg wurde ersetzt durch eine permanente Schlacht. Anstelle eines Aufatmens, eines «Nie wieder», anstelle des Bannspruchs «Bloss keinen Krieg», wie er nach 1945 zunächst gepflegt wurde, hat sich Russland die revanchistische Losung «Wir können das wiederholen» auf die Fahnen geschrieben. Wie eine Beschwörung wird sie ständig wiederholt. Aus der Idee des Friedens wurde ein blutrünstiger Kriegskult, der nun Zigtausende Menschenleben kostet.
Sergei Medvedev, 8. Mai 2022, NZZ
Aus der Forderung "Nie wieder" wurde unter Putin die Parole "Wir können es wiederholen". Das Feindbild des ewigen ukrainischen Faschisten ist seit langen in der russischen Gesellschaft präsent. Ob der Protestbrief 139, als ukrainische Künstler und Wissenschaftler einen offenen Brief an Breshnev, Kossygin und Podgorny richteten, in dem sie die KPdSU dazu aufforderten, sich an die sowjetische Verfassung zu halten oder ob ukrainische (und baltische) Hippies - immer war der Vorwurf präsent, die nicht systemkonformen Ukrainer seien Bandera-Anhänger. So erzählt es auch der Hippie aus Lviv Alik Olisevych, dem Andrej Kurkov in Jimi Hendrix live in Lemberg ein literarisches Denkmal setzte.
Um die aus der Existenz der Ukraine drohenden Gefahr zu beschreiben, malt man im staatlichen Propagandakanal ein völkisch-rassistisches Bild von der Ukraine, die einem Julius Streicher oder einem Alfred Rosenberg zur Ehre gereichen würde.
Anders als beispielsweise Georgien und die baltischen Länder ist die Ukraine, wie die Geschichte gezeigt hat, als Nationalstaat unmöglich, und Versuche, einen solchen zu „errichten“, führen natürlich zum Nationalsozialismus. Der Ukrainismus ist eine künstliche antirussische Konstruktion, die keinen eigenen zivilisatorischen Inhalt hat, ein untergeordnetes Element einer fremden und fremden Zivilisation. Die Entstaatlichung allein wird für die Entnazifizierung nicht ausreichen – das Bandera-Element ist nur ein Darsteller und eine Leinwand, eine Verkleidung für das europäische Projekt der Nazi-Ukraine, daher ist die Entnazifizierung der Ukraine auch ihre unvermeidliche Enteuropäisierung.
Timofey Sergeytsev, 4. März 2022, RIA Novosti
Sergeytsevs Artikel erinnert an den Titel des Dostojevskij-Romanes "Erniedrigte und Beleidigte". Der unverstandene Russe, der den Ukrainern Gutes tun will. Der Ukrainer findet nur sein Glück und seinen Seelenfrieden, wenn er von Russen geleitet wird. Die ukrainische Sprache klingt in den Ohren vieler Russen als ungehobelte und unverständliche Bauernsprache, der sich der Russe überlegen fühlen kann.
Die Realität der "Entnazifizierung" sieht anders aus. RIA Novosti erklärt dies mit Schwarzer Magie im Hauptquartier des ukrainischen Militärs.
Die gefangenen russischen Soldaten sagten zu Beginn des Krieges, sie hätten nicht gewusst, dass wir in der Ukraine seien und in den Krieg verschleppt würden. Aber jetzt ist klar, dass sie zu einer Safari in die Ukraine gekommen sind, um die Nation zu zerstören. Als sie kamen, brauchten sie keine Städte zu erobern oder Gebiete zu erobern, sie kamen, um das ukrainische Volk zu zerstören, einfache Menschen - Kinder, ältere Menschen, Männer, Frauen, diejenigen, die ihnen begegneten.
Alyaksandr Khatskevich (bel. Fußballtrainer, hielt sich am 24.2. in Kyiv auf), 2. März 2022, Nasha Niva
Julia Latynina erläuterte in ihrem Artikel Psychopathologie der Lüge und des Glaubens, Russland befände sich in einer Informationskaskade und zählt zum Teil absurde Beispiele aus der Geschichte der Menschheit auf, in der Ähnliches geschah. Auch in der deutschen Geschichte sind solche Informationskaskaden nicht unbekannt. Bereitwillig glaubten die Deutschen, die Juden, die Plutokraten (USA) und der jüdische Bolschewismus gefährde den ehrlichen Deutschen und zogen in den Weltkrieg. Die Dolchstoßlegende und das Versailler Abkommen war Teil der Informationskaskade. Die persönliche Erfahrung besagte: Der Jude nebenan war ein guter Fußballer, aber die Juden allgemein sind unser Übel. Die Propagandainformation des Staates ersetzt die persönliche Wahrnehmung.
Wladimir Putin ist kein ethnischer Nationalist. Er ist ein imperialer Herrscher sowjetischen Glaubens. In der Russischen Föderation kann ein Mensch mit ukrainischem, deutschem oder tuwinischem Namen Karriere machen. Es reicht, sich zum Wohle des Imperiums von der regionalen Identität zu lösen. Wahrscheinlich liebt Putin sogar die Ukraine – mit der Liebe eines sowjetischen Menschen. Nur dass die Ukraine in diesem Koordinatensystem „Kleinrussland“ sein soll: Zweitklassig, unter Kontrolle stehend, ein Vorhof.
Pavel Kasarin, 18. Februar 2018 (deutsch) (russisch)
Nichts anderes findet gegenüber Ukrainern in Russland statt. Russen (und nebenbei bemerkt auch einige Deutsche) wollen den Ukrainern erklären, wie faschistisch die Ukraine ist. Die ukrainischen Verwandten und Freunde widersprechen, also sind sie ebenfalls infiziert. Der Patriarch der orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat spricht vom "Kampf gegen die Sünde". Die "Sonderoperation" ist somit ein heiliger Krieg, die viertgrößte orthodoxe Kathedrale des Landes ist den Hauptstreitkräften Russlands gewidmet. Der dem Donbas drohende Genozid erklärt Kirill I. übrigens damit, die dort lebenden Bewohner hätten sich dem übermäßigen Konsum des Westens verweigert. Das die dort Herrschenden den Bewohnern Autos und Handys konfisziert haben und die Gehälter der Minenarbeiter zum Teil auf ein Zehntel geschrumpft sind, dürfte wohl kaum ein freiwilliger Konsumverzicht sein.
Die "Sonderoperation" wirkt ohnehin wie ein überdimensionaler Raubzug. Unendlich viele Berichte und Videos zeugen davon. In Belarus veröffentlichte die belarusische Opposition Aufnahmen russischer Soldaten und Belarusen recherchierten die Namen und die Herkunft der Soldaten. Hunderttausende Tonnen Getreide wurden bereits aus den besetzten Gebieten gestohlen. Erinnerungen an den Holodomor 1932/33 werden wach, als Stalin den Weizen und das Saatgut in der Ukraine konfiszierte und zum Teil ins Ausland verkaufte, während über 3 Millionen Menschen auf dem Gebiet der Ukraine verhungerten. Der Diebstahl von Landmaschinen endete allerdings in einem Fiasko: Der Hersteller ist in der Lage, diese zu deaktivieren.
Nach nicht einmal vier Wochen Krieg registrierte die Ukraine 117 beschädigte Krankenhäuser, in dem zeitweise okkupierten Chernihiv wurden zehn Zivilisten erschossen, die für Brot anstanden. ein 92jähriger Rentner aus Andriivka (Oblast Kyiv, 35km westlich von Bucha) berichtete von der Besatzung der russischen Armee, die er als grauenvoller als die der deutschen Wehrmacht beschreibt. Kadyrovs Tschetschenen haben in der mittlerweile zerstörten Schule die männliche Bevölkerung zusammengetrieben und diejenigen hingerichtet, die sie verdächtigten, irgendwann einmal in der ukrainischen Armee gedient zu haben. Folter ist erlaubt, denn man befindet sich ja auf der Seite der Guten.
Wozu eine solche Überheblichkeit führen kann, davon zeugt das Telefongespräch (Übersetzung auf Englisch) des russischen Soldaten Konstantin Dmytrovich Solovyov mit seiner Mutter, welches an die Dialoge so mancher SS-Männer erinnert. Ob der Luftangriff auf das Theater von Mariupol, bei dem trotz gut sichtbarer Warnung, darin befinden sich Kinder, vermutlich mehr als 600 Menschen ihr Leben verloren, ob der neue Friedhof von Irpin mit den Toten der russischen Besatzung, der allein schon durch seine Dimension schockiert, das Massker in Bucha - die Liste wird länger, je mehr Gebiete die Ukrainer von den Russen zurückerobern können.
Da weißt du, dass du das niemals verzeihen wirst. Da kann die russische Propaganda sonst was verbreiten. Goebbels war ein Anfänger im Vergleich zu dem, was die sich heute erlauben. Sie hören und sehen die Realität nicht. Vielleicht wollen sie es einfach nicht. Ich habe aufgehört, ihre Taten zu analysieren. Niemand wird das Russland jemals verzeihen. Und die Verantwortung wird nicht nur Putin tragen, sondern alle russischen Staatsbürger, die das zugelassen haben.
Swjatoslaw Wakartschuk, 22. März 2022, deutsch, ukrainisch
Während die Karikatur des ewigen faschistischen Ukrainers bei diesen nur noch Hohn und Spott erzeugt ("Laut unseren Nachbarn der Tag des einfachen Ukrainer"), ist es nur sehr schwer vorstellbar, wie es zu einem Waffenstillstand oder gar zu einem friedlichen Miteinander zwischen Ukrainern und Russen kommen soll. Noch immer behaupten die Russen, die Ukrainer seien ihre Brüder. Angesichts der gemeinsamen leidvollen Geschichte, die 2022 eine Fortsetzung findet, wirkt das in den Ohren der Ukrainer wie blanker Hohn. Die Ernennung des Faschisten Vladimir Medinsky als russischer Delegationsleiter der Friedensverhandlungen ist nur ein Beleg unter vielen: Russland versteht unter Frieden nur eines: Unterwerfung. Nichts demütigt Putin mehr als ein erfolgreicher Widerstand der Ukrainer, die man in Russland nie so ernstgenommen hat. Nichts demütigt mehr als die Versenkung des Kreuzers Moskva, ein Symbol des imperialen Russlands.
3. Deutsche Realitätsverweigerung durch das Dogma Wandel durch Handel
Viele deutsche Politiker wirkten angesichts der Entwicklung in Russland wie Kapitäne, die im dichten Nebel "auf Sicht fahren und nichts erkennen wollen oder können.
Wenn endlich eine Zeit des Wiederaufbaus in Syrien kommt, dann sollten besonders Deutschland und Russland Hand in Hand arbeiten - in Palmyra, in Aleppo oder in Homs.
Frank-Walter Steinmeier, 15. August 2016 in Jekaterinburg an der Ural Federal University
Mit dieser bemerkenswerten Rede blitzte Steinmeier bei Lavrov ab und zog keinerlei Konsequenzen. Ein halbes Jahr zuvor stellte Amnesty International bereits fest, Russland habe zusammen mit der syrischen Armee Krankenhäuser im Visier.
Syrian and Russian forces targeting hospitals as a strategy of war
Amnesty International, 3. März 2016
Als Russland zusammen mit Belarus im Februar 2022 ein Manöver direkt an der ukrainischen Grenze mit geschätzt 150000 Soldaten durchführte und die Ukraine vom Schwarzen Meer abschnitt, dämmerte vielen deutschen Politikern noch immer nicht, Putin könnte wie dereinst Deutschland am 22. Juni 1941 aus dem Manöver heraus einen Angriffskrieg starten.
⦁ "Putin hat uns getäuscht" (Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer)
⦁ "Putin hat alle belogen und getäuscht" (Markus Söder)
⦁ "Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde. Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt." (Frank-Walter Steinmeier)
Steinmeier brauchte mehr als einen Monat, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Kretschmer fuhr nach Moskau zu einer absurden Telefonkonferenz,
Denn die verhängnisvolle Abhängigkeit Deutschlands lässt sich auf eine Drei-Städte-Formel bringen: Von Hannover aus wurde eingestielt, was in Berlin entschieden und später in Schwerin vollzogen werden sollte.
FAZ, Reinhard Bingener, 6. Mai 2022, FAZ
Das Gas und Öl Machtinstrumente des Kremls sein könnte, kam weder der SPD, noch der CDU in den Sinn. Angela Merkel bezeichnete North Stream 2 als "rein privatwirtschaftliches Projekt" und die Schröderisierung legte sich wie Mehltau auf die deutsche Politik. Leute wie der ehemalige Stasi Matthias Warnig sorgten zusammen mit Gerhard Schröder und Putin für gute Geschäfte in der Politik, im Energiesektor und beim Fußballverein FC Schalke 04. "Von Lissabon bis Wladiwostok – ein feuchter Traum für die deutsche Wirtschaft und ihren mächtigen Ostausschuss." (Badische Zeitung). Das es ein veritables Stasi-Problem bei diesen guten Geschäften gab, interessierte nur wenige. Viele redeten sich die Abhängigkeit von Russland als Energiesicherheit schön.
Nach dem Zerplatzen des Wolkenkuckucksheim Wandel durch Handel stehen viele deutsche Politiker vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik der letzten 20 Jahre. Der Filz in Mecklenburg Vorpommern, verschwundene Steuerunterlagen im Finanzamt Ribnitz-Damgarten und die Posse um die Auflösung der Klimastiftung MV werden Deutschland noch eine Weile beschäftigen. Das es nicht auf ein Bundesland beschränkt bleiben wird, ahnt man, wenn man sich mit Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, aber auch mit der ehemaligen Außenministerin Österreichs Karin Kneissl beschäftigt. Kneissl ist seit dem 2. Juni 2021 Mitglied des Aufsichtsrats von Rosneft, dessen Vorsitzender Gerhard Schröder ist. Zur Zeit tobt in Österreich ein Streit, wem die Saphir-Ohrringe im Wert von 50000 Euro gehören, die Putin als Hochzeitsgeschenk der mittlerweile geschiedenen Kneissl gehört.
Die SPD rechtfertigt ihre Politik mit Willy Brandt und glorifiziert dessen Entspannungspolitik mit einem geschichtsvergessenen Nebel.
Brandt war Regierender Bürgermeister in Berlin gewesen, als die Kommunisten die Mauer errichteten. Davor hatte er gegen die Nazis gekämpft. Wenn er die Ostpolitik vorantrieb, dann um die Teilung Europas zu überwinden. Nie wäre er auf die Idee gekommen, eine Macht beschwichtigen zu wollen, die Friedensverträge nach Gusto mal beachtet, mal zerreißt.
Jan Fleischhauer, Wer hat die Ukraine verraten? Sozialdemokraten!, 23. April 2022
Die Rolle vieler SPD-Politiker und auch die von Angela Merkel erinnert immer mehr an Chamberlain, der nach dem Münchener Abkommen 1938 mit einem Friedensvertrag zum Nachteil der Tschechoslowakei wedelnd Peace for our time verkündete. Steinmeiers Vermittlungsversuche am 21. Februar 2014 waren ihm keine Lehre. Das Abkommen zwischen Janukovich und ihm hielt keine 24 Stunden und wurden sowohl von der Verchovna Rada, als auch von weiten Teilen der ukrainischen Bevölkerung ignoriert, die den Kompromiss als Bevormundung empfanden. Nicht wenige SPD-Mitglieder empfinden die Äußerungen des ukrainischen Botschafters Andrii Melnyk als Bevormundung. Harald Welzer glaubte, Melnyk über das wahre Gedenken über den 8. Mai aufklären zu müssen. Die Selbstgerechtigkeit mancher Deutscher ist einfach grenzenlos. Da will ein Deutscher, dessen Vorfahren im 2. Weltkrieg nahezu jedes Land ausgeplündert hat, den Vertreter des Staates, dessen Volk zwischen 1914 und 1950 einen in Europa beispiellosen Aderlass hatte, über die Geschichte aufklären.
Das viele deutsche Politiker die Ukrainer jahrelang bevormundeten, indem sie diesen diktieren wollten, die Ukraine müsse sich halt mit dem Kreml arrangieren, obwohl dieser im Laufe der Jahre so ziemlich jeden Vertrag und jedes Abkommen brach, ignorieren viele bis heute. Das die Ukraine in dem Krieg gegen Russland auch nach über 70 Tagen noch weite Teile ihres Landes kontrolliert, liegt auch an der Ineffektivität der russischen Armee auch nach der kostenintensiven Modernisierung seit 2008, die 2011 zum Rücktritt des fähigen Finanzministers Kudrin führte.
Friedenswillige finden sich bis heute. Der Rechtsaußen Björn Höcke twittert: "Frieden schaffen ohne Waffen."
4. Und jetzt werde ich Ihnen zeigen, von wo aus der Angriff auf Belarus vorbereitet wurde
"Und jetzt werde ich Ihnen zeigen, von wo aus der Angriff auf Belarus vorbereitet wurde" entwickelte sich zu einem Meme, welches sogar einen eigenen Wikipedia-Artikel erhielt. Grundlage dafür war ein Treffen zwischen Lukashenka und Putin am 11. März 2022, in dem Lukashenka ausführlich erklärt, Russlands "Sonderoperation" sei auch deshalb notwendig gewesen, weil es einen Angriff der Ukraine gegen Belarus verhindert hätte. Daraufhin entstanden zahlreiche Videos, die über Lukashenkas Worte spotteten: Original, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37
Auch nach über 10 Wochen wagte es Lukashenka nicht, seine Armee an der Seite Russlands gegen die Ukraine in den Krieg ziehen zu lassen. Im Gegenteil. Es gibt belarusische Freiwillige, die in der Ukraine gegen Russland kämpfen, in den sozialen Medien sammeln Menschen aus Belarus Informationen über die russische Armee und über Raketen, die in Richtung Ukraine (oder auch mal in Richtung Russland) geschossen werden, Eisenbahner haben die Bahnlinien sabotiert und somit die Durchnittsgeschwindigkeit russischer Nachschubzüge auf 10-15km/h reduziert. Die Menschen in Belarus, die zumeist auf Seiten der Ukraine stehen, haben ihren Anteil an der katastrophal gescheiterten Offensive der russischen Armee gegen Kyiv.
Offiziere berichten, dass im Fall einer Grenzüberquerung ihr Leben in großer Gefahr wäre, weil die Soldaten die Waffen gegen sie richten würden.
Janka Belarus, 11. März 2022, taz
Lukashenko, der die mehrheitliche Opposition im eigenen Land ebenfalls gerne als Faschisten bezeichnet, reagierte auf den Widerstand im eigenen Land gegen Russlands Angriffskrieg mit der Erweiterung der Todesstrafe. Ein deutliches Indiz dafür, warum mit einem Eintritt von Belarus in den Krieg gegen die Ukraine kaum zu rechnen ist. Die belarusischen Soldaten könnten die Waffen drehen.
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Artikel über den Krieg Russlands gegen die Ukraine
Ein Propagandist als Verhandlungsführer für Friedensgespräche (23. März 2022)
Schicksale der Menschen in einem Angriffskrieg (27. Februar 2022)
Give us the tools and we will finish the job (27. Februar 2022)
Zerplatzende Illusionen über Putins Russland in Deutschland (25. Februar 2022)
Das Gesetz des Stärkeren ersetzt das Recht auf Selbstbestimmung (24. Februar 2022)
Ein Angriffskrieg mit nationalistischen Motiven (24. Februar 2022)
Mercenaries (Ready For War) (21. Februar 2022)
Siebzehn Fragen vor dem Frühling (16. Februar 2022)
Bisherige Artikel über Russland und der Ukraine
Historische Einheit von Russen und Ukrainern? (6. September 2021)
Wollen die Russen Krieg? (12. April 2021)
Krieg der Spezialeinheit "Sie sind nicht da" (13. April 2020)
Folter in der Volksrepublik Donezk & Luhansk (16. März 2020)
Gefangenenaustausch Ukraine und Russland (31. Dezember 2019)
Kommentare 120
Ganz so einfach ist es doch nicht ...
Wer nicht mit schweren Waffen gegen Russland einverstanden ist, wird zum Feind erklärt und muß gesperrt, beschimpft, geblockt, gekündigt ... werden.
Waffenlieferungen wurden in meinem Artikel nicht thematisiert. Ansonsten sollte man in einer Demokratie andere Ansichten aushalten können. Wer soll denn angeblich zum Feind erklärt worden sein? Davon habe ich nichts mitbekommen.
"Die SPD rechtfertigt ihre Politik mit Willy Brandt und glorifiziert dessen Entspannungspolitik mit einem geschichtsvergessenen Nebel."
Im Nachhinein! Ich behaupte, ohne die Entspannungspolitik wäre die friedliche Loslösung der Ukraine aus dem sowjetischen Staatsverband gar nicht gewesen. Da lässt sich viel spekulieren. Herrn Welzer würde ich nicht als ungebildet bezeichnen. In der Entscheidungsrhetorik dieser Tage zieht er natürlich gegen Herrn Melnyk den Kürzeren, da Abwägungen von vorneherein verboten erscheinen.
Ich weiß, es brennt lichterloh in der Ukraine. Und Mittel die russischen Angreifer aufzuhalten und zurückzudrängen müssen ihr bereit gestellt werden. Aber es muss erlaubt sein, das mögliche Ende oder die möglichen Enden zu bedenken. Die Forschheit Melnyks und manch anderer, auf vollen Sieg zu setzen, mag ich nicht teilen.
Ja. Natürlich im Nachhinein. Ich hätte schreiben sollen, die SPD rechtfertigt seit den 1990ern ihre Politik mit Willy Brandts Entspannungspolitik.
Ich behaupte, ohne die Entspannungspolitik wäre die friedliche Loslösung der Ukraine aus dem sowjetischen Staatsverband gar nicht gewesen.
Eine sehr hypothetische Frage. Ich halte das ehrlich gestanden für eine Überschätzung der Entspannungspolitik, auch wenn Sie vermutlich zurecht erwidern könnten, ohne die Entspannungspolitik von Brandt (und ausdrücklich auch Nixons Politik gegenüber der UdSSR und China) wäre es vermutlich 1975 nicht zur KSZE-Schlussakte gekommen.
Die wohl ausführlichste Untersuchung über den Umbruch ist dieses Buch: Detlev Preusse - Umbruch von unten: Die Selbstbefreiung Mittel- und Osteuropas und das Ende der Sowjetunion. Leider sehr teuer, aber auch sehr gut. Detlev Preusse kommt zum Ergebnis, die Menschen in Osteuropa selbst haben das System zusammenbrechen lassen. Dem stimme ich auch zu. Polen, Ungarn und auch andere Länder konnten nur mit Zwang im Warschauer Pakt gehalten werden. Viele Völker im Sowjetreich haben sich ebenfalls nie damit abgefunden, von Moskau aus regiert zu werden. Das gilt besonders für das Baltikum und für Georgien, es zeigte sich aber auch in der Ukraine. Die Revolution auf Granit und eine Menschenkette von Kyiv bis Lviv sowie das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Dezember 1990 zeugen davon.
Was gestern bei der Talkshow abging, war allerdings zum Fremdschämen. Ein Nachfahre der Täter belehrt einen Nachfahren der Opfer und Vertreter einer Nation unter Bomben und begründet dies mit den Erfahrungen der eigenen Täterfamilie. Ob Welzel sich das auch beim russischen Botschafter herausgenommen hätte? Ich bin mir absolut sicher: Nein.
Aber es muss erlaubt sein, das mögliche Ende oder die möglichen Enden zu bedenken. Die Forschheit Melnyks und manch anderer, auf vollen Sieg zu setzen, mag ich nicht teilen.
Das ist tatsächlich keine einfache Frage. Melnyk geht davon aus, mit dem Beginn des Krieges gibt es keine Kompromissmöglichkeit mehr. Dem stimme ich auch zu. Ich sehe einfach keine Kompromissmöglichkeit. Einige Gründe dafür habe ich in diesem Artikel erläutert, andere in den vorhergehenden Artikeln. Eine gewisse Chance sehe ich bei der Krym (und da sehe ich mich im Widerspruch mit fast allen Ukrainern), aber auf keinen Fall mehr bei den zwei Volksrepubliken. Diese haben zu 8 Jahren Krieg und Elend in diesen Regionen geführt.
Scholz wurde nach seiner Rede vorgestern ein "Mangel an Leidenschaft" vorgeworfen. Gemessen an den Irrtümern, die die Kritiker der SPD ansammeln (Irakkrieg, extraterritoriale Knäste, "enhanced interrogation"), halte ich die der SPD in den letzten dreißig Jahren nicht nur für tolerabel, sondern auch für legitim.
Der Irrtum der derzeit in Klugscheiße Badenden besteht darin, dass sie von der SPD eine Aufarbeitung verlangen, ohne sich klar zu machen, dass Scholz ein Land, in dem rund 45% für und 45% gegen die Lieferung "schwerrer Waffen" ist, einereseits ein guter Kanzler ist, andererseits aber auch durchaus ein tatkräftiger.
"Leidenschaftliche" Schreihälse haben wir schon genug. Auch angesichts des Krieges muss Deutschland sich immer noch fragen, was es selbst für ein Land sein will. Wer das "selbstreferenziell" nennt, hat nicht nur eine Agenda für die Ukraine, sondern auch eine für Deutschland.
Und da hat jeder Deutsche das Recht und die Pflicht, sich das genau - leidenschaftslos - anzuschauen und seine Schlüsse zu ziehen.
"Der Irrtum der derzeit in Klugscheiße Badenden besteht darin, dass sie von der SPD eine Aufarbeitung verlangen, ohne sich klar zu machen, dass Scholz ein Land, in dem rund 45% für und 45% gegen die Lieferung "schwerrer Waffen" ist, einereseits ein guter Kanzler ist, andererseits aber auch durchaus ein tatkräftiger."
Ich hatte und habe noch immer den Verdacht, dass Scholz die Sache einfach aussitzen wollte, um im Fall eines schnellen Endes (der nur ein Sieg Russlands hätte bedeuten können) heimlich, still und leise zur Tagesodnung überzugehen. Wenn Sprit wieder 1,70 kostet, kräht der Hahn nicht mehr.
Gegen Besonnenheit entgegen den Badenden habe ich nichts, aber dieses augenzwinkernde Durchwurschteln, das im Grunde einfach so weiter machen will, wie immer, ist mir schon bei Merkel auf den Keks gegangen, diese hanseatische Kontinuität braucht man dann doch nicht.
"... die Menschen in Osteuropa selbst haben das System zusammenbrechen lassen."
Ja, die Beteiligung der widerständigen Menschen in Polen und in den anderen Staaten des damaligen Warschauer Pakts am schließlichen Scheitern der zum Ende hin dann doch nur noch kläglichen Machteliten, übersehen ich gerne immer wieder, Da ist mir das (zu kurze) Erklärungshemd (, - welches ich mir in der eigentlich bequemen Beobachterkabine risikolos überziehen konnte, -) doch näher als der Rock einer wirklichen Draufsicht. Da will ich Ihnen Recht geben.
Dass ein für die Beteiligten (und das sind inzwischen eine ganze Menge) gangbarer Ausweg aus diesem Krieg gefunden wird oder ob sich dieser Krieg über die nächsten Jahrzehnte mal in heißerer mal in kalter Weise hinzieht, wage ich nicht vorherzudenken. Je länger er sich hinzieht, vielleicht auch nur noch auf kleiner Flamme, desto wahrscheinlicher werden ganz neue Beteiligungskonstellationen. Wer weiß denn, wohin sich die US-Regierung nach den Zwischenwahlen im kommenden November orientieren wird? Und natürlich sind auch in Russland neue Dynamiken möglich, sollten der ukrainischen Armee nicht nur defensiv sondern auch offensive Erfolge gelingen und russische Armeen spürbar zurückgedrängt werden. Wie man so sagt, die Messe ist noch nicht gelesen. Nur auf eine (US) Karte zu setzen, fürchte ich, könnte für die Ukraine verhängnisvoll werden.
Sehe ich auch so. Mir ist in der Anne Will-Sendung vorgestern auch vielmehr als der Skandalpart zwischen Welzer und Melnyk die Klarheit aufgefallen, mit der Kevin Kühnert die aktuelle Lage und Zielsetzung der Regierung beschrieben hat. Und dass es eben nicht darum geht, zu irgendeiner Position ja oder nein zu sagen, sondern jeden Tag erneut dir richtigen Maßnahmen zu finden, um die unterschiedlichen Ziele gleichzeitig umgesetzt zu kriegen.
"Wir wollen nicht, dass die Ukraine diesen Krieg verliert und wir wollen nicht Kriegspartei werden." Da ich beide Ziele teile, bin ich mit der aktuellen Regierung dahingegend zufrieden und gleichzeitig ist mir klar, dass es schwer ist (und eine Menge Abwägen, Zögern und uneindeutige Entscheidungen erfordern wird), beide Ziele unter einen Hut zu bekommen.
Das ist eine Interpretation - und eine Interpretation taugt nicht als Vorwurf. Scholz bringt etwas von der Reflexionsfähigkeit mit, die vielen Politikern erst als "Altersweisheit" zufällt - vergleiche Heiner Geißler, der hinterher auch alles besser wusste als vor der Rente.
Das Richtige, wenn es denn schon mal (rechtzeitig) passiert, verdient Unterstützung.
Yup. Die SPD regiert eher selten, kommt aber offenbar immer gerade rechtzeitig an die Reihe, um richtig großes (innenpolitisches) Unheil zu vermeiden.
Wahnsinns-Avatar übrigens. Ich habe mich noch nicht zwischen "Heidi" und "Biene Maja" entscheiden können.
Dankeschön, ich habe hier vor ein paar Wochen fallen gelassen, dass ich die Wikipedia für eine gute Sache halte, das hat zu gewissen Aufwallungen geführt. Da ich bis dahin noch unbebildert unterwegs war, erschien mir danach Flakes berühmtester Sohn aus mehreren Gründen ganz passend. Heidi und Maja sind beide würdige Kandidaten, ich würde noch den kleinen Maulwurf als dritte Option ins Spiel bringen.
@Wilfried Jonas, vielen Dank für die systematische Arbeit!
Eine kleine aktuelle Ergänzung aus Sicht einer sehr bekannten und sehr guten ukrainischen Journalistin, die am 9. Mai aus dem Treptower Park berichten, wollte. Wollte, weil das ukr. Kamerateam sofort angegangen und bedroht wurde.
Natalija Mossejtschuk berichtet (frei übersetzt):
Wir haben aufrichtig versucht zu verstehen, wie viel Erinnerung steckt in diesem Feiertag [9. Mai] für die russischen Bürger, und was ist nur Sieges-Show. Nachdem die russischen Besucher im Treptower Park unsere Unterhaltung auf Ukrainisch hörten, begannen Sie sofort zu behaupten, dass ein ukrainisches Volk nicht existiert und dass wir ausgetilgt werden müssen. Noch lauter als die Männer schrien dabei die russischen Frauen. Es war erschreckend und versetzte unsere Crew zunächst in eine Schockstarre. Dann habe ich einfach gefragt – wer ist für Butscha verantwortlich? Als Antwort darauf gab es nur Geschrei aus den Erzählungen der sowjetischen Zombie-Box (Fernseher). Kein Mitgefühl. Niemand senkte die Augen. Sie waren bereit, auf uns loszugehen".
Die Journalistin überlegte in diesem Augenblick: "Wenn die Russen, die seit langem in Deutschland leben, die Niederträchtigkeit des Krieges nicht verstehen, was will man dann von russischen Soldaten erwarten?
...
"Ich habe diesen Menschen in die Augen geschaut. Aggressiv. Verrückt. Voller Hass. Mir wurde klar, dass sie Monster waren. Die ganze zivilisierte Welt sollte darüber Bescheid wissen, sonst wird es neue Butscha in Moldawien, Georgien, den baltischen Staaten, Polen und vielleicht in Deutschland geben. Schließlich lautete der Hauptslogan der heutigen "Sieges-Show" hier in Berlin: Wir haben Berlin schon einmal eingenommen, wir können das wiederholen. Dabei waren das Menschen, denen Deutschland ein komfortables zu Hause und Demokratie gegeben hat."
Aus eigener Erfahrung kann ich zwar nichts zu dem konkreten Fall sagen, habe aber ähnliches schon 2014 vor der russischen Botschaft in Berlin erlebt.
"Das Richtige, wenn es denn schon mal (rechtzeitig) passiert, verdient Unterstützung."
Ich bin ein bisschen zurückhaltender und vermutlich sind mir auch die Motive ein weniger wichtiger, aber neben dem Trennenden gibt es vermutlich insgesamt größere Übereinstimmungen.
Kriegstreiberei, egal von welcher Seite, bringt niemandem was, dass besonders wir Europäer da aufpassen sollten erkennen immer mehr, das finde ich gut.
Ich hoffe nur, dass falls mal so etwas wie eine stabile Situation eintritt, nicht alle so tun, als sei doch im Grunde nichts gewesen, denn die Kuh ist noch aus dem Eis und ständig geht so etwas nicht gut.
Man wird von mir eine Menge hören können. "Mangel an Leidenschaft" wird sicherlich höchst selten darunter sein. Das empfinde ich schon fast eher als Lob. Allerdings werfe ich der SPD Blauäugigkeit vor. Sowie aus Willy Brandts Politik eine Ideologie gemacht zu haben, die mit dem, was Brandt gemacht hat, eigentlich kaum noch etwas zu tun hat.
"... vermutlich sind mir auch die Motive ein wenig wichtiger ..."
Da es halbwegs sinnentstellend war.
Ich hatte meinen Artikel schon am 8. Mai geschrieben. Der hing wieder mal etwas in der Moderation herum. Diesmal ging es aber schnell. Daher habe ich diesen Vorfall auch nicht aufnehmen können.
Einer meiner Bekannten war 2020 am 9. Mai am Treptower Park mit einem Ukraine-T-Shirt unterwegs. Der brauchte jede Menge Polizeischutz und wurde von der Polizei vom Platz verwiesen. Es ist also ein altbekanntes Problem. Speziell am 9. Mai ist der russische Nationalismus nicht nur am Treptower Park extrem. Weshalb ich sogar ein wenig verstehen konnte, man hat am 8. und am 9. Mai die ukrainische Flagge an bestimmten Plätzen verboten. Man hätte aber ebenso deutlich sagen müssen: Als Schutzmaßnahme, weil man seit Jahren diese Aggressivität schlicht nicht beherrschen kann.
OK, aber bitte nicht den, "der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat". Ekelhaft.
Eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland kann es mit Putin bzw. seinem Regime nicht geben. Aber man wird immer wieder miteinander verhandeln müssen - und sei es über Kokosnüsse, die bei Kaliningrad über Bord gegangen sind.
Dieser hier dargelegte deutsche Geschichtsrevisionismus wird ein weiteres Mal zum Niedergang dieses Landes führen.
Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber!
Der uralte deutsche Russenhaß, der neu ausgebrochen ist, wird das russische Volk in seinen Widerstandswillen stärken. Schon dreimal in den letzten 200 Jahren hat das russische Volk in aussichtsloser Lage aus einer Niederlage einen Sieg gemacht.
Je mehr der Westen Russland haßt, umso stärker wird Russland!
Auch davon bin ich erst überzeugt, wenn ich es anders erlebe. Vielleicht ist man ja bald ein Kriegstreiber, wenn man keine zweite Chance gewährt. Der Heiti-Deiti-Pluralismus, die Betonlinke und die Querfront-Pazifisten, da kommt schon was zusammen.
Aber reden, klar, sagte schon Scholl-Latour und klar ist auch, dass es Herr Putin sein wird, mit dem man reden muss.
Hass macht krank, nicht stark.
Den Vorwurf, intolerant zu sein, kann derzeit jeder jedem machen. Keine der Fraktionen in der aufgepeitschten "social-media"-Öffentlichkeit bekleckert sich dabei mit Ruhm.
Aber selbstverständlich steht Russland eine zweite Chance zu - wenn die Voraussetzungen stimmen.
Selbst Deutschland bekam eine.
Pardon - ich las daraus, "je mehr Russland den Westen hasst".
Aber dass weiß ja jeder, dass nur der Westen hasst.
¯\_(ツ)_/¯
Also macht der Russenhaß Deutschland krank. Genauso ist es!
... und klar ist auch, dass es Herr Putin sein wird, mit dem man reden muss
Da bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Ich glaube nicht, dass das Regime seine Eigenschaften ändert - zumindest nicht zum Besseren. Aber das Gesicht könnte schnell ein neues sein. Ständig fallen dort Leute aus dem Fenster.
Hass macht die Leute krank, die hassen, Pasionaria. Dass "Deutschland Russland hasst", halte ich für dick aufgetragen. Das Internet vermittelt da in die eine wie in die andere Richtung ein ziemlich schiefes Bild.
Aber Sie selbst müssen sich keine Sorgen machen. Sie sind ja nur engagiert.
;)
"Aber selbstverständlich steht Russland eine zweite Chance zu - wenn die Voraussetzungen stimmen."
Russland ja. Über Putin soll man ja nicht entscheiden, auch wenn es niemanden stört, dass derselbe damit keine Probleme hat, dasselbe zu tun, wenn es um andere geht.
Warum sind Sie eigentlich so verbittert, Moorleiche? Sie scheinen mich mit Alice Schwarzer zu verwechseln.
(Die übrigens durchaus ihre Verdienste hat. Kann ja nicht jeder, ähm, Schuss ein Treffer sein.)
Kurz gesagt: ich unterstütze den von der NATO eingeschlagenen Kurs pro-Ukraine. Aber das Ex-Zivildienstleistende plötzlich den Krieg erklären, macht mir etwas Sorgen.
Ist m. E. nicht nachhaltig - so wenig wie allzu schnell steigende und fallende Barometer.
"Ständig fallen dort Leute aus dem Fenster."
Man liest sowas, ich gerade auch wieder. Ich bin aber uninformiert über die Kräfteverhältnisse in R.
Ob's schlimmer werden kann, hängt ja unabhängig von der Person davon ab, wie den der/die/das Schlimmste gestrickt sein müsste.
"Warum sind Sie eigentlich so verbittert, Moorleiche?"
Ich werd so ungern gesprengt. Da bin ich manchmal nachtragen. Sie mag ich gut leiden, so war das nicht gemeint.
"Kurz gesagt: ich unterstütze den von der NATO eingeschlagenen Kurs pro-Ukraine. Aber das Ex-Zivildienstleistende plötzlich den Krieg erklären, macht mir etwas Sorgen.
Ist m. E. nicht nachhaltig - so wenig wie allzu schnell steigende und fallende Barometer."
Hat Alice nicht gedient? Ich auch nicht, aber ich Trottel will noch nicht mal Krieg. Geht ja nicht um ja oder nein, sondern viele wenn ..., dann ...'s.
Wickie ist auch sehr schön. Ich habe mir das Photo einer Statue aus Lviv herausgesucht, um die Produktion anzukurbeln.
Ihre Philosophie in der Sache Agressor gegen Defensor ist bigott. Putin hat sich schleichend als autokratischer, mit Wahlfälschungen an die Macht geschlichener Ursupator eines mittlerweile pseudo-demokratischen Staates geschlichen.
Er ist als Perönlichkeit ein machtgieriges Arschloch mit Beharrungsvermögen. Die, die sie als whatobouttimse-figure meinen benennen zu müssen in ihrem gedankengebäude , um daran ihren polit-phisolosphisches Gebäude justieren zu können , fliegen nach den immer weiterbestehenden verfassungrechtlichen Grundsätzen der sich ab und zu dreckig benehmenden Staaten aus der Machposition raus, sei es durch Wahl oder rechtliche Vorgaben.
Deshalb sollten Sie sie bei den Tatsächlichkeiten belieben und philosofffieren Sie keinen auf Fake gebauten Kram.
Die Photos der Gotteskrieger des Putin sind überall aus den Augen/kameras der Frontberichterstatter zu betrachten. Dürfen sich die jesches und Co hinter den Spiegel stecken.
Die Gotteskrieger fallen ohne ECHTE Notlage in ein Land ein und bei ihrem Rückzug findet man ermordete Zivilisten in einer Menge, die nicht mehr mit ein paar durchgeknallten Soldaten zu erklären ist. Das ist nicht nur eine ukrainische Aussage, das wurde inzwischen z.B. von AI bestätigt - es waren auch westliche Journalisten dabei, als sich die Russen zurückgezogen haben und die Ukrainer wieder in diese Gebiete kamen, die das bestätigen. Und wo sie mit ihrem Militär nicht sofort hinkommen, bombardieren sie ganze Städte platt. An dieser Soldateska braucht man nichts zu verteufeln, und sie adelt automatisch jeden, der sie bekämpft.
Alice hat nicht gedient, aber in einer politisch noch gar nicht so günstigen Phase "Ich habe abgetrieben" annonciert.
Wer das kann, könnte auch Krieg (wenn sie denn wollte, aber sie will ja nicht).
Igor Torbakov. Putins Russland oder. Die geistige Entkopplung von Europa
Vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag. Mir ist - im Gespräch mit anderen interessierten Leuten - ein Beitrag empfohlen worden, der ziemlich klar macht, wie sich die gesellschaftspolitsche Entwicklung Russlands zum antieuopäischen Aggressor unter Putin vollzogen hat. Es war ein lange geplanter Schritt und keine Notoperation.
Wikipedia ist als erste Anlaufstelle für die Informationssuche ohnehin nie verkehrt. Wobei ich dann oft auch noch die Wikiartikel in anderen Sprachen hinzuziehe.
Sieht mir mehr nach einer Pappmaché-Ideologie aus, die außerdem streng riecht.
Der Kreml möchte die Ideologie vom Himmel fallen lassen, aber es ist keine Erde da, auf der sie landen kann.
Nicht zu vergessen die Quellen in den Fußnoten. Keine Ahnung, was Wikipedia so viel Feindseligkeit einträgt.
Da ich eh schon bei der Gotteslästerung bin, hier noch eine fiese Presseschau:
Wenn man die Macht des Kremls mit Hilfe von Dezibel der Soldatenrufe auf dem roten Platz misst, dann kann man natürlich sagen, dass die Russische Föderation imstande ist, alles zu gewinnen. Wenn man jedoch die Kapazitäten des Staates zur Kriegsführung mit der Qualität der Verbandskästen der Soldaten oder der Fähigkeit, Lebensmittel und Treibstoff zu liefern misst, dann sieht dieselbe Russische Föderation eher wie eine Fiktion aus.
Selbstverständlich nicht, wir reden hier von Zdeněk Milers zeitlosen Meisterwerken: https://www.youtube.com/watch?v=jdvwqZUEbhc
Tschechische Beteiligung macht Zeichentrick sowieso in der Regel besser. Wickies (und Majas) Qualität beruht ja auch nicht unerheblich auf Karel Svobodas großartigem Soundtrack, der Perlen wie das hier beinhaltet: https://www.youtube.com/watch?v=RC7X8PY8f24 (der schreckliche Sven wäre allerdings auch ein hervorragender Avatar).
Klar, bei vielen Artikeln ist die Belegdichte in der deutschen Wikipedia auch etwas dünn. Auch wenn die wikipedia sicher seine Schwächen hat, fällt mir kein anderes nichtstaatliches und nicht gewinnorientiertes Projekt ein, dass einen solchen Einfluss auf die Verfügbarmachung von Wissen und Informationen gehabt haben dürfte.
Halvar wirkt nicht clever genug?
"Russland ist, historisch gesehen, nun einmal ein autoritärer Staat. […] Es ist an der Zeit, uns nicht länger des Faktums zu schämen, dass wir historisch auf ein autoritäres Regierungssystem festgelegt sind und nicht auf die liberale Demokratie."
Ich habe den Artikel gelesen und kenne auch viele Punkte, weil die in der russischen Geschichte der letzten 300 Jahre immer und immer wieder auftauchen. Es gibt nichts, womit ich weniger anfangen kann, als mit dieser Diskussion. Vor allem kann ich den Determinismus, den Timofej Bordashev formuliert, mal so überhaupt nichts anfangen. Es gibt kein Naturgesetz, welches für ein Volk ein autoritäres Regierungssystem vorschreibt. Weder in Deutschland, noch in Russland. Allerdings wird Bordashevs These nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland geglaubt.
"Dem Politikwissenschaftler Sergej Karaganow zufolge ist „vom ‚Niedergang‘ Europas schon seit hundert Jahren die Rede."
Diesen Glauben haben auch diverse Linke und Rechte. Die prognostizieren auch seit über 100 Jahren den Untergang Europas. Für mich ein religiöses Phänomen. Untergangsphantasien sind seit der Offenbarung des Johannes sehr populär. Sage keiner, Linke und Rechte würden nicht religiös sein. Ihre Rituale sind religiöser als die der Jesuiten...
Trotz meiner harschen Kritik ist der Artikel natürlich absolut richtig. Nur weil ich die Frage nach dem russischen Sendungsbewußtsein plus dem russischen Minderwertigkeitskomplex (den man nicht nur bei Dostojevskij findet) für eine alberne Frage halte, heißt es noch lange nicht, sie sei belanglos. Dazu muß man nur einmal Dugin gelesen haben, um zu wissen, diese russische Form des Isolationismus ist wieder ungemein populär. Die übrigens nichts anderes als ein elitärer Faschismus ist. Der einfache Russe muß nichts wissen, sondern nur an die Überlegenheit der Elite glauben. An diesem Punkt ist Russland längst angekommen. Leider. Die Ukrainer sind einen völlig anderen Weg gegangen. Das ist auch der eigentliche Grund für diesen Krieg.
Wikipedia basiert auf Schwarmintelligenz und ist daher zumindest in einigen Punkten herkömmlichen Lexika sogar überlegen.
Ja. So mancher Artikel von mir basiert auf einen Artikel, den ich in einer Fußnote auf Wikipedia gefunden habe. Kein schlechtes Recherchemittel.
Ich stimme Magda aber zu. Der Artikel trifft den Kern russischen Handelns und ihrer Ideologie. Man könnte darüber ganze Bücher schreiben. Oder ganze Bücher daüber lesen.
»Keine Ahnung, was Wikipedia so viel Feindseligkeit einträgt.«
Das ist doch nun recht einfach zu erklären. Das Vorgehen mit Schwarmintelligenz und der Pflicht, Behauptungen auch mit Quellen zu belegen, garantiert zwar nicht, dass stets alles genau richtig ist, funktioniert aber unterm Strich immer noch ziemlich gut darin, Verschwörungstheorien zu entzaubern, was deren Anhänger natürlich ärgert. Letztlich verhält sich das ganz ähnlich wie bei Bellingcat, welches die Putinisten leidenschaftlich hassen.
Stimmt. Beides.
"Deshalb sollten Sie sie bei den Tatsächlichkeiten belieben und philosofffieren Sie keinen auf Fake gebauten Kram."
Ich habe keine richtige Idee davon, was Sie da kritisieren wollen.
++ Es gibt nichts, womit ich weniger anfangen kann, als mit dieser Diskussion. ++
Vielleicht, weil Sie soviel damit zu tun haben. Aber für mich z. B. ist das einfach ein spannendes und höchst informatives Gelände, das so manches erklären kann. Und dabei muss ich auch nicht mit allem übereinstimmen oder so. Ich finde einfach wichtig zu beobachten, was da vor sich geht und zwar seit Jahren. Was das für Gedankenwelten sind, ist schon spannend.
Da bin ich aber anderer Meinung. Ich finde dass da schon ziemlich fruchtbare Erde zu sein scheint. Und das ist nicht einfach so von oben gesickert. Glaube ich nicht.
Ich bin mir nicht sicher, ob nur Putin das Problem ist. In diesem Zusammenhang gibt es einen sehr interessanten Beitrag vom Spiegel-Redakteur Benjamin Bidder, der einige Paraden am 9. Mai miterlebt hat. Seine These ist letztendlich, der russische Faschismusbegriff ist irrational. Auch wenn er das nicht so schreibt. Genau das versuche ich seit Jahren zu vermitteln: Der russische Faschismusbegriff ist vollkommen irrational.
Ich habe nicht bestritten, es sei unwichtig oder unerheblich. Eher das Gegenteil ist der Fall. In meinem Artikel gibts ja auch nicht unabsichtlich den Hinweis auf Dostojevskijs "Erniedrigte und Beleidigte". Übrigens teile ich nicht ganz die Ansicht des Autors, im 19. Jahrhundert war diese Form des russischen Slavismus wirklich so viel europafreundlicher. Gerade Dostojevskij (und ab den 1980er Jahren auch Solshenizyn) haben immer mal wieder richtig üble und zum Teil auch arg nationalistische Kommentare von sich gegeben. Diese doch sehr spezielle Form des sich selbst erhöhenden (zum Teil aus der Position des Beleidigten und Unverstandenen) Nationalismus ist heutzutage quasi Standard in Russland. Für mich sind alle Anzeichen des Faschismus in Russland auch erfüllt. Ich begreife ehrlich gestanden auch nicht, warum das viele im Westen - speziell in Deutschland - so überhaupt nicht kapieren wollen. Wenn sich ein Deutscher und ein Russe über Nationalsozialismus unterhalten, reden sie vollkommen aneinander vorbei. Die meisten Deutschen merken das noch nicht einmal. Viele Russen nutzen den Begriff und meinen etwas völlig anderes. Besonders erblindet ist da ein Großteil der Linken, weil die vor ihrem geisigen Auge das Banner des Antifaschismus haben. Viele Russen meinen damit was ganz anderes. Wer nicht ihre Überzeugung teilt oder ihren Wunsch entspricht, die Ukraine mal so eben zu erobern, ist automatisch ein Faschist. Das mag irre klingen, ist aber so. Womit ich wenig anfangen kann, ist der dazugehörige Minderwertigkeitskomplex vieler Russen, aus dem viele eine "Andersartigkeit" definineren. Ich weiß: Schwer zu beschreiben...
Das, was davon wirklich an der Basis "einschlägt", ist die Kränkung, von deren Existenz die russische Bevölkerung ebenfalls nicht von einem Tag auf den anderen überzeugt wurde. Und die Kränkung liegt im Wesentlichen darin, in Europa nicht dazuzugehören, nicht hinzugebeten / eingeladen worden zu sein, etc..
Das gilt übrigens für die amerikanische Basis ganz ähnlich: wer einigermaßen zufrieden ist (und sei es auch nur mit sich selbst), erliegt keiner Trump-Versuchung.
Natürlich können Sie mit Fernsehen Sie eine Menge anstellen, wenn 'Sie die Programmgestaltung und die Variationen über die "Message" in der Hand haben. Trotzdem ist die russische top-down-Ideologie nicht nachhaltig - sie verträgt sich nicht mit dem Alltag der Leute.
Das meine ich mit der "Erde, die nicht da ist", und auf die sie fallen könnte. Das Regime und seine intellektuellen Zuarbeiter können zwar mit ihrer Putinpulpe viel Schaden anrichten, aber eine Ideologie, mit der sie etwas aufbauen könnten, ist das nicht.
Das ist ein großer Irrtum. Eher ist es so, Putin ist neuerdings nicht mehr in der Lage, diese Pappmaché-Ideologie erfolgreich zu verkörpern. Seine Armee versagt gegen die Ukraine jämmerlich. Auf die "Bauern" im Süden blicken viele Russen denn doch milde - aber auch etwas verächtlich - herab. Auch den Faktor darf man nicht unterschätzen. Eine militärische Niederlage gegen die Ukraine ist unmöglich. Es wäre die größtmögliche Demütigung. Das sehen vielleicht 10-20% der Russen anders.
Sie finden diese Feindseligkeit auch unter politisch völlig "korrekten" Menschen - zum Beispiel Studienräten. (Also, mit Rauschebart, natürlich. Von Höcke sehen wir jetzt mal ab.)
:))
Scholz und "tatkräftig" ist wohl ein Widerspruch an sich. Wobei Zurückhaltung in der aktuellen Situation aber von Vorteil wäre, wenn man denn auch bei dieser Linie bleiben würde (also nix mit Leidenschaft!). Das hat in dieser Koalition aber wohl eher schlechte Karten, sodass sich Scholz doch schließlich deren 'Zügen' angeschlossen hat, also den von FDP und Grünen.
Bei seinem Dank den "Alliierten" gegenüber, die Deutschland auf den Pfad der Tugend geführt haben (meine Formulierung), ist ihm offensichtlich entfallen, das die Befreiung von den Faschisten eben auch von den Russen bewirkt wurde, aber das musste dann wohl unter den Tisch fallen.
Wer wird denn jetzt noch bei Scholz genauer hinschauen wollen, jemand, der sich bereits beim G21 Gipfel nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte und im Cum-Ex-Skandal regelmäßig mit Gedächtnisverlust geschlagen und immer nur soviel wissend, wie absolut nicht mehr zu bestreiten war. Das zumindest hat er dann doch irgendwie "richtig gemacht", ansonsten sähe es wohl anders aus.
Und wohlwollend wird er (zumindest vorläufig) von der Hamburger Staatsanwaltschaft gleich aus der 'Schusslinie' genommen, wie kürzlich zu lesen war, hier.
Ja, das ist ein hervorragender Beitrag. Da spiegelt wirklich so viel wieder, was mir auch - aus der Ferne - nicht fremd ist. Im Grunde werden da immer mehr durchaus gute und bewegende Emotionen umgemünzt, instrumentalisiert und verfälscht. Das haben übrigens auch einige Linke sehr betroffen angemerkt.
Das werde ich gleich auf facebook teilen. Eigentlich alles traurig, aber in der Ukraine sterben Menschen und das ist furchtbar.
Um eine Kränkung besser verstehen zu können, sollte man sich die Deutschen nach 1919 genauer ansehen. Das war sehr ähnlich. Der Vergleich mit Trump ist nicht ganz unpassend, aber das wäre dann eher das innerstaatliche fehlende Zugehörigkeitsgefühl. Magda und ich gehen beide eher von einer nationalen Kränkung aus (die meistens nicht existiert). Sozusagen das einigende Band, um ein innerstaatliches Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen.
Klar - diese Diskriminierung gibt es. Aber ich glaube nicht, dass das bei den Putinwahlen ein bedeutender Faktor war.
Die Leute mögen Putin selbst das Elend im Land vielleicht immer noch nicht anlasten. Aber die Botschaft, ein großes und mächtiges Land zu sein und an der Basis nicht mal einen Fahrstuhl in Gang zu kriegen, in dem ein alter Veteran zu seiner Siegesfeier fahren kann - das beißt sich schon.
Zeigen Sie mir mal, was Putin mit seiner Ideologie nachhaltig hat aufbauen können. Die chinesische Führung hat das - ohne ethische Wertung ihres Vorgehens - durchaus hinbekommen. Moskau nicht.
Ja. Ich kenne das dahintersteckende Gefühl, aber die Auswirkungen im Laufe der Jahre kann nur jemand beschreiben, der jahrelang vor Ort war und Entwicklungen mitbekommen hat. Benjamin Bidder leidet übrigens enorm darunter, denn er fühlt sich Russland sehr verbunden. Sein Buch "Generation Putin" kann ich auch nur jedem empfehlen. Für die Maidan-Passage habe ich ihm allerdings auch schon den Kopf gewaschen, denn da irrt er ein wenig, weil er zu sehr auf die Ereignisse in Kyiv fixiert ist. Übrigens fand ich Bidder immer viel sympathischer und gehaltvoller als Reitschuster (wofür ich einige Male Prügel bezogen habe) vor seiner Kehrtwendung zum Covid-Leugner.
Die gekränkten Deutschen waren in der Regel gewaltbereiter als die nicht gekränkten, und sie haben den Nazis - zusammen mit ein paar bürgerlichen Herrenreitern, die meinten, Hitler im Griff zu haben - an die Macht gebracht.
Aber auch hier konnte die Gewalt erst richtig greifen, als die Nazis wirklich fest im Sattel saßen.
Vielleicht erinnern Sie sich an die Zeit nach dem 11.09.01. Damals herrschte in den USA ein echtes Klima der Einschüchterung gegen diejenigen, die den Sinn von "Militärschlägen" in Frage stellten.
Das alles ist weitaus "fließender", als es die eingängigen Geschichtsbücher gerne darstellen, und das gilt auch jetzt.
Bis vor wenigen Wochen war totalitär - m. E. zu Recht - nicht das Wort, das einem zu Russlands politischen System zuerst einfiel. Aber es beginnt sich zu "machen".
Das ist völlig richtig. Bezüglich der Zeit bis zur Machtergreifung incl. der Illusion der erzkonservativen Herrenreiter. Was den 11. September betrifft, so bin ich da anderer Ansicht. Weil das kein langfristiges Gefühl der Erniedrigung ist. - Was Russland betrifft, so war dieses Land seit Jahren in einem fließenden Marsch in Richtung Totalitarismus.
Doch, durchaus. Auch vor der "Reagan-Revolution", die ein enormer Raubbau an der industriellen Basis war, fühlten sich viele Amerikaner gekränkt. Und nach der Reagan-Revolution fühlten sie sich von den slick Clintons gekränkt. Die Fähigkeit vieler Amerikaner, für alles die "Liberalen" verantwortlich zu machen, kennt kaum Grenzen. Das hat sich mit den "sozialen Medien" sicher verschärft, aber diese Spinnereien gibt es seit langem.
So gesehen leiden Amerika, China und Russland - alle auf ihre Weise - unter ihrer selbsterklärten "Einzigartigkeit". Und Deutschland mault ein bisschen, wenn es sich nicht respektiert fühlt - soweit es sich traut.
Russland war m. E. von Putins - und vielleicht auch Jelzins - ersten Präsidententagen an ein Imperium. Aber von vornherein auf dem Weg in den Totalitarismus muss es schon darum nicht gewesen sein, weil Moskau am Anfang versuchte, den Westen von seinem Recht auf "Einflusssphären" zu überzeugen. Es hätte auch ein relativ "liberales" Imperium werden können. Aber eben auf Kosten anderer (was im Liberalismus häufiger vorkommt).
Ich glaube, bei aller Kenntnis, die Sie mir bei Russland voraus haben, erliegen Sie einem "Narrativ", weil es so schön "schlüssig" erscheint.
Solchen - durchaus feuilleteontauglichen - Narrativen fehlt dies hier.
Ich denke, man darf im Vergleich noch eine Epoche weiter zurück blicken. Im "Kultur" - Dünkel des Wilhelminismus gegenüber der "westlichen (europäischen) Zivilisation", das Ressentiment des Zuspät- und Zukurzgekommenen zeigen sich Ähnlichkeiten zu dieser gegenwärtigen russischen Wallung des nationalen Pathos. Das Scheitern dieser deutschen Überlegenheitsattidute 1918 ebnete den Weg ins endgültige Verderben.
"Ich habe mir das Photo einer Statue aus Lviv herausgesucht, um die Produktion anzukurbeln."
Und ich fragte mich schon, wer das eigentlich ist. Die Sache bleibt allerdings weiterhin rätselhaft, denn warum hat des Mönchs Bierfass ein Ziffernblatt auf dem Boden und warum steht da eine arabische 15 wo eine lateinische III und eine 17, wo eine V stehen sollte?
Da mir nichtmal die englische und deutsche wikipedia hier weiterhelfen können und mir der Zugang zur ukrainischen durch sprachliche Unkenntnis verschlossen bleibt, bleibt die Sache für mich mysteriös.
"Halvar wirkt nicht clever genug?"
Man kann über Halvar aus Flake eine Menge gute Dinge sagen, er ist mutig, leicht zu begeistern, ein Genussmensch und Draufgänger, der auch Gefühle zeigen kann – er erinnert mich ein bisschen an Anton Hofreiter. Cleverness ist bei beiden keine auf den ersten Blick hervorstechende Eigenschaft.
Ich vermute, der kleine Maulwurf könnte Halvar (und vielleicht auch Toni Hofreiter) beim Schachspiel besiegen.
Danke für den gelungenen Beitrag:
Wie mache ich aus einem Bruderkrieg einen globalen Krieg? Der Dreissigjährige Krieg dient Hollywood als Vorlage! Nur weiter so Jonas, vielleicht finden Sie noch nach Ninive ...
Ich bin nicht bei fb, insofern kann ich den Bericht nicht lesen. Aber, wenn Sie das seit Jahren sagen, wie ist der russische Faschismusbegriff denn, Ihrer Meinung nach definiert? (Ich habe mal einen sehr guten Bericht von Umberto Eco über den Urfaschismus gelesen, der kurz und gut auf alle möglichen Wurzeln zurück gehen soll und genau diese Beliebigkeit ist das Problem. In Zeit Online hinter der Anmelde- aber nicht hinter der Bezahlschranke.)
Ich sehe, gerade die letzten Punkte, wie Sie und daher Scholz auch insgesamt kritisch. Gerade sie lassen mich auch eher an Verschlagenheit, als an Verantwortungsbewusstsein denken, wobei das dennoch kurzfristig nützlich sein könne.
Es ist existienziell die Situation hier erst mal zu überleben, da bin ich dann durchaus auch bei JR's Nützlichkeitserwägungen, sozusagen als erste Hilfe. Aber wir wurschteln ständig im Modus des Löcher stopfens und der ersten Hilfe und das gerade auch wegen Figuren wie Scholz oder Merkel.
Nur muss man eben auch dabei nicht überdrehen und den Heißspornen oder berechnenen Ideologen die Deutungshoheit überlassen, die eigentlich keinen Unterschied zwischen dem Westen und anderen Systemen sehen, die ich doch sehr deutlich unterstreichen würde.
Da gehen die Meinungen auseinander, aber hier kann man drüber streiten, ohne dass einer von beiden von unseren Geheimdiensten kassiert wird.
Wir werden uns ganz schnell einig, Reagonomics, Thatcherism und was es sonst so gab ist der Spaltpilz schlechthin für demokratische Staaten. Das ist einer der Hauptursachen für das Erstarken von Trump, Le Pen oder der AfD. Dennoch ist das ein innerer Konflikt. Was Hillary Clinton betrifft, so steht sie für eine Politik, die das sogar eher zementiert hat. Was mich an der angeschreckt hat, ist ihre Political Correctness, die durchaus auch dikatatorische Zühe hat. Nur bin ich alles, aber garantiert nicht politisch korrekt... Gerne mehr dazu an anderer Stelle. Russlands Fasxhismus oder Russlands Destruktivismus ist ein ganz anderes Kaliber. Der hat sehr große Ähnlichkeiten mit den selbstüberheblichen Destruktivismus der Nazis. Um provokativ noch einen draufzusetzen: Die Deutschen simd soooo stolz auf ihre Vergangemheitsbewältigung. In jedem Jahr stelle ich immer mehr fest, wie wenig viele Deutsche ihre Vergamgenheit begriffen haben.
Ich glaube nicht daran, Putin oder Jelzin waren die großen Vordenker Russlands. Jelzin würde ich so nebenbei bemerkt nicht auf seinen Alkoholismus reduzieren. Da machen wir es uns aus dem fernen Westen ein wenig zu einfach. Auch die Illusion, der habe Russland an den Westen verkaufen wollen, ist plumpe Propaganda von Leuten, die kein Wissen üner Russland haben. Dafür muß man sich nur mal ansehen, welche Personen sowohl in Russland, als auch in der Ukraine die neue reiche und mächtige Schicht gebildet hat. Junge und mittlere Parteikader und KGBler, die ihre Reichtümer sammelte und die negativen Auswirkungen alten Feindbildern zugeschrieben haben. Dem bösen Kapitalisten USA. Welche US-Firmen haben denn nennenswert in Russland Einfluss gehabt? Die gleiche Clique schwadroniert nun zum Machterhalt etwas von Feindbildern, die in der russischen Gesellschaft tief verankert sind. Nur sind diese Mächtigen sowohl nach innen, als auch nach aussen weitaus zerstörerischer als andere Staaten. Russischen Soldaten wird suggeriert, sie hätten beim Entnazifzieren jedes Recht der Bereicherung. Fallen sie, kümmert sich niemand darum. In der Ukraine stehen mehrere Kühlzüge mit gefallenen russischen Soldaten, die Russland nicht will.
Keine schlechte Frage. Zumal man deutlich zwischen Faschismus und Nationalsozialismus unterscheiden sollte. Zudem gibts noch Nationalismus und Patriotismus. Ist jetzt etwas spät am Abend und ich sitze grad in einer Kneipe. Daher auch die fehlenden Absätze... Eines der Merkmale des Nationalsozialismus ist sicherlich der Antisemitismus, gepaart mit einem nationalistischen Sozialismus. Stichwort Volksgemeinschaft. Der real existierende Nationalsozialismus hatte sehr elitäre Züge. Stichwort Wille zur Macht, der sich auch in allen strategisch-militärischem Dummheiten Hitlers zeigte. Zudem standen die führenden Nazi-Politiker über dem Recht. Eine Ironie der Geschichte: Ein Oskar Schindler war im Nationalsozialismus möglich. Die Rettung der Juden wurde ihm als Marotte eines der unseren ausgelegt. Das hat mich immer fasziniert. Unter Stalin wäre Schindler übrigens niemals möglich gewesen. - Offen gesagt bin ich mit meinen Überlegungen, was was ist, auch nicht so richtig am Ende gelangt. Faschismus beinhaltet fasces. Das Bündel. Trifft vielleicht sogar eher auf Bandera zu. Im Moment denke ich, das Elitäre, das Korrupte trifft eher auf die Nazis und auf Putins Regime zu. Mit dem Unterschied, die Nazis errichteten ihr System 1933, Putins Regime nähert sich diesem System erst nach 22 Jahren. Wie gesagt-alles sind grad unfrisierte Gedanken...
Für einen Bruderkrieg brauchts Brüder. Wo sehen Sie Brüder?
Hier der Kommentar von Benjamin Bidder, der für mich allein deshalb sympathisch daherkommt, weil er mehr oder weniger das Resultat persönlicher Eindrücke ist, die ich selbst so nicht habe:
Benjamin Bidder, Facebook, 10. Mai 2022:
Ich habe jetzt erst Putins Rede am "Tag des Sieges" gesehen. Es schüttelt mich. Ich habe diesen Tag oft mitgefeiert. Mitfeiern dürfen. Als ich im Jahr 2001 als deutscher Zivildienstleistender nach Sankt Petersburg kam, da war ich überrascht und verblüfft und auch ein wenig verlegen, denn einerseits waren die Geschichten des Krieges und der Verbrechen deutscher Soldaten so präsent, wurden lebendig gehalten, aber es wäre zugleich auch niemand auf die Idee gekommen, mir als Deutschem irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Nicht einmal die durchaus legitime und offensichtliche Frage nach meinen Großeltern wurde gestellt. "Wir haben Krieg gegen den Hitlerismus geführt, nicht gegen das deutsche Volk", war ein Satz, den ich damals häufig gehört habe.
Er kommt mir in diesen Tagen wieder sehr viel häufiger in den Sinn. Damals habe ich das auf eine Art phantastisch und bewundernswert empfunden, wie konnten so viele Menschen in der Sowjetunion den Deutschen vergeben, was diese getan hatten? Und schräg fand ich den Satz natürlich auch immer schon, denn verlief die Grenze zwischen "Hitlerismus" und "dem deutschen Volk" nicht überaus häufig mitten durch Millionen von Mitläufern und Mittätern?Heute sehe ich diesen Satz ganz anders. Er und die Art des von oben verordneten Umgangs der Sowjetunion mit "dem deutschen Volk" nach dem Krieg scheinen mir eher Indizien zu sein für Teile dessen, was wir heute auch beobachten: Für die Instrumentalisierung von Geschichte, für die Tatsache, wie leicht sich die Stimmungen in der Gesellschaft in die eine oder andere Richtung drehen, manipulieren lassen.
Noch in Moskau, ab 2009, haben wir in den ersten Jahren die Feierlichkeiten zum 9. Mai durchaus genossen. Wir in die Stadt gefahren, nicht zur Parade, aber um an dieser ausgelassenen Volksfeststimmung an den ersten Tagen des Frühlings teilzunehmen. Das waren wunderbare Tage, und in die Freude, die für diese Region so typische Leichtigkeit der ersten warmen Tage nach (für uns westeuropäer) unvorstellbar langem Winter mischte sich mit der Freude, damals Hitlerdeutschland besiegt zu haben. Einmal saß ich auch auf der Tribüne auf dem Roten Platz, ich fand es beeindruckend, wie der ganze Platz jedem der greisen Veteranen applaudierte. Ich erinnere mich auch deshalb so gut daran, weil mir an dem Tag das Buch, das ich gelesen habe, um die ewige Wartezeit zu vertreiben, zwischen den Tribünenstufen auf den Boden gefallen ist und nicht wiederzubekommen war. Es war von Camus, "der Fremde".
Spätestens seit 2012 ist mir der Tag des Sieges fremder geworden. Die Volksfeststimmung ist immer stärker von aggressiven Tönen durchzogen worden. Durch den Kamergerskij Pereulok in Moskau zogen Mitglieder der Kreml-Jugend in Weltkriegsuniformen. Ab 2014 tauchten die "Georgsbänder" auf, die zwar historische Wurzeln haben, aber erst wieder zu Ehren und Prominenz gekommen sind als Erkennungszeichen der Freischärler und russischen Truppen während des Donbass-Kriegs ab 2014. Wir haben in den letzten Jahren in Moskau zum 9. Mai nur noch große Bögen um die russische Innenstadt gemacht.
Russland hat begonnen, am Tag des Sieges nicht mehr nur des Sieges über Hitlerdeutschland zu feiern, sondern diese Erinnerung und die "Heiligkeit" dieses Sieges auch zu übertragen auf seine heutigen Feldzüge: Donbass, Syrien, jetzt den unprovozierten Angriff auf die Ukraine. Aber noch nie wurde das so explizit ausgesprochen, wie bei dieser plumpen schrecklichen Rede von Putin gestern auf dem Roten Platz. Hinter ihm sitzen Veteranen des Zweiten Weltkriegs, aber es geht gar nicht mehr um sie. Putin hat für den Einstieg seiner Rede fast die identische Passage verwendet wie letztes Jahr. Und direkt danach kommt er auf die angeblichen Verfehlungen der Nato und der Ukraine zu sprechen, den angeblich geplanten Angriffskrieg des Westens gegen Russland.
Ich weiß, dass der "Tag des Sieges" immer schon ambivalent war. Aber über die vergangenen Jahre hat Putin diesem Tag alles geraubt, was positiv daran war: diese gewisse Leichtigkeit, auch Freude, die Veteranen, die wenigsten einmal im Jahr im Mittelpunkt standen. Nun geht es nur noch darum, Legitimation abzuleiten für seine Verbrechen. Er hat ja vieles in den Dreck gezogen in seinem Land, auf Jahre und Jahrzehnte diskreditiert. Der "Tag des Sieges" gehört auch endgültig dazu. Und die Menschen, die mir vor Jahren erzählt haben vom Unterschied zwischen "Hitlerismus" und dem einfachen "Volk" rufen Hurra oder fahren ihre Kinder in der Provinz in Pappmaché-Panzern herum. Es ist so viel zerstört worden, nicht nur in der Ukraine, und ich frage mich manchmal, wie das jemals wieder geheilt werden soll.
»Und die Kränkung liegt im Wesentlichen darin, in Europa nicht dazuzugehören, nicht hinzugebeten / eingeladen worden zu sein, etc..«
Ich finde diesen Punkt interessant, weil er so vielschichtig ist. Ich nehme (vielen) Russen so ein Gefühl der Kränkung durchaus ab, gleichzeitig wird mir da zu bequem mit dem Finger auf die EU gezeigt (und das natürlich unter eifriger Mithilfe des seit Anfang der 2000er herrschenden Machtsystems).
In den 1990er Jahren war eine Einbindung eines demokratisierten Russlands nach meiner Einschätzung definitiv auf der Agenda - man wollte ein Land von der Größe und Bedeutung Russlands unter seinen Freunden und nicht auf der Gegenseite wissen. Gleichzeitig sah man aber, was dort gerade passierte - die Bandenkriege, die Kämpfe um das "Volkseigentum", Mord und Totschlag, den es ja auch in anderen postowjetischen Ländern wie etwa der Ukraine zu der Zeit gab. Es sprach aus der damaligen Sicht einiges dafür, hier erst einmal die Füße stillzuhalten und eine gewisse Stabilisierung abzuwarten. Das Land würde sich berappeln und dann immer noch wollen. Heute, wenn man etwa die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens betrachtet, kann man vielleicht einwenden, dass man mittlerweile etwas "mutiger" geworden sei. Damals war man es nicht.
Das Problem war letztlich, dass die "Stabilisierung" in Form von Putin kam, der zwar am Anfang - etwa in seiner Bundestagsrede - schöne Worte fand, aber dessen Hintergrund in der organisierten Kriminalität zumindest in Kreisen von Sicherheitsdiensten mit Sicherheit bekannt war. Auch wenn mir hier einige widersprechen werden, bin ich doch überzeugt, dass Putin von Anfang an nie die Absicht hatte, Teil eines westlichen Systems zu werden - denn die Regeln, nach denen dort gespielt werden, standen in direktem Widerspruch mit den Regeln, nach denen er herrschen wollte. Außerdem hätte ein "Miteinander" auf Augenhöhe mit den Europäern für ein Land, das (wieder) eine Großmacht sein wollte, fast schon wie eine Degradierung gewirkt.
Jetzt auf den Westen zu zeigen und dem vorzuwerfen, er hätte die ausgestreckte Hand zurückgewiesen, ist vor allem eines: ein nützliches Narrativ, das einen Nerv vieler Menschen in Russland trifft und in die "richtige" Richtung kanalisiert.
Ich gebe offen zu, dass ich in den frühen 2000ern wie viele andere meiner Landsleute gern glauben wollte, dass Putin zwar nicht ganz ohne sei, aber doch im Grunde das Land in eine richtige Richtung führe. Das bekam zunächst 2004 und dann noch drastischer 2008 einen Kratzer, und erst danach begann ich, mich eingehender mit seiner Person und seinem System auseinanderzusetzen. Ich habe den Eindruck, dass viele Deutsche viel zu lange in der erwähnten Hoffnung ausharrten, was heute bei der Verbreitung gewisser Narrative immens nützlich ist.
Danke, auch für den Bidder Text. Einige Interpreten sagen, es fehle nach dem Zusammenbruch der UdSSR an einem vereingenden Mythos für Russland, dass nun nicht mehr allein die Sowjetunion repräsentieren kann.
Diese mythischen Aspekte sind vermutlich richtig und wichtig, der zunehmend aggressive und paranoide Unterton könnte Kalkül sein, um von innenpolitischen Versäumnissen anzulenken, aber er verpflichtet eben auch, das ist die Gefahr.
Hier ein paar Vorschläge zu den psychologischen Aspekten des Faschismus.
ergänzend:
https://taz.de/Vom-Kult-des-Sieges-zum-Kult-des-Krieges/!5851531&s=Latynina/
die hat die geschichte schon zu ende überdreht
"Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, dass Stalin diesen Krieg geplant hatte, der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde."
da versteht man plötzlich alles, einfach alles. na ja, das vielleicht noch nicht ganz:
https://twitter.com/peterpobjecky/status/1523654575429144576
gut, dass er's später gelöscht hat.
es gibt einen boden für magische beschwörungen(und verdrehungen) putins:
"russen bombardieren keine wohnungen!"
"wir unterstützen die unsrigen !"
= identitäres denken verstrickt völker in barbarische praktiken !
"Für einen Bruderkrieg brauchts Brüder. Wo sehen Sie Brüder?"
Fahren Sie nach Ninive, dort finden Sie die Antwort ...
Über Jelzin müssen wir uns nicht streiten - ich glaube nicht, dass ich den unterschätze. Aber an ihm ist eben auch erkennbar, wie viel ihm das "große Erbe" des Imperiums wert war, wenn er es gegen eine Präsidentschaft für sich selbst eintauschen konnte.
Insofern: der Hass kam mit dem Scheißefressen. Dass der Fraß selbst angerichtet war, ändert nichts daran, dass die Geschichte einen Verlauf hat, und der lautet mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht, dass der Hass und die (sehr instabile) Überheblichkeit am Anfang standen.
Ich gebe zu, im Bereich der Psychologie nie gut gewesen zu sein... Weshalb ich auch ein wenig Mühe habe, den Text z.B. auf die italienische Geschichte unter Mussolini zu übertragen. Die Dedovshchina in der russischen Armee dürfte Faschismus in Russland schon immer begünstigt haben. Eine Welt der Willkür, die das Bild vermittelt, in der Welt gibt es nur Starke und Schwache.
In jedem Jahr stelle ich immer mehr fest, wie wenig viele Deutsche ihre Vergamgenheit begriffen haben.
Auch das sehen Sie, glaube ich, zu statisch. Am Anfang waren die meisten Europäer froh, dass man den Deutschen ihre militärischen Zähne gezogen hatte. Mehr als ein halbwegs entspanntes "Volk der Mitte" wollte man gar nicht.
Die Aufforderungen an Deutschland, es müsse jetzt "führen", bedeuten ja nichts anderes, als dass Deutschland gefälligst machen soll, was Polen und die Ukraine fordern. Das fordern allerdings häufig Menschen, die das Nazi-Deutschland nicht mehr kennengelernt haben - weder von außen, noch von innen.
Insofern halte ich das Lernerfolgsglas der Deutschen für mindestens halb voll. Und Probleme beim "Verstandenhaben" sehe ich nicht nur bei Gegnern "schwerer Waffenlieferungen".
Wie ich weiter oben schon schrieb: ich gehe davon aus, dass Putin vielleicht glaubte, mit einem Teil des alten Imperiums davonzukommen. Ganz grundlos war diese Erwartung auch nicht; wenn es um Taiwans Souveränität geht, ist der Westen ja auch China gegenüber sehr entgegenkommend.
Der Westen hat durchaus Fehler gemacht - Barrosos Forderung, die Ukraine müsse sich zwischen einer Wirtschaftsunion (Ost) oder der EU entscheiden, war ein solcher Fehler. Wenn sie nicht sogar mit voller Überlegung gestellt wurde.
Aber darum ist Putin nicht in die Ukraine einmarschiert. Das tut er, weil er außer militärischen "Leistungen" nichts vorweisen kann. Vergeigte Industriepolitik, vergeigte Technologiepolitik, vergeigte Sozialpolitik, und eine dem entsprechende demografische Entwicklung (die ihn ja offenbar sehr schmerzt,und an der aus Putins Sicht wohl die LGBT-Bewegung Schuld sein muss.
Narrative gibt es wie Sand am Meer. Russland war nicht "westreif". Aber das war vermutlich auch nie ein gemeinsames Ziel. Hier hat sich wiederum der Westen vermutlich selbst geblendet - weil er sich so unwiderstehlich fand.
;)
Nur war zu diesem Zeitpunkt ein Auseinanderfallen der UdSSR kaum noch zu verhindern. Einige ehemalige Republiken waren zu diesem Zeitpunkt ohnehin ausgetreten. In der Ukraine gab es am 1. Dezember 1991 ein Referendum, in dem 92,3 % der Wähler für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Die Belovescher Vereinbarungen, auf die Sie anspielen, trafen Jelzin, Kravchuk und Shushkevich (kurioserweise starben Kravchuk und Shushkevich in diesem Monat innerhalb von 6 Tagen) erst am 8. Dezember. Sie ist also eine Folge und kein Tausch Jelzins. Die UdSSR war Ende 1991 ohnehin tot. Da hatte Jelzin nichts mehr zum Aufgeben.
Die Republiken, die definitiv gehen wollten, wären gegangen. Aber bei den Referenden verweise ich darauf, wie schnell es im Deutschland der letzten Monate ging, einen (scheinbar) recht tief verankerten Staats- und Volkspazifismus rauszureißen.
Das geht nicht ohne Propaganda - vom russischen Fernsehen wird (zu Recht) oft gesprochen; vom deutschen aber zu wenig.
Kurz: der popular will ist in solchen Phasen schwankend und beeinflussbar. Hätte Jelzin, der damals immerhin ein Volksheld war, sich an Gorbatschows Seite gestellt, anstatt ihn zu düpieren, hätte das durchaus zu anderen Verläufen führen können.
So richtig kann ich die Fokussierung auf den Westen nicht nachvollziehen. Sie spielt im Verhältnis zwischen Putins Russland und der Ukraine ohnehin keine Rolle. Von der eurasischen Wirtschaftsunion erwartete man in der Ukraine nie etwas. Was Russland (und die Ukraine) in den 1990er Jahren betrifft, so hat mbert Interessantes dazu geschrieben. Das hat mit "westreif" nichts zu tun.
Nun hat Mbert sich ja auf den Westen (und seine Unschuld) fokussiert, und darauf bin ich eingegangen.
Davon abgesehen war die Ukraine bis zum Janajew-Putsch durchaus kein Ausstiegskandidat aus Gorbatschows "neuer Union".
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_Unionsvertrag#/media/Datei:New_Union_Treaty.svg
Keine Ahnung, ob der Link funzt. Hier nochmal.
Eines verstehe ich nicht. Wieso kann man sich in Deutschland eigentlich ganz Osteuropa nur über die Kreml-Protagonisten Jelzin und Gorbachov denken? Wieso ist es nicht möglich, einmal wahrzunehmen, in Vilna, Tblisi und Kyiv wollte man 1991 offensichtlich nicht so, wie man es im Kreml wollte? Ein tief verankertes Staatsgefühl gabs nämlich nie in diesen Republiken.
Der Unionsvertrag fand deshalb Zustimmung, weil er den Republiken mehr Unabhängigkeit versprach. Der Augustputsch zeigte aber auch, wie fragil die Reformen waren, weshalb alle Republiken weg von Moskau wollten. Der Kompromiss trug einfach nicht. Übrigens - der Westen wollte kein Auseinanderfallen der UdSSR. Es wird ja immer gebetsmühlenartig diese Phrase heruntergebetet. Kurz gesagt: Bush bekniete Kravchuk regelrecht, damit die Ukraine nicht die Unabhängigkeit erklärt.
Ich beantworte beide Ihre neuesten Kommentare zusammen. Dass ich mir Osteuropa nur über Jelzin und Gorbatschow denke, trifft nicht zu. Ich halte mich aber gerne an frei zugängliche Quellen, wenn ich versuche, die damalige Lage zu verstehen, und zu der gehören selbstverständlich auch Gorbatschow, Jelzin oder Krawchuk.
Ohne Jelzin und vielleicht auch Shushkevich hätte die "selbstverständliche" Konsequenz aus dem Augustputsch keineswegs auf Ausstieg gelautet. Jelzin spielte dabei eine Führungsrolle - er war der "Mann des Jahres" in allen diesen Republiken.
Dranbleiben war das Mindestziel - alleine rankommen das ideale. Ob Jelzin schon damals vor allem das große Fressen reizte, oder ob er erst später bereit war, jeder Versuchung nachzugeben, lasse ich dahingestellt.
Russland wollte nicht "weg von Moskau", Herr Jonas. Echt nicht. :))
Da bin ich mir nicht so sicher, ob der Augustputsch die Ursache war oder ob die Zentrifugalkräfte der UdSSR nicht ohnehin so groß waren, dass ein Auseinanderfallen zwangsläufig war. Was ist eigentlich eine so unendlich große Katastrophe an einer selbständigen Ukraine und an einem selbständigen Belarus?
Wir diskutieren doch nicht die Frage, ob das eine Katastrophe war - ich jedenfalls nicht. Wir diskutieren darüber, ob das von den damaligen politischen Akteuren in der Sowjetunion unbeeinflussbar war.
Und davon wird m. E. mit zu großer Selbstverständlichkeit ausgegangen. Geschichtsbücher sind Beton; Gegenwart ist fließender Beton.
Die Frage ist doch vielmehr, ob die UdSSR ihre Republiken nicht ohnehin nur unter Zwang zusammenhalten konnte. Die würde ich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Was den Handlungsspielraum der damaligen politischen Akteure doch stark eingeschränkt hat. Der gestern verstorbene Kravchuk hat im Prinzip nur das umgesetzt, was die meisten Menschen in der Ukraine ohnehin wollten.
Sie setzen einen glasklaren Volkswillen voraus, den es so nie oder fast nie gibt. Ein deutsches Beispiel habe ich genannt; ein weiteres wäre das Mubarak-Regime.
Von denen, die auf dem Tahrirplatz demonstrierten, hatte (meine Behauptung) der allergrößte Teil vier Wochen vorher noch gar nicht gewusst, dass sie den Präsidenten hassten.
Das Fenster der Gelegenheit kann mitunter eine ganze Weile offen stehen, ohne dass es einer nutzen will. Übrigens: aus Sicht der weißen Südstaatler (und vermutlich nicht *nur* weißer) war auch die US-Union eine ganze Zeitlang ein "Zwangssystem".
Später war es Folklore. Und jetzt wird aus Gründen, die mit der Geschichte nur bedingt zu tun haben, wieder ein Thema daraus.
Danke, das kannte ich noch nicht. Sie haben Recht, es ist sicher nichts, was Vertauen in authentische Beziehungen, in denen etwas anderes gilt als Willkür/Sadismus/Recht des Stärkeren stärkt.
Die 'Diebe im Gesetz' waren mir geläufig, ich versuche immer noch mir ein Puzzle zusammen zu setzen.
Naja. Man kann natürlich eine Elitenherrschaft mit der Unmündigkeit des Bürgers begründen. Genau das hat übrigens zum Krieg Russlands gegen die Ukraine geführt. Im Kreml kann sich einfach niemand vorstellen, es finden sich genügend Menschen zusammen, die gegen einen Herrscher demonstrieren und diesen stürzen. Davon gibts im Westen auch genug. Von 1989 bis 2014 gab es gleich drei Revolutionen in der Ukraine. Sind die nicht vielleicht doch ein Zeichen dafür, ein "Volkswillen" kann sich auch mal manifestieren? Was bringt Menschen dazu, dahinter immer irgendeine Form von Verschwörung oder Beeinflussung vermuten zu müssen?
Man kann natürlich eine Elitenherrschaft mit der Unmündigkeit des Bürgers begründen.
Man kann auch auf ein Problem bei der öffentlichen Willensbildung hinweisen, ohne damit ein bestimmtes herrschaftliches Verhalten rechtfertigen zu wollen. Ist das für Sie unvorstellbar?
Der Hofreitertoni tut nur blöd. Der weiß auch ohne Wiki, ähm Wicki sehr genau, was er tut und was jetzt getan werden muss. Hach, die Karriere, das liebe Wort.
Ich habe den Eindruck, wir reden in einem wichtigen Punkt aneinander vorbei. Natürlich haben sich bei den Ukrainern im vergangenen Jahrzehnt eine Menge Punkte dafür angesammelt, sich gegen die russische Invasion entschieden zur Wehr zu setzen.
Aber wir reden über die 1990er Jahre - und ich bin der Ansicht, es hätte sowohl in Jugoslawien als auch in der UdSSR anders laufen können.
Das heißt zunächst einmal weder "besser" noch "schlechter" - aber Nationalismus ist nicht a priori hilfreich. Ein Kroate hat schließlich nicht in den 1970ern z. B. eine Serbin geheiratet, weil er bei sich zu Hause dringend eine Schreckensherrschaft brauchte.
Great to meet dear friend @niinisto. Estonia stands by your side as you are about to take historic decision to join @NATO. This would significantly contribute to the security of the Baltic Sea region. In today’s situation friends need to be together. pic.twitter.com/b9eC6e8ST6
— Alar Karis (@AlarKaris) May 11, 2022Wenn man sich die Geschichte der Ukrainer zwischen 1910 und 1950 so ansieht, war die Zugehörigkeit zu Russland/Sowjetunion noch weniger hilfreich. Die heutige Situation dürfte wohl eher damit zu tun haben, Europa hat ganz tief und fest geschlummert. Keiner hat mitbekommen, wie in Russland seit 2008 massiv ins Militär investiert hat. Wer darauf hingewiesen hat, war russophob.
Es gibt einen interessanten Artikel von Denis Trubetskoy auf der Spiegel-Seite. Der sehr gut die Arroganz und die Dummheit vieler Deutscher beschreibt, wenn sie über die Ukraine reden oder schreiben. Gut - der Welzer hatte einen Auftritt, der an Peinlichkeit fast nicht zu übertreffen ist. Jemanden zu belehren, der der Botschafter eines Volkes ist, welches im 2. Weltkrieg mehr Tote zu beklagen hatte als Deutschland, aus dem fast die Hälfte aller Zwangsarbeiter aus der UdSSR stammt und welches gerade von seinem Nachbarn überfallen wurde, war schon sagenhaft. Ich hoffe, das Video wird auch international bekannt, denn es zeigt: Manche Deutsche sind gegenüber Osteuropa ebenso arrogant wie ihre mit Knobelbechern durch den Osten marschierenden Vorfahren...
Wer als Ukrainer deutsches Fernsehen schaut, erlebt gerade düstere Momente. Warum kommen so viele Menschen zu Wort, die zwar eine klare Meinung haben, aber keine Expertise?
Das, was sich der deutsche Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer, einer der Unterzeichner des ersten Offenen Briefes an Bundeskanzler Scholz, gegenüber dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk am vergangenen Sonntag live bei Anne Will erlaubte, war einer der peinlichsten und traurigsten Momente, die ich je im deutschen Fernsehen erlebt habe. Der durch besondere Osteuropa-, Russland- und Ukraine-Kenntnisse bisher nicht aufgefallene Welzer begründete seine Ablehnung der Lieferung von schweren Waffen im Ernst mit der »ganz präsenten Kriegserfahrung« in deutschen Familien.
Das sagte er »als Mitglied dieser Gesellschaft« nicht nur dem Botschafter eines Landes, welches sich aktuell mitten in einem von ihm ungewollten Verteidigungskrieg befindet, sondern auch dem Vertreter eines der Hauptleidtragenden des Zweiten Weltkrieges, in dem die Ukraine zwischen acht und zehn Millionen Menschen verloren hat. Als sich Melnyk zu Recht empören wollte, wurde er von Welzer mit den unfassbaren Worten unterbrochen: »Bleiben Sie irgendwie beim Zuhören und ich beim Kommentieren.« Dass der ukrainische Botschafter auf diesen beispiellos arroganten Oberlehrerton nur mit »Ich bin kein Student« reagierte und nicht das Studio gleich verließ, halte ich für ein Wunder.
Stattdessen prägen die Briefeschreiber im deutschen Fernsehen inhaltsfreie Debatten über nicht näher genannte Kompromisse, während die Delegationen der Ukraine und Russlands eigentlich seit den ersten Kriegstagen verhandeln und Kiew es selbst angeboten hat, etwa über militärische Neutralität zu sprechen. Soll die Ukraine die Krim und die sogenannten Separatistenrepubliken anerkennen, während Russland in drei weiteren ukrainischen Gebieten militärisch aktiv ist? Und etwa die sogenannte »Entnazifizierung«, die durchaus in neu besetzten Gebieten von Moskau angepeilt wird, einfach akzeptieren? Würden sie, deutsche Intellektuelle und Prominente, das anstelle der Ukraine tun?
Das glaube ich nicht. Und das sollten auch deutschsprachige Medien ernsthaft hinterfragen, bevor sie auf eine abweichende und vermeintlich spannende Meinung ohne jegliche Grundkenntnis massenhaft hereinfallen.
Wir reden aber von den 1990ern, Herr Jonas.
Haben die Ukrainer keine historischen Erfahrungen, Herr JR?
Wenn Sie wütend sind, können wir nicht miteinander reden, Herr Jonas.
Naja. Wenn ich immer und immer wieder zu lesen bekomme, eigentlich ist doch das Opfer Schuld, wenn es dahingeschlachtet wird, auch wenn dieses wie hier durch die Hintertür kommt, sollte man von mir keine diplomatische Antwort erwarten. Zumal dann nicht, wenn noch immer die Deutschen so tun, als ob sie besser wüßten, was gut für die Ukrainer ist. Die Ukrainer haben sich 1991 aus freien Stücken dafür entschieden, ihren eigenen Staat besitzen zu wollen. Was gibts daran auszusetzen? War das Leben in Russland und in der UdSSR für die Ukrainer so viel schöner? Das hat mit Nationalismus einfach nichts zu tun. Aber eine Menge damit: Der Russland ist für die Ukrainer keine Perspektive. Weder heute, noch in der Zukunft.
Wenn ich immer und immer wieder zu lesen bekomme, eigentlich ist doch das Opfer Schuld, ...
Das lesen Sie rein - und wenn ich wollte, könnte ich darauf genauso undiplomatisch werden. Ich mag solche Selbstlizensierungen aber nicht, und darum lasse ich es.
Ich wünsche Ihnen einen brauchbaren Abend.
<<Die Ukrainer haben sich 1991 aus freien Stücken dafür entschieden, ihren eigenen Staat besitzen zu wollen. Was gibts daran auszusetzen?>>
Ich habe den Eindruck!, dass man nicht so richtig versteht oder sich nicht vorstellen kann, dass die Ukrainer einen Staat f ü r sich und nicht g e g e n Russland gegründet haben. Die Probleme traten doch immer dann auf, wenn Russland nicht verstehen konnte, dass es kein Imperium mehr gab und man es mit einem souveränen Staat zu tun hat.
Übrigens über diese Stelle in der Diskussion musste ich doch schmunzeln: "Ein Kroate hat schließlich nicht in den 1970ern z. B. eine Serbin geheiratet, weil er bei sich zu Hause dringend eine Schreckensherrschaft brauchte."
Also mal auf die Ukraine übertragen, da kann der angeheiratete russische Ehepartner heute häufig der viel "bessere" Ukrainer sein.
Da fällt mir gerade ein russisch-ukrainisches Paar ein. Er kommt aus Voronesh, sie aus Luhansk. Dank gewisser Probleme mit Putin zog es der Mann vor, in die Ukraine zu ziehen. 2014 mußten beide flüchten. Es ging nach Rubizhne. Von dort mußten sie Anfang März 2022 flüchten. Jetzt leben sie in Dnipro. Ich frage mich, wie oft sie eigentlich noch einen neuen Wohnort suchen sollen. Unter russischer Herrschaft zu leben würde für beide das Todesurteil bedeuten. Das ist seit Beginn des Angriffskrieges völlig klar.
Allerdings bin ich nicht nachtragend. Ich hoffe, Sie erinnern sich daran.
Glaube ich Ihnen ja. Aber wozu sollen wir diskutieren, wenn Sie jede Probebohrung in die Vergangenheit von mir als Delegitimationsversuch, als Opferschelte oder sonstigen Ekelkram anlasten?
Zum Glück müssen wir das nicht lebenswichtig klären - sonst wären wir ebenfalls schon im Krieg.
Virtuelle "Bekanntschaft" ist etwas gemeines, da man den Gegenüber nicht gut genug kennt, um zu wissen, wo der vielleicht mal - zu Recht oder auch nicht - empfindlich reagiert. Sie sind ja nun beide nicht weit auseinander.
Weit auseinander: nicht im Blick auf die Gegenwart und ihre Notwendigkeit. Wohl aber von den Vorstellungen her, die wir von fließender oder zwangsläufiger "vergangener Gegenwart" haben.
»Wohl aber von den Vorstellungen her, die wir von fließender oder zwangsläufiger "vergangener Gegenwart" haben.«
Und dafür lehne ich mich zurück und lese gern mit, hoffend, dass Sie sich nicht zanken ;)
Warten wir's mal ab. Ich gehe eigentlich nicht davon aus, dass wir uns auch bei den Geschichts-Lesemethoden einig werden.