Ein Propagandist als Verhandlungsführer für Friedensgespräche

Krieg gegen die Ukraine VIII Der Leiter der russischen Delegation für Waffenstillstandsverhandlungen mit der Ukraine ist Vladimir Medinsky. Warum bedeutet diese Personalie, es gibt keine Hoffnung auf einen Frieden?

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Die ganze Welt hofft auf ein Ende des russischen Angriffskrieges. Als Leiter der russischen Delegation für Waffenstillstandsverhandlungen wurde der ehemalige russische Bildungsminister Vladimir Medinsky ernannt. Es dürften wenige Personen in Russland zu finden sein, mit denen man besser belegen kann, Russland hat keinerlei Interesse an Frieden, sondern will die Ukraine auf allen Gebieten demütigen. Dank der Ahnungslosigkeit Westeuropas gelingt dies auch. Illusorische Hoffnungen auf Friedensgespräche sind in den Medien zu finden. Sie kennen Medinskys Vergangenheit nicht.

Was Medinsky von Friedensverhandlungen hält, demonstrierte er laut dem russischen Nachrichtenportal RIA Novosti sehr deutlich. Während der Verhandlungen zerschnitt er seine VISA-Karte und bildete mit den Schnipseln ein V und ein Z. Mit V für Vostok (Ost) und Z für Zapad (West) markiert die russische Armee ihre Fahrzeuge und Panzer, das Z gilt als Symbol für den Sieg im Angriffskrieg gegen die Ukraine.

1. Biographie

Vladimir Rostislavovich Medinsky wurde am 18. Juli 1970 in Smila in der Nähe von Cherkasy (heute Ukraine) als Sohn eines russischen Militärehepaars geboren. Nachdem er mit seinen Eltern in verschiedenen Orten der UdSSR gelebt hatte, siedelte er sich in den 1980er Jahren in Moskau an und bewarb sich an der Höheren Militärkommandoschule in Moskau, die ihn ablehnte. Seine Leidenschaft für das Militär tat dies keinen Abbruch. In Medinskys Büro hingen große Schlachtengemälde, die seine Leidenschaft für Russlands Kriege zeigen.

Er machte am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen eine Ausbildung und schloß das Studium in Politikwissenschaft ab.

Medinsky, ein professioneller Spezialist für PR-Technologien, der von Forbes als „Mann eines ideologischen Clans“ beschrieben wird, ist im 21. Jahrhundert fest in das Team von Wladimir Putin eingetreten. Nachdem er 2003 Abgeordneter der Staatsduma geworden war, wurde Medinsky bald zu einer prominenten Figur im russischen Establishment und erlangte Berühmtheit als effektiver Lobbyist, der die Interessen der Glücksspiel-, Tabak-, Bier- und Werbebranche förderte.
Kurzbiographie ru.citaty.net

Schon während des Studiums gründete er mit zwei Schulkameraden die Werbeagentur Corporation Ya, die mit großen Banken und Tabakkonzernen zusammenarbeitete und Investitionsgeschäfte nach dem Ponzi-Schema betrieb. Dies ist eine spezielle Form des betrügerischen Schneeballprinzips, bei der mit dem Versprechen hoher Rendite immer mehr Investoren gesucht werden müssen. 2011 kam es zu einer Steuerfahndung gegen die Corproation Y-Gruppe, bei der Medinsky selbst zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aktiv war, es stellte sich jedoch heraus, sein Vater Rostislav Medinsky war der Hauptaktionär dieser Gruppe.

1998 wechselte Medinsky in den Staatsdienst und übernahm hohe Posten in der Steuerpolizei. Ab 2002 war er Leiter des Exekutivkomitee von Einiges Russland in Moskau und zog 2003 für Putins Regierungspartei in die Duma ein. In seiner Karriere als Duma-Abgeordneter übernahm er unterschiedliche Funktionen:

⦁ Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Informationspolitik
⦁ Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik
⦁ Vorsitzender des Kulturausschusses.
⦁ Seit 2004 Mitglied des Präsidiums des Generalrats von Einiges Russland
⦁ 2004-2005 war er stellvertretender Leiter des Zentralen Exekutivkomitees für Informations- und Analysearbeit
⦁ Seit 2010 Mitglied der präsidialen Kommission, um Versuchen entgegenzuwirken, die Geschichte zum Nachteil der Interessen Russlands zu verfälschen
⦁ 2012-2020 Kulturminister der Russischen Föderation
⦁ Vorsitzender der 2012 gegründeten Russischen Militärhistorischen Gesellschaft
⦁ Leiter der 2021 gegründeten Kommission für historische Bildung
⦁ Seit dem 28. Februar 2022 Leiter der russischen Delegation bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit der Ukraine

2. Dichtung als Wahrheit

Bekannt wurde Medinsky auch als Autor vieler Bücher. Seine 2015 erschienende und verfilmte Buchreihe Mythen über Russland ersetzt schwarze Vorurteile durch rosa Vorurteile. Aleksey Isaev urteilte, Medinskys stütze sich auf drei "A": агитпроп, ахинея и алогичность (Agitprop, Unsinn und Unlogik).

Die Ernennung Medinskys zum Kulturminister ist natürlich jenseits von Gut und Böse. Mit dem gleichen Erfolg könnte man dort Malkin oder Ovechkin [berühmte Eishockeyspieler] ernennen. Der offen dekorative Charakter dieser Abteilung erlaubt es jedoch nicht, mögliche Änderungen im Zusammenhang mit dem neuen Charakter dieses Stuhls ernsthaft zu diskutieren.
Anton Nossik, 22. Mai 2012

Diese Buchreihe und der Film wurde während Medinskys Zeit als Bildungsminister veröffentlicht. Medinsky sagt, Fakten sind ihm völlig egal. Für ihn zählt der Mythos der Größe Russlands. Das hat Tradition. Jeder Russe und jeder Ukrainer kennt noch den Artikel 190 Absatz 3 des Strafgesetzbuches: Verbreitung vorsätzlich falscher, verleumderischer Erfindungen, die das Sowjetsystem diskreditieren. Medinsky hat sowohl in seiner Zeit als Bildungsminister, als auch als der Leiter der Kommission für politische Bildung nach einem sehr ähnlichem Prinzip verfahren. Nicht die Quellen sind das Maß aller Dinge für die Geschichte, sondern der Mythos eines Volkes.

Wir können alles, weil wir es sind egal, ob wir gut oder schlecht sind, er behauptet nicht einmal, dass wir gut sind, wir können es einfach, weil wir es sind.
russ. Historiker Mark Solonin, 26. Mai 2012 über Medensky

2014 veröffentlichte Medinsky eine Antwort an den Metropoliten Sophroni von Tscherkassy und Kanewski, Leiter der örtlichen Diözese der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat mit dem Titel: "Unser Mutterland ist ein Land, in dem Russland und die Ukraine befreundet und vereint sind", die nichts anderes als eine üble Beschimpfung mit den klassischen Klischees von Mazepa bis Bandera ist. Es könnte auch der Wortlaut der Kriegserklärung Putins 8 Jahre später sein. Medinsky war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung russischer Minister, keine einzige rechtsradikale Partei konnte die 5%-Hürde bei der Wahl der Verchovna Rada 2014 überspringen. Es ist ein Mythos, mit dem Medinsky agiert, der mit einer historischen oder gegenwärtigen Realität keinen Bezug hat. Was er selbst propagiert. Er fühlt sich der Größe des russischen Reiches verpflichtet.

3. Legende als historische Wahrheit

Meine tiefste Überzeugung ist, dass selbst wenn diese Geschichte von Anfang bis Ende erfunden wäre, selbst wenn es keinen Panfilov gäbe, selbst wenn es nichts gäbe, dies eine heilige Legende ist, die einfach nicht berührt werden kann. Und Leute, die dies tun, sind Abschaum.

Tatsächlich ist dies eine Geschichte, die nach den Maßstäben historischer Legenden absolut wahr ist. Allein die Diskussion über dieses Thema ist meiner Meinung nach blasphemisch. Ihre Leistung ist symbolisch. Und es ist in einer Reihe von Leistungen wie die 300 Spartaner, er ist aus derselben Reihe.
Vladimir Medinsky, Oktober 2016

Medinsky spielt auf die Legende vonPanfilovs achtundzwanzig Gardisten an. Das ist eine der vielen Legenden über den 2. Weltkrieg. Vom 14 bis zum 16. November 1941 sollen 28 Soldaten der 316. Schützendivision unter Führung von Ivan Panfilov in der Nähe von Volokolamsk gegen eine Übermacht von deutschen Panzern gekämpft haben. Sie konnten 18 Panzer vernichten und den Angriff stoppen. So die Legende. Panfilovs Einheit war aber nicht an diesen Kämpfen beteiligt.

2015 wurde diese Legende vom Direktor des russischen Staatsarchivs Sergej Mironenko anhand von Dokumenten aus dem Jahre 1948 als Propagandalüge entlarvt. Es stellte sich sogar heraus, einer der Rotarmisten aus Panfilovs Einheit - Ivan Dobrobabin - war in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und beteiligte sich als Leiter einer Polizeieinheit im Auftrag der Deutschen an der Deportation von Zwangsarbeitern. Das ergab ein Bericht des militärischen Oberstaatsanwalts der UdSSR Nikolai Afanassjev aus dem Jahre 1948. Diese interne Recherche wurde gemacht, um den Wahrheitsgehalt eines Zeitungsberichts der Krasnaja Swesda (Roter Stern) über Panfilovs Einheit zu überprüfen. Afanassjev kam zu der Überzeugung, die Legende um Panfilovs Einheit sei reine Fantasie. Dennoch unternahm man nichts gegen die Legendenbildung, die bis zum Ende der UdSSR populär blieb. 2016 wurde mit finanzieller staatlicher Unterstützung ein aufwendiger Spielfilm über diese Legende gedreht.

Der Regisseur des Spielfilms Panfilovs achtundzwanzig Gardisten Andrej Schalopa kommentierte die historische Forschung Mironenkos mit den Worten: "Diese Demaskierung und Entzauberung der Heldentaten ist sinnlos und unmoralisch." Mironenko wurde als Direktor des Staatsarchivs entlassen, weil er bei seinen historischen Recherchen das Wichtigste übersehen hatte - seine Forschungsergebnisse mit den Herrschenden abzustimmen.

Wie sehr der Kreml die Geschichtswissenschaftler aus der Bewertung historischer Ereignisse entlässt und diese an sich reißt, kann man an der Zusammensetzung einer historischen Kommission erkennen. Vladimir Medinski wurde 2021 zum Leiter einer Kommission für historische Bildung ernannt. Diese Kommission setzt sich aus Vertretern des Präsidialverwaltung, des Sicherheitsrats, der Generalstaatsanwaltschaft, des Außen- Innen- und Verteidigungsministeriums sowie des FSB zusammen. Historische Bildung ist in Russland eine Aufgabe von Beamten der Sicherheitsdienste und keine von Historikern. Medinski lässt schon seit Jahren keinen Zweifel daran, welche Prioritäten gesetzt werden müssen. Historische Genauigkeit gehört nicht dazu.

Wir müssen in den Menschen die Vorstellung von Russland als Siegermacht in diesem Krieg stärken.Offensichtlich war es unser Land, das am meisten zum Endsieg beigetragen hat.Es ist auch offensichtlich, dass wir die Früchte des Sieges nicht genutzt haben, aber wir haben das Recht auf moralische Genugtuung.
Medinsky über den 1. Weltkrieg

Eher komisch wirken die Bemühungen Medinskys um die Neubewertung des 1. Weltkriegs. Es geht ihm nicht um die historische Genauigkeit. Medinsky blendet vollkommen die Februarrevolution 1917 aus, die durch eine zutiefst kriegsmüde Arbeiterschaft in St. Petersburg ausgelöst wurde und sich auf die Soldaten an der Front ausweitete. Medinsky kommt es auf den Mythos des unbesiegbaren russischen Volkes an. Das richtige Geschichtsbild ergibt sich für ihn in der richtigen Erziehung des eigenen Volkes.

Laut VTsIOM-Umfragen aus dem Jahr 2014 betrachteten nur 34% der Russen Russland als eines der siegreichen Länder, aber ein weiteres Drittel der Befragten glaubte, dass unser Land diesen Krieg verloren habe. Ich habe gerade Daten von einer ähnlichen Umfrage erhalten, die dieses Jahr durchgeführt wurde. Die Zahl derer, die auf den militärischen Sieg Russlands vor 100 Jahren vertrauen, nimmt merklich zu: Sie sind bereits fast 50%. Darüber hinaus ist in den letzten vier Jahren die Zahl unserer Bürger, die sich der Ereignisse des Ersten Weltkriegs bewusst sind, von 30 auf 50 % gestiegen.
Medinskys Kommentar über Umfragewerte zum 1. Weltkrieg

Die Liste von Medinskys Kommentaren ist lang, die sein Geschichtsbild belegen. Er zitierte 2015 auf seinem Twitter-Account anlässlich der Flaggenhissung der russischen Flagge durch Nevelsky auf dem Amur 13. August 1850 Zar Nikolaus I.: "Wo einmal die russische Flagge gehisst ist, sollte sie nicht untergehen" Nevelsky hatte das Amur-Gebiet und Sachalin für Russland annektiert, was im "Ungleichen Vertrag von Aigur" 1858 mit China ratifiziert wurde und bis heute gültig ist.

Wenn Sie naiv glauben, dass Fakten die Hauptsache in der Geschichte sind, dann öffnen Sie die Augen: Niemand hat lange darauf geachtet. Die Hauptsache ist ihre Interpretation, ihr Blickwinkel und ihre Massenpropaganda.
Medinsky

Parallelen zur deutschen Geschichte drängen sich auf.

4. Finnen ruinieren und vertreiben

Wenn Sie das russische Staatsoberhaupt sind, werden Sie zuerst an Ihre Untertanen denken. Und wenn Sie die Finnen nackt im Schnee lassen müssen, damit Ihr Volk in Sicherheit ist, werden Sie die Finnen ruinieren und vertreiben.
Vladimir Medinsky, Mythen der UdSSR.1939-1945.M.: Olma Mediengruppe, 2011. S. 112
(430.000 finnische Zivilisten wurden im Winterkrieg 1939/40 aus ihren Häusern vertrieben)

Vladimir Medinsky zum Leiter der russischen Delegation für Waffenstillstandsverhandlungen zu ernennen ist ein überdeutliches Zeichen. Medinsky kennt nur zwei Lösungen: Vollständige Unterwerfung der Ukrainer und Russifizierung, die man auch "Entnazifizierung" nennt oder Vernichtung durch Krieg. Es ist die Erklärung eines totalen Krieges durch die Ernennung eines Propagandisten, der das 1000jährige russische Reich beschwört. Es werden seit dem 24. Februar nicht die Finnen ruiniert und vertrieben, sondern dies ist der Plan für die Ukraine. Niemand bringt dies deutlicher zum Ausdruck als Medinsky selbst. Frieden sollte nur derjenige erwarten, der ein Diktat und vollständige Unterwerfung für Frieden hält. Putin nennt es "Entnazifizierung" der Ukraine...

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