Give us the tools and we will finish the job

Krieg in der Ukraine VI In Churchills Rede steckt mehr als eine Antwort. Diese Aufforderung ist noch aktueller als 1941 und in ihr steckt mehr als nur die einfache Frage nach Waffenlieferungen.

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Einige Journalisten und einige Privatmenschen sowie in Deutschland lebende Ukrainer und durchaus auch einige Russen wiesen jahrelang auf die drohende Gefahr durch Putin hin. Sie bestand längst nicht nur für die Ukraine, sie besteht auch für das russische Volk selbst. Das deutsche Volk sollte die Russen aufgrund der Geschichte am Besten verstehen können: Die Hybris, jeden schlagen zu können und das irrantionale Gefühl, man sei eingekreist, obwohl man sich durch aggressives Handeln und Reden permanent selbst auskreist, haben einige Deutsche bis heute nicht als Hauptursache für zwei Weltkriege verstanden.

Welche Maßnahmen sollen die westlichen Regierungen einleiten?

Es gibt ein ehernes Prinzip, welches man vor allem dann beachten sollte, wenn man acht Jahre lang gegen Wände geredet hat und eines Tages aufwacht, um festzustellen, diese Wände sind gefallen. Nicht im Übermut zu verfallen.

In den vergangenen Jahren habe ich mir Kenntnisse über Osteuropa angeeignet. Das bedeutet, ich kann vielleicht besser als viele andere beurteilen, was gebraucht wird. Wie es umgesetzt werden soll? Wir sind ein demokratisches Land. Das wird in einem demokratischen Prozess diskutiert und beschlossen werden müssen.

Hier spreche ich etwas an, was ich für den Kardinalfehler (nicht nur) in Deutschland ansehe. Eine Zeitlang habe ich in einer IT-Abteilung als Programmierer und Anwendungsbetreuer gearbeitet. Dabei fiel mir auf, Geschäftsführer und auch Abteilungen haben den Drang, sich selbst für Experten zu halten. Sie wollten alles selbst machen und verlangten dafür Rechte. Das kann sinnvoll sein, aber es kann gewaltig in die Hose gehen, weil sie zwar Experten für andere Bereiche sind, aber die IT-Logik selten verstehen. Viel Zeit ging für den ohnehin vergeblichen Kampf drauf, den vermutlich jeder ITler kennt, wenn in den eigenen Bereich hineinregiert wird, weil viele von sich die Tendenz haben, sich selbst für den größten Experten zu halten. Die eigene Ansicht wird nun einmal gerne als die Wahrheit angesehen...

Lohnt es sich, den Ukrainern noch Waffen zu liefern?

Es gibt eine sehr interessante historische Parallele zu 1941. Damals glaubte man sowohl in fast allen Ländern, gegen diese hochgerüstete Armee aus Deutschland hätte die UdSSR keine Chance. Es gab nicht wenige, die sagten, die Lieferung von Waffen nach dem Lend & Lease-Act (bezahlt werden muß nur, was der belieferte Staat nach dem Krieg noch behalten will und was nicht verbraucht wurde) an die UdSSR lohne sich ohnehin nicht. Das Gleiche hört man heute. Bekanntermaßen kämpfte die UdSSR einen vier Jahre langen Kampf und der Lend & Lease-Act erwies sich als einer der Ursachen für die Niederlage des deutschen Angriffskrieges.

Die Ukrainer sagen heute das, was Churchill 1941 in einer seiner berühmtesten Rede gesagt hat:

Give us the tools and we will finish the job.

Den Ukrainern in einem Kampf zu helfen, der Züge des Volkskriegs der Franzosen 1871 oder auch einiger anderer Beispiele in der Geschichte hat, ist daher zwingend, wenn wir keine Welt haben wollen, in der wenige große Staaten viele kleinere Nachbarn als Satelliten betrachten. Das dies auch für China und den USA gelten muß, ist selbstredend, aber es ist zur Zeit einfach irrelevant. Die Zeit des Whataboutism ist vorbei, wenn das ukrainische Volk kämpft und die russischen Soldaten in bereits besetzten Gebieten feststellen müssen, sie werden in der Ukraine nicht als Befreier gefeiert. Die angerichteten Schäden zeigen: Russland kommt als Aggressor und als Besatzer und die russischen Soldaten erleben gerade die Wirklichkeit, die in ihren Medien nicht vorkommt und über die in ihrer Heimat nur noch hinter vogehaltener Hand geredet werden kann. Das Wort Krieg darf auf Anordnung des Kreml auch keine oppositionelle Zeitung mehr schreiben, wenn sie nicht abgeschaltet werden will. Soziale Medien wie Facebook werden beschränkt, damit den Russen nicht die Bilder gezeigt werden, was ihr Präsident unter "Entnazifizierung" versteht.

Die Zeit des Diskutierens in der Ukraine ist vorbei. Im Moment brauchen sie Waffen gegen eine Unzahl von Panzern und für die Bekämpfung von Hubschraubern, Bombern und Raketen, mit denen die russische Armee Zerstörungen anrichtet.

Soll Russland vom SWIFT-Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden?

Ganz so einfach ist die Beantwortung dieser Frage nicht. Zudem ist es eine technische Frage. Wenn ich etwas erreichen will, muß ich zu einem Experten gehen und ihn sagen, warum ich was brauche. Dieser Experte kann mir Vorschläge machen, die noch weitaus sinnvoller sind.

⦁ Es werden ganz kurzfristige Mechanismen gebraucht, die den Russen zeigen, es wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn sie es zulassen, ihr Präsident ordnet einen Angriffskrieg gegen ein Land an, welches sie selbst als ihr Brudervolk bezeichnen.
⦁ Maßnahmen sind nötig, die für Russland langfristig einen maximalen Schaden für den Fall bedeuten, Präsident Putin kann nicht im Land gestürzt werden und die Ukraine wird zu einem Helotenstaat des Kreml.

Es kann Sinn machen, Russland nicht komplett von SWIFT abzuschneiden. In einem langen Konflikt zählen Ressourcen. Es zählt auch, der Gegner darf die Züge nicht immer vorausahnen. Eine der wenigen Vorzüge eines diktatorischen Systems ist der Überraschungsfaktor, weil eine Person alles entscheiden kann und somit schnelle Entscheidungen möglich sind. Wie jetzt beim Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geschehen. Ironie der Geschichte: Sowohl die UdSSR, als auch Russland hatte aus den Erfahrungen 1941 immer eine panische Angst vor aus großen Manövern entstehende Angriffskriege. Das war 1941 geschehen und führte 1983 auch zu der Paranoia der überalterten sowjetischen Führung während des Kommandomanövers Able Archer. 2022 veranstaltete Russland ein Manöver in Belarus, in Russland, im Schwarzen Meer und im Azovschen Meer und griff am Ende dieses Manövers an.

Finanzexperten sollten nun entscheiden, welche Tools wir brauchen. Den Finanzexperten sollte aber auch gesagt werden, es geht durchaus auch um ein Zeichen an die Ukrainer. Nachteile für uns im Westen kann man und muß man auch in Kauf nehmen.

Sollen Sanktionen gewählt werden, die die russische Bevölkerung verschont?

Auch diese Zeiten sind vorbei. Auch hier gibt es interessante Parallelen zur deutschen Geschichte. Wer "Hitlers Volksstaat" von Götz Aly gelesen hat, der sollte eine der Hauptgründe für den Erfolg der Nationalsozialisten verstanden haben. Den Deutschen ging es noch lange während des Kriegs sehr gut und sie dankten es der Führung und dem Führer mit bedingungsloser Unterstützung. Die Angst vor dem Regime setzte bei vielen erst gegen Ende des Krieges ein.

Wenn Putin auf die Erfolge seiner Politik verweist, mag dies vielleicht bis etwa 2010 gelten. Spätestens 2011 ging die Politik Russlands in eine andere Richtung. Einer der Wendepunkte war der Streit zwischen dem Finanzminister Kudrin und dem Präsidenten Medvedev (nicht Putin!). Die Ursache war Kudrins Kritik an der unverhältnismäßigen Erhöhung der Militärausgaben. Man kann getrost davon ausgehen, Putin zog in diesem Streit die Fäden und Medvedev war nur der "LaKeitel", dem Putin zufällig das Präsidentenamt als Statthalter verliehen hat.

In den Jahren danach verstärkte Putin massiv auch die Ausgaben für die innere Sicherheit. Ein Beispiel dafür ist die Schaffung der Nationalgarde, die nur dem Präsidenten untersteht. 340000 Mann auszurüsten und zu bezahlen ist ein enormer Kostenfaktor für den Staatshaushalt. Hier vermisse ich auch eine Analyse des russischen Staatshaushalts. Das hat umfangreich keiner in der Öffentlichkeit getan. Hier wünschte ich mir, in den Chefredaktionen hätte jemand den Mut gehabt, Journalisten und Experten für eine ausführliche Analyse zu beauftragen, die sich wirklich mit dem Thema auskennen. An dieser Stelle ist es höchste Zeit für die sogenannte vierte Gewalt, auch mal umzudenken. Osteuropäische Journalisten sind da viel weiter.

Was soll mit North Stream 2 passieren?

Es gibt keinerlei Gründe, diese in Betrieb zu nehmen. Selbst dann nicht, wenn es unerwartet zu einer Revolution in Russland kommt. Speziell in Deutschland sollte man endlich damit anfangen, nicht zu viele rote Linien zu ziehen und sich dadurch in eine einseitige Abhängigkeit zu bewegen. Wenn man aus Kohle-, Gas- und Kernenergie gleichermaßen aussteigen will, kann man nicht sagen: Ja, wir haben bereits in der Zukunft Alternativen, die hoffentlich funktionieren werden. Das Problem an Plänen ist, sie scheitern oft in der Realität.

Es gibt vier absolute Grundprinzipien, die man immer und überall in der Politik zu seiner Grundlage machen sollte:

⦁ Diversität
⦁ Beachtung des Prinzips Angebot und Nachfrage
⦁ Freiheit des Marktes
⦁ Rechtssicherheit

North Stream 2 verletzt die Diversität, in die sich die deutsche Politik selbst gebracht hat. Eine Energiepolitik noch zu forcieren, bei der der bereits bestehende Anteil von 55% des Gasimports bereits aus Russland stammt (die USA fällt unter 1,5% Sonstige Länder), war Wahnsinn. Eine Politik mit nur einer Antwort ist zum Scheitern verurteilt. Dieser Frage werden sich auch die Grünen stellen müssen. Hinzu kam noch, Gazprom kontrollierte durch Tochterfirmen noch die Leitungen und zudem durch Scheinfirmen weite Teile der Gasspeicherung.

Mit diesem Problem sahen sich übrigens auch die Ukrainer ausgesetzt. Bis 2014 verletzte die Energiepolitik der Ukraine gleich alle drei Prinzipien. Eine Diversität wurde nie angestrebt. Man schloß Verträge, die zu einer Abhängigkeit führte. Der günstige Gaspreis plus weitere Subventionen für die Bevölkerung sorgten für eine Abkoppelung vom freien Markt. Die Bevölkerung verlangte günstige Gaspreise, was durchaus verständlich ist. Der Preis dafür war, Gas und Strom zu sparen lohnte sich nicht.

Es ist kaum möglich, in diesem Artikel den Wahnsinn zu beschreiben, den diese Politik der Abhängigkeit durch kurzsichtige Politik verursacht hat, die auch nach 2014 bei Weitem nicht behoben war. Deutsche Umweltaktivisten gaben den Ukrainern den nicht falschen Rat, höhere Preise in Kauf zu nehmen, damit sich energiesparende Produkte lohnen. Aber durch die jahrelangen Niedrigpreise hatte sich ein System entwickelt, welches dazu führte, Unternehmen sorgten dafür, die höher subventionierten Gaspreise zu erhalten, wovon besonders bis 2014 der Oligarch Pinchuk massiv profitierte.

Gänzlich fehlende infrastrukturelle Maßnahmen sorgten ebenso für kaum faßbare Ergebnisse. Das Gasunternehmen rechnet zumindest in der Region Poltava nur nach Häuserblock ab. Ein Relikt der UdSSR-Zeit. 1991/92 wurden in den gesamten ehemaligen Sowjetrepubliken die Bewohner einer Wohnung zu Eigentümern. Alles außerhalb der eigenen vier Wände wurde nicht geregelt. Welche Folgen das haben kann, kann man an der Gasversorgung erkennen.

Der Gasversorger hat kein Interesse an einer Einzelabrechnung. Niemand zwingt ihn dazu, diese teuren Lesegeräte für jeden Verbraucher einzurichten. Er akzeptiert auch keine privat einbebauten Lesegeräte. Fehlende Rechtssicherheit. Im Erdgeschoß befindet sich ein Geschäft, welches einem Politiker mit Einfluß gehört. Der möche gerne, mittels einer geöffneten Eingangstür sollen potentielle Kunden ins Geschäft gelockt werden. Im Geschäft soll der Kunde nicht frieren. Auch nicht im Winter. Was der gesamte Wohnblock da für Gaspreise zu zahlen hat, kann man erahnen. Das ist ein Extrembeispiel, aber es ist in Poltava die Realität einer gesamten Hausgemeinschaft.

Die oligarchische Antwort darauf lautet: Mehr Subventionen. Die rechtsstaatliche und wirtschaftliche Antwort lautet: Gerechte Maßnahmen zur Rechtssicherheit, damit die Bewohner auch Geld zum Einkaufen hat. Das Geschäft muß andere Ideen entwickeln, um wirtschaftlich und konkurrenzfähig bleiben zu können.

Die Ukraine hat in einem langsamen und zähen Prozess 2014 begonnen, diese Entwicklung umzukehren. Wenn man mit Teilnehmern des Maidans über ihre Motivation gesprochen hat, wurden 2014 viele solcher Geschichten erzählt. Speziell die russischen Oligarchen hatten keinerlei Interesse an Veränderungen, da sich ihre Taschen durch das Aussetzen der vier Prinzipien viel leichter füllen ließen. Macht und Einfluß sowie undurchsichtige Firmenkonstrukte sind entscheidend. Womöglich ist dies einer der Hauptursachen für die Furcht über den Maidan. Wo doch dieses Geschäftsprinzip mittlerweile auch mit Deutschland ganz gut zu funktionieren schien, die begannen, sich in eine ähnliche Abhängigkeit zu begeben.

Soll die Ukraine in die EU oder in die NATO?

Ja und nein.

Ja, weil dieser unbedingte Willen zum Kampf um das eigene Land in jeglicher nur erdenklicher Form gewürdigt werden muß. Vor allem dann, wenn es den Ukrainern tatsächlich gelingen sollte, in diesem Kampf ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

Nein, weil die Ukrainer weder für die NATO, noch für die EU infrastruktuell vorbereitet sind. Diese mit hohen Subventionen in einem möglichst kurzen Zeitraum erreichen zu wollen, dürfte die oben genannten Grundprinzipien verletzen.

Speziell Deutschland und Russland haben die Ukraine in diesen Verteidigungskrieg gezwungen. Russland wird, sollte das Wunder eines Sturzes ihres Präsidenten Putin Wirklichkeit werden, selbst Hilfe für die Umstellung ihres Haushaltes benötigen. Aber auch den Russen sollte wie den Deutschen nach 1945 gezeigt werden, sie sind mitverantwortlich für das, was in ihrem Staat geschieht. Es gab in Russland genügend Mahner, die ins Exil gehen mußten, in Gefängnissen sitzen oder irgendwann frustriert den ungleichen Kampf aufgaben. Auch wenn viele Deutsche glauben, es sei nur Navalny gewesen, so können Russen viele Namen aus allen politischen Lagern aufzählen.

Aber auch hier gilt: Anforderungen formulieren und die Durchführung Experten überlassen. Zumal im Moment niemand weiß, was passieren wird.

Persönlicher Abschluß

Immer wieder muß ich auch an Kennedys berühmte Rede denken, wenn ich sehe, was die Ukrainer nicht nur im Moment leisten. Die Ukrainer haben es viel mehr verdient als die Berliner 1963, wenn ich für mich an alle meine Freunde in der Ukraine den berühmten Satz zitiere:

Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieses Staates Ukraine, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Ukrainer.

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