Musikalischer Protest der 80er in Polen

Musik aus Polen #1 Musik aus Osteuropa ist in Deutschland nahezu unbekannt. Nach einigen Folgen über Musik aus der Ukraine jetzt ein Beitrag über Polen.

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Nachdem in Polen am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht ausgerufen und die Solidarność verboten wurde, übernahm in den folgenden Jahren wie schon öfters die Musikszene die Rolle, den Protest zu formulieren. Die ohnehin schon traditionell lebendige Musikszene in Polen, die in Deutschland schon seit jeher ignoriert wird, brachte die vielleicht spannendste europäische Musikszene hervor. Dezerter, Izrael, Kult, Brygada Kryzys, Maanam, Lady Punk, Siekiera, De Press und viele andere. Die Punk-Festivals in Jarocin zogen zehntausende Besucher an.

Republika wurde 1981 in Toruń gegründet und nach dem Tod des Sängers Grzegorz Ciechowski (1958-2001) im Jahre 2001 aufgelöst. 1983 nahmen sie die LP Nowe Sytuacje auf, die 1984 von der Band selbst finanziert in London auf Englisch aufgenommen wurde und den Titel 1984 erhielt. Der Band wurde mitgeteilt, man habe keine einzige LP verkaufen können. Definitiv eine Lüge. Der Song New Situations lief in meiner Heimat bei Partys rauf und runter, ein Bekannter besaß die LP und wir bezeichneten sie als einer der besten New Wave-LPs der damaligen Zeit. Im Jahre 2020 muß ich dieses Urteil nicht revidieren. Die Flöte spielt Ciechowski selbst. Republika war zunächst völlig erfolglos als Artrock-Projekt gestartet.

Das Projekt Republika ruhte für einige Jahre, weil Ciechowski seinen Militärdienst ableisten mußte. Während der Aufnahmen zum dritten Album zerstritt sich die Band und Ciechowski widmete sich dem Projekt Obywatel G.C. (Bürger Grzegorz Ciechowski), womit er in Polen kommerziellen Erfolg hatte, aber für mich nicht an die wilde Anfangszeit von Republika herankam. Auch der Pop im Westen war weicher geworden. Ciechowski auch: Tak...tak... to ja... (1988). Einige frühe Republika-Songs waren auch schon ruhiger und wurden in Polen große Hits: Biała flaga. 1991 fand Republika nach einer Einladung zum seit 1963 stattfindenden Nationales polnisches Liederfestival in Opole wieder zusammen.

Als ich 2009 davon hörte, Haydamaky und Voo Voo gehen gemeinsam auf Tournee und werden eine CD zusammen herausbringen, erwartete ich zuviel (Vgl. mbert - Quer durch den Garten). Voo Voo hatte schon gefühlt mit der halben Welt gespielt. Von Senegal bis zu anderen polnischen Bands. Ich hatte Trebunie-Tutki & Twinkle Brothers - Jo cłek wolny (Human) im Kopf, als die polnische Karpatenband aus Biały Dunajec in der Nähe von Zakopane mit der seit 1962 (bis heute!) aktiven Gruppe Twinkle Brothers aus Jamaika wie selbstverständlich polnischen Folk mit Reggae verschmelzen konnten. Twinkle Brothers hatten in Polen massiven Einfluß auf die Punkszene. Bands wie Izrael fanden durch sie zum Reggae. Bad Brains auf Polnisch. Als weitere Reggae-Einflüsse wird von polnischen Musikern immer wieder LKJ (Linton Kwesi Johnson) genannt,

Zurück zu Voo Voo. Die Band wurde 1985 von Wojciech Waglewski gegründet. Der Bandname ist eine englisch-lautmalerische Zusammensetzung des Bandgründers. Die Gruppe hat im Laufe der Zeit viele Stilrichtungen aufgenommen. Auf der ersten LP finden sich unter anderem Wavelemente und sie klingt wie eine britische Band aus den besten Zeiten: Wizyta II. Bei Voo Voo weiß man nie so recht, was ihre nächsten Pläne sind. Afrikanische Musik zusammen mit Jafia Namuel (ehemalige polnische Reggae-Gruppe aus Piła) Karnawal oder schon fast Swing Voo Voo & Anna Maria Jopek - Czas Pomyka Variante 2 Czas Pomyka II.

Höchst interessant war ihr Projekt Małe Wu Wu (Kleines Wu Wu) im Jahre 1988. Musik für Kinder und teilweise auch von Kindern eingesungen. Skacze Ślimak Śpiewa Żaba. An der LP war unter anderem Fiolka beteiligt, eine polnische Sängerin mit bulgarischer Abstimmung. Mit diesem Album feierte auch der Rap seine Premiere in Polen. Unschwer zu hören - Fiolka singt... Die LP gilt heute als Meilenstein der polnischen Musik. Kindermusik wie sie mir gefällt. Mit dieser LP bringt man den Kindern jede Menge Musikrichtungen bei: Czwarta Klasa Na Obcasach. Die gesamte LP lohnt sich, auch da Musik aus Afrika und Asien verarbeitet wurden. 1988 alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Małe Wu Wu

De Press ist nur bedingt eine polnische Gruppe. Zwei der drei Gruppenmitglieder sind Norweger. Andrzej Dziubek aus Orawa stammt aus der Tatra und singt auch in dem Dialekt der Tatra, der im Grenzgebiet zur Slowakei unweit von Tschechien gesprochen wird. Dziubek spielt auch den Bass, obwohl er bei einem Unfall drei Finger seiner linken Hand verloren hat. Er spielt mit der Handfläche. 1981 Punkrock at his best: Bo jo cie kochom. von der ersten LP Block To Block (1981), die in Norwegen die Auszeichnung bestes Rockalbum des Jahres erhielt. 1982 erschien die LP Product, die zum größten Teil auf Englisch gesungen wurde. Anspieltipp: In A Crowded Room.

Wesentlich experimenteller geriet Dziubeks zweites Bandprojekt Holy Toy, wie man an der LP Warszawa (1982) hört. Dziubek stellte die Aktivitäten für De Press zugunsten von Holy Toy zwischen 1983 und 1989 ein. Mittlerweile besteht die Band De Press aus polnischen Musikern.

Dziubek kam mit etwa 12 Jahren illegal in die CSSR und flüchtete von dort nach Österreich. Zum Studium ging er nach Oslo und ist seitdem als Maler und als Musiker tätig.
Unter seinem norwegischen Namen Andrej Nebb veröffentlichte er auch Lieder auf Norwegisch. To Kvinner hat allerdings überhaupt nichts mehr mit seiner Punkzeit zu tun. Wer perfekt Norwegisch kann, mag im Poem für eine Schlange (Lesung eines Gedichts von Tor Jonsson) einen polnischen Akzent heraushören.

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