Herrsche oder stirb

Quick & Dirty II George Soros optimistische Zukunftsprognosen bezüglich der Lösung des Klimawandels basieren auf grundlegend falschen Annahmen und Analysen. Ein Sieg der Ukraine bedeutet nicht die Hinwendung zur Herausforderung des 21. Jahrhunderts

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Die Länder des ehemaligen Sowjetimperiums, die ihre Unabhängigkeit behaupten wollen, warten gespannt auf die Niederlage der russischen Armee in der Ukraine. An diesem Punkt wird Wladimir Putins Traum von einem erneuerten russischen Imperium zerfallen und keine Bedrohung mehr für Europa darstellen, und die Welt wird sich auf ihr größtes Problem konzentrieren können: den Klimawandel.
George Soros, 16. März 2023

Während die meisten Wissenschaftler vor den immer weniger umkehrbaren Klimawandel warnen, leisten sich immer mehr Staaten Staatsführer, die ihr Land autokratisch regieren und dem Volk vermitteln, das Fortbestehen der Nation wäre ohne sie gefährdet und es drohe eine Unterwerfung. Nach diesem Prinzip regieren Putin in Russland, Erdogan in der Türkei, Xi Jinping in der Volksrepublik China, Netanjahu in Israel und Kim Jong-un in Nordkorea. Für dieses Politikprinzip stehen In Brasilien Bolsonaro, in Frankreich Le Pen, In Italien Berlusconi, in Deutschland die AfD und in den USA Trump, aber auch Venezuela oder Kuba werden nach einem ähnlichen Prinzip regiert. Alte Kategorien wie Links und Rechts versagen zur Erklärung vollständig. Beide politische Richtungen neigen dazu, äußere Feinde für das Versagen der eigenen Politik verantwortlich zu machen.

Soros Hoffnungen greifen viel zu kurz. Der Klimawandel wird nicht auf dem Schlachtfeld Ukraine entschieden. Selbst wenn Putin morgen gestürzt werden sollte und Russland sich aus der Ukraine zurückzieht, wird sich in China, Israel oder der Türkei nichts ändern. Xi Jinping würde jedes Klimaabkommen kippen, wenn seine Herrschaft durch seine verfehlte Wirtschaftspolitik gefährdet wäre. Ähnliches gilt auch für Erdogan in der Türkei.

Aber selbst in der Analyse des Russisch-Ukrainischen Krieges irrt Soros.

Bis Oktober siegte die Ukraine auf dem Schlachtfeld. Dann führte Russland mit Hilfe des Iran im großen Stil Drohnen ein. Ihr Ziel war es, die Moral der Ukrainer zu untergraben, indem sie der Zivilbevölkerung Strom, Wärme und Wasser entzogen. Dies brachte die Ukraine in die Defensive.
George Soros

Die ukrainische Armee konnte Anfang September östlich von Kharkiv und im Oktober/Anfang November in Kherson erfolgreiche Offensiven starten. Die Offensive auf Kherson startete nach den ersten schweren Raketenangriffen Russlands Mitte Oktober. Es gelang Russland lediglich im November, die Strom- und Wärmeversorgung in der Ukraine stärker zu stören. Dies betraf hauptsächlich die Zivilbevölkerung, die Stromversorgung für die Industrie konnte nahezu durchgängig aufrechterhalten werden. Im November war die Sorge groß, bei Kerzenlicht in kalten Wohnungen zu sitzen.

Mittlerweile hat die Bevölkerung gelernt, mit der ständigen Bedrohung zu leben. So gab es zwar zwischen dem 1. und 18. März (11:00 Uhr) in den Oblaste Poltava 70x, in Lviv 18x, Odesa 22x, Zaporizhya 81x, Kharkiv 92, Kyiv 27x Luftalarm, die Auswirkungen auf die Bevölkerung ist noch immer zermürbend, wie man den Berichten der Journalistin Karina Beigelzimer aus Odesa entnehmen kann, aber die russischen Raketenangriffe haben ihr Ziel, den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen, vollständig verfehlt. Durch die Angriffe wurde die Unterstützung der Bevölkerung für die eigene Armee eher noch größer.

Einen Tag später bekamen wir für ein paar Stunden Strom und ich war so glücklich, als ob ich 100.000 Euro im Lotto gewonnen hätte. Ich wusste, dass ich alles sehr schnell erledigen musste, ehe meine Welt wieder in der Dunkelheit versinkt. Da der öffentliche Verkehr lahmgelegt war, bestellte ich ein Taxi, um in ein anderes Stadtviertel zu gelangen. Während der Fahrt erzählte mir der Fahrer, dass viele Autounfälle wegen der nicht funktionierenden Ampeln passierten.
Karina Beigelzimer, 28. November 2022, Black Week in Odessa

Die zeitliche Nähe der russischen Raketenangriffe mit der letzten größeren Offensive der ukrainischen Armee ist eher zufällig. Der eigentliche Grund für das Ausbleiben einer weiteren Offensive der ukrainischen Armee hat zwei andere Gründe. Zum einen besitzt die ukrainische Armee noch immer nicht genügend Waffen und Munition für eine weitere größere Offensive, zum anderen verhindert die Rasputiza größere Offensiven.

Eine größere Offensive der ukrainischen Armee wird es kaum vor Ende April geben. Klar erkennbar ist, die russische Armee fürchtet eine solche Offensive und bereitet sich darauf vor. Shoigu hält die Eroberung von Vuhledar für das wichtigste Ziel. Zur Zeit kann die russische Armee die Ost-West-Verbindung der Eisenbahnlinie südlich von Vuhledar nicht nutzen und die Krym-Brücke steht frühestens im Sommer für Gütertransporte wieder zur Verfügung. Dennoch ist die Frage, ob die ukrainische Armee stark genug für die vermutete Offensive bis zum Azovschen Meer ist. Die umfangreich diskutierten Waffenlieferungen des Westens mögen zwar ein Gamechanger sein, aber Russland hatte viel Zeit, befestigte Stellungen und Minenfelder zu legen, um eine Offensive zu verlangsamen und zu stoppen.

Wie sehr die Witterungslage Offensiven beeinträchtigen kann, erlebt zur Zeit die russische Armee bei ihren eigenen Offensiven. Die Berichte über Munitionsmangel reißen nicht ab. Zwar verschießt Russland in einer Woche noch immer so viel Artilleriemunition wie die britische Armee insgesamt besitzt, aber beide Armeen haben Probleme, den Nachschub in die jeweiligen Stellungen zu bringen. Die Mutmaßung einiger Militärexperten, der nachlassende Artilleriebeschuß könnte seine Ursache darin haben, die Munitionsvorräte der russischen Armee werden knapp, könnten mit den Witterungsverhältnissen, der nicht ausreichend vorhandenen Menge an LKWs sowie der weitreichenden ukrainischen Artillerie wie HIMARS erklärt werden.

Die reguläre russische Armee befindet sich in einer verzweifelten Lage. Sie ist schlecht geführt, schlecht ausgerüstet und schwer demoralisiert. Präsident Wladimir Putin hat dies erkannt und ein verzweifeltes Risiko eingegangen. Er wandte sich an Yevgeny Prigozhin, der eine Söldnerarmee namens Vagner-Gruppe zusammengestellt hatte und unbedingt beweisen wollte, dass seine Streitkräfte die reguläre Armee übertreffen konnten.
George Soros

Diese Analyse von Soros ist haarsträubend und womöglich durch das eigene Wunschdenken geprägt. Prigozhins Vagner-Söldner kämpfen bereits seit 2014 in der Ukraine und waren zum Beispiel an der Offensive im Raum Popasna im März 2022 beteiligt. Zudem zeigt Soros Analyse, er hat die Taktik Prigozhins nicht verstanden.

Der Krieg begann mit der völligen Fehleinschätzung Putins, die Ukraine mittels einer Spezialoperation in wenigen Tagen einzunehmen. Daher setzte die russische Armee Spezialeinheiten der Marineinfanterie, der Luftlandestreitkräfte und auch die Eliteeinheit der 1. Panzergarde an die vorderste Front. Der Kommandeur der Bodentruppen der ukrainischen Streitkräfte Oleksandr Syrski sagte, der ukrainischen Armee gelang es nur unter Aufbietung sämtlicher verfügbarer Reserven, die drohende Einnahme von Kyiv zu verhindern. Führende US-Militärs hatten der ukrainischen Armee keine Chance eingeräumt, Kyiv erfolgreich verteidigen zu können. Die unerwartete Gegenwehr der ukrainischen Armee sowie die Offensive ab dem 16. März 2022 führte zu enormen Verlusten der russischen Elitetruppen, die den ohnehin schon großen Mangel an geeigneten und kampferfahrenen Ausbildern noch deutlich verschärft hat.

Prigozhins Vagner-Söldner waren hauptsächlich in den östlichen Frontgebiet stationiert, die nicht durch ukrainische Offensiven große Verluste erlitt. Die großen Rekrutierungen von Vagner in russischen Gefängnissen begannen nach der Offensive der ukrainischen Armee. Vorher rekrutierte Vagner hauptsächlich unter aus der russischen Armee ausgeschiedenen Berufssoldaten.

Die „Vagner“-Gruppe ist Prigozhins Werkzeug zur persönlichen Bereicherung. Und das nicht nur für Prigozhin, sondern auch für diejenigen, die hinter ihm stehen und zur Schaffung seiner Räuberarmee aus Söldnern beigetragen haben. [...]
Das ist die ökonomische Logik dieses Krieges. Putins "Oprichniks" haben in Russland einfach kein Territorium zum Plündern, also haben sie beschlossen, ihnen ein Nachbarland zum Plündern zu geben.

Vitali Portnikov, 7. Januar 2023

Es deutete sich ab April 2022 an, der Russisch-Ukrainische Krieg wird langfristig andauern und weitaus mehr Ressourcen als einkalkuliert verschlingen. Prigozhin wird festgestellt haben, der Krieg ist auch mit seinen gut ausgebildeten und ausgerüsteten Söldner-Einheiten nicht zu gewinnen. Diese zu verheizen würde ihm die Machtbasis berauben. Seine Idee, in russischen Gefängnissen zu requirieren, schonte einerseits seine kampfstarken Einheiten, andererseits gab es dem russischen Volk die Illusion, an diesem Krieg nicht beteiligt zu sein. Neu war der Gedanke nicht. In den von russischen Truppen besetzten Gebieten gab es diese Praxis ebenso wie im 2. Weltkrieg in der Roten Armee. Bewährung durch Kampfeinsatz.

Putins Spiel ging auf – bis zu einem gewissen Punkt. Die reguläre Armee, die sich bedroht fühlte, begann einen bürokratischen Krieg gegen Prigozhin – den sie gewann. Sie sorgten dafür, dass Prigozhin untersagt wurde, weitere Gefangene zu rekrutieren, und versorgten Wagner-Kämpfer mit der falschen Munition. In den vergangenen Wochen ging Prigozhin mit seinen Beschwerden an die Öffentlichkeit, eine Aktion, die Putin in eine schwierige Lage brachte. Zunächst versuchte Putin, Prigozhin zu helfen, aber das Establishment unterstützte die reguläre Armee. Gemeinsam überzeugten sie Putin davon, dass Prigozhin eine Bedrohung für seine fortgesetzte Herrschaft darstellt.
George Soros

Weniger Prigozhin war die Gefahr für das Regime Putin, es war eher die Machtbalance in Russland sowie das indirekte Bündnis zwischen imperial denkenden Nationalisten, die als Militärblogger auf Telegram-Kanälen und den Söldner-Einheiten wie Vagner, die die russische Miltärführung und somit auch Putin für ausbleibende militärische Erfolge verantwortlich machen. Prigozhins seltsam anmutende Ankündigung, bei der Präsidentschaftswahl 2024 in der Ukraine kandidieren zu wollen, deutet auf den ursprünglichen Plan der Spezialoperation hin, nach dem erwarteten Sieg Progozhin die Ukraine zur Ausbeutung zu überlassen. Schon Ende Dezember bat Prigozhin per Video Zelenskyj während dessen überraschenden Besuch in Bakhmut um ein vertrauliches Gespräch. Eroberte Gebiete durch Warlords beherrschen zu lassen - das konnte man in Süd-Ossetien, Abchasien und auch in den bereits besetzten Gebieten in der Ukraine sehen. Prigozhins Engagement seiner Vagner-Söldner in Syrien brachten ihn die Beteiligung an Öl- und Gasgeschäften ein.

Ohne Siege gibt es jedoch nichts zu verteilen und zu gewinnen. Insofern ist Prigozhin in Russland der Verlierer des ungünstig verlaufenden Russisch-Ukrainischen Krieges, denn die gewinnträchtige Rüstungsindustrie ist unter den führenden russischen Militärs verteilt. Davon zeugt auch diese Nachricht: Marina Yankina, Finanzchefin des Westlichen Militärbezirks im Verteidigungsministerium, wurde leblos auf einem Gehweg unter einem Fenster in St. Petersburg gefunden. General Gerasimov hat in diesem Bezirk Millionen unterschlagen.

Die Länder des ehemaligen Sowjetimperiums, die ihre Unabhängigkeit behaupten wollen, können es kaum erwarten, dass die russische Armee in der Ukraine zerschlagen wird. An diesem Punkt wird Putins Traum von einem erneuerten russischen Imperium zerfallen und keine Bedrohung mehr für Europa darstellen.
George Soros

Auch diese These ist eine Illusion. Selbst ein Rückzug aus der gesamten Ukraine bedeutet noch lange nicht das Ende von Russlands Traum eines erneuerten Imperiums. Ein militärischer Erfolg gegen Georgien dank eines Hilferufes der georgischen Regierungspartei, die von einem Milliardär finanziert wird, dessen Reichtum die Basis in Russland der 1990er Jahre dank guter Beziehungen zu russischen Politikern hat, ist ein denkbarer Ausweg für Putin. Das Verhindern eines georgischen Maidans sind laute Drohungen aus Moskau an Tiflis. Hinzu kommt eine lange Grenze der Ukraine mit Belarus und Russland, die die permanente Gefahr einer erneuten Invasion beinhaltet. Für die Reorganisation einer Armee benötigt man drei bis vier Jahre. Ein Zerfall Russlands wäre auch für den Westen ein Alptraum, den man verhindern will.

Soros wiegt sich in der Illusion eines Sieges, der mitnichten eine Bedrohung Europas beenden wird. Die Bedrohung von Staaten, die durch langjährige Staatsführer besteht, deren verfehlte Innen- und Wirtschaftspolitik durch äußere Feinde kompensiert wird, wird bleiben. Vor allem dann, wenn Putin, Lukashenka, Erdogan & Co.

Das Handbuch der Diktatoren besagt, gebe externen Agitatoren und ausländischer Finanzierung die Schuld an Problemen. Das verfängt selbst im Ausland. Putin wird die Macht nicht teilen und seinen geraubten Reichtum an seinem Lebensabend genießen können. Das eint sein Schicksal mit Erdogan und Xi Jinping. Die Büchse der Pandora hat Putin am 24. Februar 2022 geöffnet. Er kann sie nicht dauerhaft schließen, aber sie für eine Zeitlang durch den Verweis äußerer Feinde aussetzen.

Es ist die größte Abwanderung von Unternehmen in der Weltgeschichte.
Jeffrey Sonnenfeld, fDi intelligence, Februar 2023

Wirtschaftlich ist Russland weitaus stärker angeschlagen als es dank finanzieller Taschenspielertricks in den Bilanzen erscheint. Das Jahr 2022 konnte durch explodierende Rohstoffpreise überstanden werden. Diese sind mittlerweile wieder auf das Vorkriegsniveau gefallen. Investitionen sind in Russland auf einen historischen Tiefstand und die ökonomische Basis Russlands wird sich mittel- und langfristig kaum erholen (Vgl. VisualPolitik 9. März 2023). Von außen kann das System Putin militärisch nicht gestürzt werden und langfristig wird die Ukraine ohne Bündnispartner der Bedrohung seines Nachbarn sowohl wirtschaftlich als auch militärisch kaum widerstehen können. Wenn Soros auf die Länder des ehemaligen Sowjetimperiums verweist, übersieht er die taktischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Kreml, einzelne Staaten wie Belarus zu destabilisieren, in eine Abhängigkeit zu bringen und auch weiterhin militärisch bedrohen zu können.

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