Wix Mix #1

Strange Fruit Die 80er Jahre. Mit dem Auto der Eltern den Wochenendtrip antreten und im Cassettenrecorder die damals beliebten Mix-Cassetten hören.

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Meine Mixcassetten hießen immer Wix-Mix und bekamen immer irgendeinen Titel, um während der Fahrt leichter die Lieblingssongs der LP-Sammlung auf den Cassetten finden zu können. Dieser Tradition folgend wähle ich zunächst einen Song, der leider dank des Mordes eines Schwarzen durch einen weißen Polizisten auch nach über 80 Jahren immer noch wichtig ist. Der zweite Grund ist eine Hommage an Richard Zietz, der durch seine Mashup-Reihe meine Erinnerungen an Mix-Cassetten wieder hervorgerufen hat. Es wird ein Mix aus allen möglichen Stilrichtungen werden. Mal mit Geschichte, mal ohne, wenn ich so gut wie nichts über die Musiker weiß.

Billie Holiday - Strange Fruit (1939)

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Den Song "Strange Fruit" lernte ich nicht durch Billie Holiday kennen, sondern durch eine Coverversion von Siouxie & The Banshees, die ich bis heute für eine der Besten halte. Da ich bewußt nie auf Texte geachtet habe, dauerte es etwas, bis ich die Geschichte dieses Liedes verstand. Das von Abel Meeropol komponierte Lied beschreibt die Lynchmorde im ländlichen Süden an Schwarzen. Die Strange Fruits sind die an den Bäumen hängenden Schwarzen.

Ein Lied mit unendlich vielen Geschichten. In seinem Artikel über Soul und Funk erwähnt Richard Zietz den persönlichen Krieg, den der FBI-Chef Edgar Hoover mit Billie Holiday austrug. Der Ursprung dürfte eben jenes Lied Strange Fruit gewesen sein, welches 1939 erstmals von ihr aufgenommen wurde. Es wirkt in der Aufnahme aus Billy Holidays Todesjahr 1959 fast so, als liefe auch dieser Film vor ihren Augen ab. In ihrer Biographie traf sie die wunderbare Aussage: "Dieses Lied schaffte es, die Leute, die in Ordnung sind, von den Kretins und Idioten zu trennen."

Es gäbe unendlich viel über diesen Song zu erzählen. Sie soll mit dem Haß enden. Als sie an Leberzirrhose starb, standen an ihrem Bett Polizisten, die sie im Auftrag von Edgar Hoover wegen illegalem Drogenkonsum verhaften sollten.

va - Handel's Messiah-A Salsoul Celebration - Overture (1992)

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Will man die von den Schwarzen in den USA geprägte Musik in einem einzigen Song hören, kann man zur Overtüre von Händel greifen. An dem Album war so ziemlich jeder beteiligt, der Rang und Namen hatte. Quincy Jones, Chaka Khan, Edwin Hawkins (Komponist von O Happy Day), Al Jarreau, Stevie Wonder und viele andere. In Deutschland blieb die CD merkwürdig unbekannt und ich entdeckte sie erst einige Jahre später in einer Grabbelkiste. Hintergrund ist, gerade das Hallelujah des Weihnachtsoratoriums ist bis heute eines der wichtigsten Songs der Gospelchöre in den USA.

Juke Baritone & The Swamp Dogs - Hey God (2009)

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Fragt man mich nach einem Lieblingssong, könnte eine meiner Antworten ein Song sein, den kaum einer kennt. Er handelt von einem, der in eine Kneipe geht und hoffnungslose Typen trifft. Leider gibt es lediglich zwei CDs von dieser Band, die beide längst vergriffen sind. Es wurden mal 7000 Australische Dollar für eine dritte CD gesammelt. Bis heute ist die CD nicht erschienen. Mein Verdacht: Bis heute versäuft die Band bei Feldstudien in eben jeder Kneipe das Geld für die Plattenaufnahme...

Kjell Gustavsson & The Rhythm 'N' Blues Orchestra - The Boogie Boys (2010)

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Relativ häufig dröhnt die Neo-Swing-Kapelle von Kjell Gustavsson aus meinen Boxen. Selten leise. Und ich frage mich immer wieder, wie man es schafft, mit einer so guten Musik so unbekannt zu bleiben.

Peeni Waali - Shab Tab (2014)

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Der Musiker Fizzè (Victor de Bros) wohnt in Weite, 7km von der Grenze Liechtensteins entfernt. Bei ihm im Studio geben sich bekannte Musiker wie Rico, Linton Kwesi Johnson, Taj Mahal, Lee "Scratch" Perry, Robbie Shakespeare und viele andere die Klinke in der Hand. Victor de Bros produzierte in den 70er Jahren einige Platten von Van der Graaf Generator und Gentle Giant. Anfang der 90er schaffte er es, eine LP mit Linton Kwesi Johnson zu produzieren und die GEMA auch nach einem gewonnenen Prozeß herauszuhalten.

Es gibt eine interessante und ungewöhnliche Parallele zu Richard Zietzs Mashup Vol. 3. Victor de Bros war bei dem berühmten Konzert von Frank Zappa in Montreux dabei, als ein nie identifizierter Idiot meinte, mit einer Leuchtpistole in einer Konzerthalle in die Luft zu schießen und damit die Papiergirlanden, die an der Decke hingen, in Brand setzte. Auch dank des Eingreifens des autoritären Bandleaders Frank Zappa am Mikrophon gab es keine Panik und keine Verletzten. Die ebenfalls anwesenden Musiker von Deep Purple setzten diesem Konzert das musikalische Denkmal schlechthin: Smoke On The Water. Der Pianist Ian Underwood verlor bei dem Brand des Casinos in Montreux sein gesamtes Equipement und weinte nach dem Konzert hemmungslos. Während das Casino lichterloh brannte, der Rauch sich auf den Genfer See ausbreitete, fragte ein Journalist Frank Zappa, was ihm an der Schweiz besonders gut gefalle. Zappa drehte sich langsam um, betrachtete das brennende Casino und bemerkte: "Sie haben hier ein wunderbares Alpenglühen".

B.B. King - When It All Comes Down (1993)

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Montreux war öfter Schauplatz der Musikgeschichte. So zum Beispiel im Jahre 1993, als ein B.B. King in Hochform zeigte, wie man ein swingendes Gitarrensolo spielt. Es bleibt nur zu sagen: Viel besser kann man es nicht machen.

Rico - Dial Africa (1976)

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Dieser Song hat für mich eine ganz besondere Geschichte. Anfang der 80er nahm ich auf eine Cassette einen Reaggae-Sampler auf, auf dem ein für mich alles überragender Song zu finden war. Die Live-Version von Dial Africa, die nur auf diesem Sampler erschienen war. Oft genug legte ich diesen Song in den 80ern auf Partys und in Discotheken auf. Wie das mit Cassetten so war: Sie sind vergänglich. Bandsalat, der mit Klebstoff oder Tesafilm repariert werden mußte. Den Sampler fand ich nie wieder. Ende der 90er Jahre suchte ich in einem gut sortierten Plattenladen und fragte nach dieser Platte, die am Vortag zuvor tatsächlich verkauft wurde. Auf dem Plattenteller lief "Man Give Names To All The Animals" von Bob Dylan in einer französischen Coverversion. Ein guter Ersatz. Ich kaufte die CD sofort. "The Return Of Peeni Waali". Wie zum Hohn war Rico an dieser CD beteiligt.

Schon vom ersten Song an nahm mich die CD gefangen. Nice Time (In Swiss), gesungen von Lee "Scratch" Perry mit der Posaune von Rico eingespielt. Ein Reggae mit Schweizer Folklore mit Kuhglocken. Song Nummer 8 "Sleep Dub (Strekosa's Chant)" überzeugte mich, von dieser Band mußte ich mehr haben. Mongolischer Gesang aufgenommen im Jahre 1981 in einem irren Dub-Groove veschmolzen. So habe ich mir immer Musik vorgestellt. Dr. Pablo Black ist an dem Song auch beteiligt gewesen. Die Geschichte von Song 10 erfuhr ich später. Blues For Eddie Boyd. Eddie Boyd wohnte eine Zeitlang bei seinen Eltern und beeinflußte Fizzè stark. Aus der taz erfuhr ich, es gab noch eine weitere CD von Peeni Waali, die in einer Rezension als Platte des Jahrhunderts vorgestellt wurde. Ich suchte in Frankfurt, ich suchte in Berlin. Vergeblich.

Das Internet half. Für den Mondpreis von 52 DM bestellte ich bei einem Händler eine weitere Peeni-Waali-CD in Kanada. Die erste CD hatten die auch nicht. Ich fand das Plattenlabel, welches die Peeni Waali-CDs vertrieb. Sofort bestellte ich sämtliche fehlenden CDs und fragte einfach mal so, ob die mir auf meiner Suche nach der Live-Version von Dial Africa helfen könnten. Das Plattenlabel war ein Eigenvertrieb und ich unterhielt mich mit dem Musiker Fizzè selbst. Rico war grad vor einigen Tagen bei ihm gewesen und beide hatten zufällig diese Version gemeinsam gehört. Ich erfuhr, Rico war der Patenonkel seines Sohnes (sein anderer Sohn hat Linton Kwesi Johnson als Patenonkel - edler gehts kaum...). Fizzè lernte Rico per Zufall kennen. Er wurde gefragt, ob er eine Reggae-LP produzieren könne. Was war Reggae? In den 70ern, bevor Bob Marley bekannt wurde, eine gute Frage. Die Antwort suchte er auf Jamaika und wohnte dort bei einer älteren Frau. Diese bekam Fizzès großes Interesse an Musik mit und bestand darauf, ihn mit ihrem Sohn bekannt zu machen. Ihr Sohn hieß Rico. So bekam ich als Zugabe eine CD mit Songs von Rico und der Musiker bekam das Geld für das Stopfen hungriger Mäuler direkt von dem Musikfan. Ach ja - eine weitere Zugabe gab es auch noch. Eben jene vergriffene CD von Peeni Waali, die ich für 52 DM in Kanada ergattert hatte, gabs kostenlos als Zugabe. So zierten eine Zeitlang zwei gleiche CDs in meinen Regalen nebeneinander, bis ich eine davon der russischen Band Markscheider Kunst überreichte, um einen Kontakt zwischen Fizzè und dieser Band aus St. Petersburg herzustellen, der glaube ich aber nie zustande kam.

Lars Hollmer - Boeves Psalm (1981)

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Es ist manchmal schwer, die Perlen zu entdecken, weil Musiker sehr kauzige Menschen sein können und von der Musikindustrie nie entdeckt und vom Publikum verschmäht werden. Einer davon ist der Schwede Lars Hollmer aus Uppsala gewesen, der mit der ProgRock-Band Samla Mammas Manna zumindest einigen Eingeweihten etwas sagen dürfte. Wenigstens findet man seine CDs wie zum Beispiel Utsikter (2000) noch. Hier spielen Lars Hollmer und Fizzè den Song Boeves Psalm zusammen in einer Gaststätte im Osten der Schweiz (es ist übrigens der youtube-Kanal von Fizzè).

Raymond Scott & His Quintet - Twilight in Turkey (1937)

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Es gibt Musik, denen man das Alter höchstens über die Aufnahmequalität anhört. Ob The Toy Trumpet (1937) oder musikalisch mein Favorit In An Eighteenth Century Drawing Room (1939) - ich hätte das früher eher in die 60er oder in das Jahr 1958 verortet, als viele lustige und schräge Sachen veröffentlicht wurden. Raymond Scott wurde als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in Brooklyn geboren. Seinen Namen kennt kaum einer, seine Musik kennt jeder, ohne es zu wissen. Viele Zeichentrickfilme wurden mit seiner Musik hinterlegt. Powerhouse gab es da oft um die Ohren.

James Kok Orchester - Pacific Express (April 1934)

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All Aboard? Anschnallen - es geht in den Zugexpress mit einem der besten Bandleader der frühen 30er James Kok, der 1902 in Czernowitz geboren wurde. Es gibt vier faszinierende Songs mit Zügen aus den 30ern. Alle vom James Kok Orchester eingespielt. Fliegender Hamburger (1934) war eine Hommage an die damals schnellste Zugverbindung der Welt, die 1933 zwischen Hamburg und Berlin mit dem DR877 eingerichtet wurde. Der Orient Express (1933) startete schon ein Jahr früher, Der Nachtexpress nach Warschau (1937) wurde zwar mit dem Bandleader Erhard Bauschke eingespielt, der war aber Nachfolger von James Kok als Bandleader, da diesem am 1. Mai 1935 wegen "Unklarheiten in seinem Ariernachweis" und "unangepasstes Hotspiel" (Übersetzung für besonders gute Musik) die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Zudem war Kok als Gegner der Nazis bekannt. Wohl auch aus diesem Grund findet man etwas über James Kok im jüdischen Museum im heutigen ukrainischen Chernivtsi, welches sich auf der anderen Straßenseite der Oper (die baugleich mit der in Fürth ist) befindet.

Dead Kennedys - Riot (1982)

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"Tomorrow your homeless. Tonight it's a blast." Auf der LP Plastic Surgery Disasters befindet sich der für mich beste Song der californischen Punkband Dead Kennedys. Riot. Musikalisch der beste je gemachte Versuch, einen Aufstand zu beschreiben. Langsamer Beginn, ein gewalttätiger Riff und eine Orgie, mit einem hoffnungslosen Abebben am Ende. Meine Erinnerungen schweifen zurück in die Zeit, als Gennadi Janajev und andere in Moskau einen Putsch versuchten und die Menschen aufstanden. An eben jenem Abend legte Alan Bangs im WDR auf und hatte seinen Plan angesichts der Ereignisse völlig umgeworfen. Die gesamte Sendung handelte von Revolution und auch Spaceman 3 lief. Vielleicht der zweitbeste Song über Revolution...

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