Wix Mix #2

Flat Foot Floozie In der heutigen Folge geht es darum, wie der Rock and Roll entstand, wer als erster Musiker mehr als 6 Millionen Singles verkaufte und wer über Verstopfung gesungen hat.

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Slim & Slam - Flat Foot Floogie (1938)

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Wie erreicht man, mit einem Song gleich in zwei Staaten Ärger und Probleme mit der Zensur zu bekommen? Bulee „Slim“ Gaillard an der Gitarre und Leroy „Slam“ Stewart am Kontrabass schafften es. Eigentlich hieß der Song "Flat Foot Floozie", aber leichte Mädchen waren in der puritanischen USA nicht besonders angesagt und Radiostationen hätten diesen Song niemals spielen dürfen. In Deutschland erregte dieser Song bei den Nazis und der Gestapo Anstoß, da die Swingjugend diesen Song liebte und auf der Bordsteinkante balancierend "treudeutsch" sang. Musik war immer auch Mittel zum Ausdruck von Protest.

Der Evergreen Flat Foot Floogie wird bis heute immer wieder aufgenommen. Auch Nina Hagen interpretierte den Song. Für mich bleibt die sparsame Duo-Orginialversion aber unerreicht.

Trixie Smith - My Daddy Rocks Me (With One Steady Roll) (1938)

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Deftig ging es in der Musik auch schon früher zur Sache. So auch 1938 bei Trixie Smith, die in einem Song eine Nacht mit ihrem Geliebten beschreibt. Die Uhr schreitet voran und Trixie stellt fest "you know a lot of trix". Um 10 Uhr morgens weiß sie, "glory, I'm in heaven". Ich vermute einfach mal - ins Radio hat es dieser Song niemals geschafft.

1938 war die Musikkarriere von Trixie Smith längst beendet. Mit einigen Aufnahmen versuchte sie erneut eine Karriere als Sängerin. Darunter die Kiffer-Hymne Jack, I'm Mellow (1938), welches einem breiten Publikum seit 2017 als Titelsong einer Comedyserie bekannt wurde. Ende der 1930er war sie als Nebensarstellerin in einigen Filmen zu sehen und schlug sich ansonsten mit kleinen Auftritten und Revuen durch. Als sie 1943 nach kurzer Krankheit starb, war sie als Sängerin nahezu vergessen.

Erstmals nahm die in Atlanta geborene Trixie Smith den von J. Berni Barbour geschriebenen Titel "My Daddy Rocks Me" im Jahre 1922 auf. Neben den Anzüglichkeiten des Textes hat diese Aufnahme noch eine weitere überragende musikhistorische Bedeutung. Der Begriff Rock and Roll wurde erstmals in einer Musikaufnahme verwendet. Bei dem Thema des Liedes dürfte auch klar sein, was damit ursprünglich gemeint war.

Es begann die musikalisch beste Zeit von Trixie Smith. Auf einigen Aufnahmen ist 1925 auch der noch junge Cornet-Spieler Louis Armstrong zu hören. Wie zum Beispiel in Railroad Blues.

Das ein Musiker einen Titel mehrmals aufnahm, war damals durchaus üblich. Statt eine Neuauflage einer Single zu pressen, gingen die Musiker erneut ins Aufnahmestudio und nahmen den Song neu auf, weshalb es Songs gibt, die in einem halben Dutzend unterschiedlicher Aufnahmen zum Teil mit unterschiedlicher Besetzung existieren.

Heutzutage denken viele, damals hätte sich die populäre Musik in den Kinderschuhen befunden. Mag sein. Ben Selvin hatte 1920 mit der Aufnahme von Dardanella das, was man wohl einen Megahit nennt. Heutzutage ist dieses Lied längst in Vergessenheit geraten. Die Single ging 6,5 Millionen Mal über die Ladentheke. Selbst Michael Jackson schaffte das mit Billie Jean erst nach seinem Tod. Darüber hinaus wurden auch noch 2 Millionen Notenblätter von diesem Lied verkauft.

Screamin' Jay Hawkins - Constipation Blues (1969)

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Screamin' Jay Hawkins stellt zu Beginn fest, es gebe Songs über Liebe, über Beinbruch, aber keinen Song über "the real pain". Was dann folgt, ist einer der ungewöhnlichsten Songs der Musikgeschichte, vorgetragen von einem der Sänger mit der besten Stimme überhaupt. Ein Lied über Verstopfung. Mit einem Happy End, weil Menschen das Happy End so lieben. "I Feel Aaalriiight..." Es existiert auch eine Videoaufnahme mit Screamin' Jay Hawkins und Serge Gainsbourg aus dem Jahr 1983. Keine Ahnung, wer beim französischen TV auf die absurde Idee kam, jede Menge Blumen auf die Klaviere zu drappieren. Gainsbourg hat beim Vortrag von Hawkins Mühe, sich auf das Klavierspiel zu konzentrieren und bekommt das Grinsen angesichts des unglaublichen Auftritts von Hawkins nicht aus dem Gesicht. Screamin' Jay Hawkins gab in einem Interview mal bekannt, er habe diesen Song auf dem Klo sitzend komponiert.

Hawkins hätte Opernsänger werden können, wenn in den 40ern Schwarze dazu eine Chance gehabt hätten. Stattdessen wurde er der Gottvater aller Skandalmusiker, gegen den selbst Ozzy Ozbourne von Black Sabbath wie ein Ministrant aussah. Schon in den 50ern begann er seine Karriere. Legendär wurde Hawkins mit einen Song namens "I Put A Spell On You" der im trunkenen Zustand der gesamten Band irgendwann in der ersten Hälfte der 50er Jahre aufgenommen wurde. Das genannte Aufnahmejahr 1956 ist nicht gesichert. Die Aufnahme klang für die Zeitgenossen derartig teuflisch, Radiostationen verboten diesen Song. So mancher DJ hielt sich nicht daran und verlor seinen Job.

In einem seiner späteren Songs besingt er Fourteen Wives - biographisch eine grobe Untertreibung. Man sagt ihm nach, er habe 75 uneheliche Kinder mit 50 verschiedenen Frauen gehabt und seinen besten Freund Ende der 50er verloren, weil der keine so robuste Konstitution beim Saufen wie Hawkins hatte. In einem Jim Jarmusch-Film verschreckte er die Kinogänger als Zuhälter und bereits in den 50ern begannen die Konzerte mit einem Sarg auf der Bühne. Die Band spielte, langsam öffnete sich der Sargdeckel und Henry erschien mit einer brennenden Kippe im Maul. Henry hieß der Schädel, den Hawkins auf einem Stock befestigt hatte. Songs wie Alligator Wine dürften die Zeitgenossen verstört zurückgelassen haben. Hawkins Aussehen trug seinen Teil dazu bei. Auch das Kokettieren mit Dämonen oder Songs wie Feast In The Mau Mau über den Mau-Mau-Krieg in Kenia trugen dazu bei.

Hank Williams III - Rebel Within (2010)

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Hank Williams III nahm seine erste LP mit seinem Vater 1986 auf. Der Titel "Three Hanks: Men with Broken Hearts" verweist auch auf den 1953 im Alter von 29 Jahren verstorbenen Hank Williams. Alle drei gelten nicht unbedingt als Freunde des Nashville-Pop-Mainstreams, aber niemand formulierte seinen Unmut derartig deutlich wie Hank Williams III in Dick In Dixie:

“I’m here to put the dick in Dixie and the cunt back in country
’Cause the kind of country I hear nowadays is a bunch of fuckin’ shit to me
They say that I’m ill-mannered, that I’m gonna self-destruct
But if you know what I’m thinkin’, you’ll know that pop country really sucks.”

Musikalisch wurde Hank von seiner Familie und von der californischen Punkband Black Flag geprägt, seine Konzerte bestehen aus mehreren Teilen und das Publikum wechselt stark. Country, Bluegrass und Dixie am Anfang, danach Songs seiner Bands Superjoint Ritual und Assjacks verschrecken viele, auch wenn sie dem alternativen und ursprünglichen Outlaw-Country zugeneigt sind. Ich gebe zu, ein solches Konzert gerne mal zu sehen. Grad auch den rauen und ursprünglichen ersten Country-Teil ohne Spurenelemente vom klebrigen Nashville-Pop, der nur noch ein süßes Werbeplakat einer ursprünglich sehr lebendigen Musikrichtung ist.

Die drei Hank Williams standen jeder in ihrer Zeit für den Country, der nichts mit dem angepaßten Nashville-Thrash zu tun hat. Sein Vater Hank Williams jr. fiel 2011 allerdings negativ mit seinen rassistischen und antisemitischen Kommentaren auf.

Ash Grunwald - Smokestack Lightning (2013)

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Australischer Bluesrock von Ash Grunwald. 1976 in Melbourne geboren reicht sein Bekanntheitsgrad nur wenig über den 5. Kontinent hinaus. Seinen größter Hit Crazy hatte er mit Scott Owen und Andy Strachan (Living End), eine Coverversion eines Gnarls Barkley-Songs. Sonderlich viel weiß ich nicht über ihn. Er trat einmal als Gitarrist von James Brown in Tasmanien live auf und veröffentlichte vergangenes Jahr ein Buch. 15 Interviews mit Surflegenden.

Townes van Zandt - St. John The Gambler (1969)

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Nach einer Grillparty nachts um 3 eine Cassette mit Townes van Zandt auflegen, dann weiß man, warum dieser in Deutschland viel zu unbekannte Sänger aus Texas von vielen Musikern verehrt wird. Live habe ich ihn nie sehen können. Hatte Townes van Zandt Lust, konnte es passieren, man unterhielt sich wie in Heidenheim an der Theke mit einem Mann, der um 8 Uhr meinte, er müsse jetzt auf die Bühne, wo er um 2 Uhr nachts noch immer auf einem Barhocker spielte. Das sind die Konzertmomente, die man leider im Leben meistens verpaßt. Warum seine Biographie noch nicht verfilmt wurde, erschließt sich mir angesichts seiner teilweise absurden Lebensgeschichte nicht. Als Sohn reicher Eltern, die im Ölgeschäft tätig waren, sollte er auf eine Karriere als Footballspieler und eine Militärkarriere vorbereitet werden, fand aber eher Gefallen an Rauschmitteln wie Klebstoff und andere damals erhältlichen Rauschmitteln und versuchte das Gefühl zu spüren, wenn man aus einem 4. Stock springt.

„Ich denke nicht, dass meine Lieder alle so traurig sind.
Ich habe ein paar, die nicht traurig sind – die sind nur hoffnungslos.“

Townes van Zandt wird in späteren Folgen meiner Serie noch einmal auftauchen.

B.K. Anderson - Minimum Wage (1962)

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Worüber der Song geht, wird beim Betrachten des Videos jedem klar. Über den Musiker ist mir absolut nichts bekannt. Ich könnte mir vorstellen, es ist eine von einer US-Gewerkschaft finanzierte Aufnahme, um gegen den zu geringen Mindestlohn zu protestieren.. Der Song erinnert ein wenig an 16 Tons, den Merle Travis 1947 aufgenommen hat. 16 Tons beschreibt das Leben der Arbeiter in den Kohlegruben der USA während des 2. Weltkrieges. Acht Jahre später wurde der Song durch Tennessee Ernie Ford zu einem Evergreen. Es gibt derartig viele Coverversionen von diesem Lied, ich konnte in meinen ersten 30 Internetsendungen jedes Mal eine andere Version spielen. Die Liste ist extrem lang. ZZ Top & Jeff Beck, Johnny Cash, Paul Robeson, Selbst in der Ukraine nahm Ot Vinta eine Version für die Bergarbeiter im Donbas und nördlich von Lviv auf. Die Version des Chores der Roten Armee ist ein Griff ins obere Regal der Coverversionen.

Songs über die Arbeiterklasse gab es nicht nur von Pete Seeger, sondern auch zum Beispiel von Louis Jordan, der im gleichen Jahr wie B.K. Anderson Workin' Man aufnahm. Das 1966 von Lee Dorsey aufgenommene Working In A Coal Mine besingt den Frust eines Kohlearbeiters, der jeden Morgen um 6 hart schuften muß und am Wochenende zu müde ist, um Spaß zu haben. Gut - weder der Produzent noch der Sänger hatten je eine Kohlegrube von innen gesehen...

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