Trau keinem über 40. Mit ihrem adaptierten respektlosen Slogan meinen die Jungen nicht erst seit heute auch die einstige Hoffnungspartei der Jugend - obwohl die gerade erst halb so alt ist. Aber in der Politik zählen die Jahre offenbar doppelt, und daß die Grünen nicht nur ihre Jugendlichkeit, ihre Frische, Spontaneität und Lust an der Provokation, sondern auch den scharfen sezierenden Blick auf die Realität und die Fähigkeit zum kühnen Zukunftsentwurf verloren haben, registrieren nicht nur ihre Freunde so bestürzt wie ihre Gegner befriedigt; sie wissen es auch selbst. »Im Rahmen der Alltagspolitik ist das visionäre Denken versackt«, sagte der jetzige Fraktionschef im Bundestag Rezzo Schlauch schon vor vier Jahren - und meinte das bereits damals nicht als Aufruf zur Umkehr, sondern als Nachruf auf einstiges alternatives Denken und Handeln.
Natürlich muß Politik heute etwas anderes beinhalten als vor zwanzig Jahren. Die Wirklichkeit hat sich verändert, das Denken gewandelt, Hoffnungen richten sich auf neue Ziele. Fahrradfabriken statt Autowerke, Biobauern statt Industriearbeiter, Politik als Hobby - manch naiver Traum ist verflogen, die Grünen schliffen Ecken und Kanten ab, »relaunchten« ihre Programmatik. Und verloren dabei peu a peu ihre Identität. Nicht die sachlichen Veränderungen ihrer politischen Konzepte schlechthin nahmen ihnen Basis und Wähler übel, sondern den damit einhergehenden Verlust an Eigenständigkeit, an Phantasie, an Originalität. Daß ihnen am Ende nichts Besseres einfiel als das Einschwenken auf ausgetretene Wege, die Anpassung ans Bestehende und Gewohnte. Wie in die Jahre gekommene Familienväter (die sie ja tatsächlich oft auch sind) scheuen die Führungsfiguren der bündnisgrünen Partei das Risiko, den Widerspruch, das Aus-der-Reihe-treten. Dieser Verlust der Alternative ist es, der die Partei heute für jene unglaubwürdig - und damit unattraktiv - macht, die die Zukunft noch vor sich haben.
Die Sonnenblumen sind verdorrt. Und das nicht nur wegen des Einscherens in die NATO-Front, wenngleich die grüne Verteidigung der Bomben auf Belgrad mehr ist als klammheimliches Mitmachen; es ist der demonstrative Wechsel des Fußkleids - vom Turnschuh zum Knobelbecher. Eine Partei, die einst nicht nur die NATO, sondern auch die Bundeswehr abschaffen wollte, die militärischer Logik zivile Konfliktlösungskonzepte entgegensetzte, unterwirft sich devot den Eskalationsstrategen in fernen Kommandozentralen. Während die einen aus der Entscheidungsfindung aussteigen und bereitwillig eine Rolle als Sprachrohre psychologischer Kriegführung annehmen, basteln andere an Alibibeschlüssen für die aufgeschreckten Mitglieder. Statt Prinzipien Pragmatismus, statt eines Vetos Ventile.
Neu ist das nicht, eher schon die konsequente Vollendung eines langandauernden Prozesses, in dem grüne Fundamente unterminiert wurden. Der Atomausstieg, Glaubensfrage und Mobilisierungspotenz zugleich, wird zur Beliebigkeit zerredet. Zwar hebt der grüne Umweltminister hin und wieder drohend den Zeigefinger, doch der aus der Energiewirtschaft kommende Wirtschaftsminister teilt ungerührt mit, die Bundesregierung verfüge »über keinen Knopf zum Abschalten von Atomkraftwerken«. Vielleicht gebe es einen Ausstieg in zwanzig Jahren, vielleicht aber auch nicht. Die Entscheidung träfen die Kraftwerksbetreiber, und die würden nur abschalten, was sich wirtschaftlich nicht rechne. Die Umwelt? Verhandlungsmasse. Selbst bei der gerade eingeführten Ökosteuer ist das »Öko« nur argumentative Beigabe zu einer reinen Fiskalmaßnahme, die manchem dienen mag, nicht aber dem Schutz und der Erhaltung der Umwelt.
Längst wetteifern die Bündnisgrünen, die einmal nicht zuletzt für soziale Solidarität standen, mit der FDP um die Krone des Neoliberalismus. Hatte einst nicht Fritz Kuhn, der grüne Fraktionsvorsitzende in Baden-Württembergs Landtag, davor gewarnt, »das Standortgerede der Wirtschaftsverbände nachzuplappern«, handelt heute das jüngste zwölfseitige Eckpunktepapier der Bundestagsfraktion zur Wirtschaftspolitik fast nur davon, wie »Investitionen am Standort Bundesrepublik kalkulierbar und damit attraktiver« werden. »Wir verstehen uns als Reformmotor des notwendigen Strukturwandels«, verkünden die Verfasser stolz und fordern in einem Atemzug die weitere Senkung des Spitzensteuersatzes und die Einführung eines Niedriglohnsektors. Soziale Gerechtigkeit? Na ja, aber sie »darf nicht dazu führen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gefährdet wird« ...
Selbst in der Ausländerpolitik bescheiden sich die Grünen mit einer Minireform des Staatsbürgerschaftsrechts. Achselzuckend verweisen sie auf fehlende Mehrheiten, nachdem sie diese gerade verspielt haben. In ihrem hessischen Ursprungsland mußte eine Partei, die Massen gegen Frankfurter Flughafenbeton und Bibliser Atommeiler zu mobilisieren verstand, erleben, daß sie CDU-Unterschriftstischen nichts Wirksames entgegenzusetzen vermochte. Weder erkannten die behäbig gewordenen Altkader die Brisanz des Problems, noch hielten die meisten ihrer Anhänger kompromißlos dagegen. Sie haben die Straße längst verlassen.
Insofern relativiert sich auch der Übergang von Bündnis 90 /Die Grünen zur Kriegspartei. Es ist ein zwar spektakulärer, letztlich aber doch nur ein weiterer in der Vielzahl kleiner und größerer Schritte, die sie seit Jahren in die bei aller Vielsprachigkeit fest gefügte Front des Establishments getan haben. Die Grünen sind nicht nur in die Jahre gekommen, sondern endgültig auch im System angekommen. Und damit wohl aus der Zukunft ausgetreten.
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