PRISM ist nur die Spitze des Eisberges

Überwachungsprogramm Schon mal vom Überwachungsprogramm „ThinThread“ oder von „RAGTIME“ gehört - nicht? Das könnte daran liegen, das der Mediale Fokus auf PRISM liegt, doch es gibt viel mehr.

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http://teleschirm.info/img/218-0-0-nsa-hq.jpgIch finde es außerordentlich schwierig über diese Art von Themen zu schreiben und dabei nicht wie ein Hinterwäldler oder ein Verschwörungstheoretiker zu klingen. Ich hoffe, dass mir dieser Spagat in meinen Blogartikeln gelingt. Auch jetzt versuche ich es sachlich und neutral einen kleinen Überblick zu schaffen.

Zu beginn des Jahres las ich im Heise Ticker, dass die aktuellen Enthüllungen nur die Spitze des Eisberges seien. Ich hatte überlegt was nun noch schockierendes heraus kommen könnte und mir fiel nicht wirklich etwas ein. PRISM und TEMPORA waren in aller Munde und dass nun das gesamte World Wide Web überwacht wird, alle Telefonverbindungsdaten geloggt werden und zum Teil auch Mitschnitte gemacht werden, das wussten wir. Was sollte also noch kommen? Ich begab mich in eben jenes überwachte World Wide Web um ein wenig mehr zu erfahren. Die Folge war, dass da nicht viel Neues bei rum kam – außer obskurer Verschwörungstheorien.

Vor einiger Zeit habe ich mich an den Heise Online Artikel erinnert und dachte mir, dass ich doch mal wieder schauen müsste ob sich etwas änderte. So richtig Bahnbrechendes habe ich leider nicht gefunden. Schade. Aber dafür bin ich auf einen neuen Namen gestoßen – Tomas Drake. Eigentlich ist der Name gar nicht so neu. Er ist ein Wistleblower aus dem Jahr 2008. Doch so recht habe ich das nicht mitbekommen. Thomas Drake war ein hochrangiger Mitarbeiter des National Security Agency (NSA). Das Projekt „TRAILBLAZER“ (siehe: unten), eine art Vorstufe des PRISM Programms, war ihm ein Dorn im Auge. Aber nicht aus Aktionismus oder aus einem Profilierungswillen heraus, wie man es beispielsweise bei Bradley Manning (alias: Chelsea Manning) fand. Nein, er tat das aus der Überzeugung heraus, dass die USA unter Präsident George W. Bush in eine dramatische moralische Schieflage trieben. Die Nation, welche die Freiheit der Bürger als Garant für ein erfülltes Leben sieht, späht mit Hilfe des Auslandsgeheimdienstes, der NSA, seine eigenen Staatsbürger auf dem eigenen Staatsgebiet aus. Das war und ist ein Skandal. Ein Staat der innerhalb seines Territoriums seine eigenen Bürger ausspioniert ist nichts als ein Überwachungsstaat. Drake bereitete das schlaflose Nächte, allerdings konnte er sich niemandem außerhalb der NSA anvertrauen. Nicht nur seine Karriere stand auf dem Spiel, nein, sondern auch noch seine Freiheit und die wirtschaftliche Existenz seiner Familie. Warum ich auf diesen Namen nicht schon zu beginn des Jahres kam ist mir ein Rätsel.

Auf Grund seines „Verrats“ musste er seine Tätigkeiten an der National Defense University (NDU) und bei der NSA aufgeben. Heute arbeitet er in einem Apple Store.

THIN THREAD vs. TRAILBLAZER

THIN THREAD, was soviel heißt wie „Seidener Faden“ (wörtl. engl.: dünner Faden), war ein Programm der NSA. Es war eine riesige Datensammelmaschine, die Mitte der 90er das Licht der Welt erblickte und drei Wochen vor 9/11 eingestellt wurde, so die Baltimore Sun. Der damalige NSA Direktor General Hayden beendete das Projekt zu Gunsten des Projektes TRAILBLAZER. THIN TREAD hatte einen eingebauten Privatsphärenschutz, der ansprang sobald US Bürger betroffen waren. Die Daten wurden sofort ausgefiltert und verworfen. Sie standen damit nicht mehr zur Verfügung.

TRAILBLAZER bedeutet soviel wie „Wegbereiter“ und wurde mit einem Vertrag im Wert von 280 Millionen Dollar dotiert, an ein privates Unternehmen zur Umsetzung vergeben. TRAILBLAZER ist im Jahre 2006, nach eine Kongressermittlung, eingestellt worden, da es weit hinter dem Zeit- und dem kostenplan lag. TRAILBLAZER hat als Zielsetzung die vollständige Analyse von Telefondaten und –inhalten gehabt. Allerdings wurden hier, anders als im Projekt THIN THREAD, keine Privatsphäreschutzvorkehrungen getroffen.

Thomas Drake äußerte seinem Vorgesetzten gegenüber, dass er sehr besorgt über die Legalität des Projektes sei, da die NSA als Auslandsgeheimdienst keine Aktivitäten im Innern gegen Amerikaner durchführen dürfe. Auch moralischer Natur waren seine Bedenken gegenüber TRAILBLAZER. 2005 ließ der damalie US Präsident Bush das FBI nach denjenigen fahnden, die das elektronische Überwachungsprogramm der USA an die Öffentlichkeit verrieten, da die New Yorck Times über die Machenschaften bescheid wusste. An Drake wurde ein Exempel statuiert und er wurde unter anderem wegen Spionage und Landesverrat angeklagt. Doch dies hielt nicht stand und so wurde er lediglich zu einem Jahr auf Bewährung und $ 25.- Gerichtskosten verurteilt. Allerdings verlor Drake seinen Job und fand später Arbeit in einem Apple Store.

Das Nachfolgeprogramm von TRAILBLAZER war TURBULENCE und wurde ebenfalls als ineffizient eingestellt.

STELLAR WIND

http://teleschirm.info/img/227-280-0-room-641a.jpgSTELLAR WIND ist nicht ganz so gut erforscht wie THIN THREAD und TRAILBLAZER, aber auch dieses Programm gehört zum elektronischen Überwachungsprogramm des Präsidenten, welches die Überwachung der gesamten Telekommunikation als Ziel hat. Es wurde unter Präsident Bush kurz nach dem 11. September 2001 gestartet und unter Barack Obama weiter geführt. STELLAR WIND beinhaltet die Totalerfassung der US Telekommunikationsdaten, des gesamten US eMailverkehrs, Finanztransaktionen und der Internetaktivität der Nutzer. Auch große Bargeldgeschäfte wurden vom US Finanzministerium an die NSA gemeldet.

Innerhalb des Justizministeriums gab es Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit des Programms, da große Datenmengen erhoben werden. Außerdem Wurden vom FBI die Fälle von großen Bargeldtransaktionen untersucht und als „Pizza Fälle“ bezeichnet, da sich ca. 99% der Transaktionen als Lebensmittelkäufe zum Mitnehmen herausstellten. Lediglich ein Prozent (1%) war mehr oder weniger relevant. Im März des Jahres 2012 titelte das „Wired Magazine“The NSA Is Building the Country’s Biggest Spy Center (Watch What You Say!) (engl.: Die NSA baut das größte Daten Zentrum des Landes (Pass auf was Du sagst!)) und beruft sich auf die Aussagen eines ehemaligen Codeknackers des Dienstes. Er berichtete auch, dass die NSA direkt in den Datenverarbeitungszentren der großen US Telefonkonzernen direkt Daten Abschöpfen. Berühmt berüchtigt ist der Raum 641A im Datencenter der AT&T, einer der großen Telefonanbieter der USA. Am Raum 641A gab es keine Türklinken und er war speziell gesichert. In genau diesem Zimmer schöpfte die NSA Telefondaten direkt aus dem darunter befindlichen zentralen Knotenpunkt über einen Splitter ab.

RAGTIME

RAGTIME wurde im März 2013 von Marc Ambinder und D.B. Grady in ihrem Buch „Deep State: Inside the Government Secrecy Industry“ bekannt gemacht. RAGTIME beinhaltet vier Spionageprogramme – RAGTIME-A, RAGTIME-B, RAGTIME-C und RAGTIME-P. Warum das letzte Programm mit „P“ bezeichnet ist konnte ich nicht herausfinden, aber die Vermutung liegt nahe, dass es noch weiter zwölf RAGTIME-Programme gibt oder gab. Es heißt, dass gut 50 Unternehmen Daten aus den USA an die NSA weiterleiten. Das Programm wird besonders streng geheim gehalten, so sollen innerhalb der NSA nur etwa 36 Führungspersonen von diesem Programm wissen und nur etwa 1’000 Personen außerhalb der NSA, wobei sich nur etwa vier Juristen um die Einhaltung der Rechtssicherheit kümmern. Auch hier spielt das FISA Geheimgericht wieder eine zentrale Rolle. Es muss auf Antrag des US Generalstaatsanwaltes eine Genehmigung für die Massenhafte Datenerfassung ausstellen. Das Programm RAGTIME-P kann etwa fünfzig Datensätze auf einmal verarbeiten, dabei werden Daten- und Telefonverbindungsdaten und Gesprächsinhalte gespeichert, sowie ausgewertet.

MUSCULAR

http://teleschirm.info/img/228-0-0-skizze-zu-projekt-muscular.jpgAber auch der britische Dienst, dasGovernment Communications Headquarters (GCHQ), hat seine großangelegten und streng geheimen Spähprogramme außerhalb vonTEMPORA und PRISM. Mit MUSCULAR, was so viel wie „muskulös“ bedeutet, brechen die Dienste in die Cloudsysteme der großen Internetkonzerne ein. Im Oktober wurde diese Art der Datensammlung bekannt und ist somit sogar recht bekannt. NSA und GCHQ zapfen dabei die Datencenter - vor allem von Google und Yahoo - an und schöpfen somit außerhalb ihrer Heimatstaaten viel leichter Daten ab, da für die Auslandsgeheimdienste somit weniger Bestimmungen gelten und sie freies Spiel haben. Die Konzerne zeigten sich entsetzt, als diese Dokumente aus dem Snowden-Archiv veröffentlicht wurden, da sie davon nicht wussten und dachten ihre über alle Kontinente verstreuten Rechenzentren wären sicher. Was innerhalb der USA geschieht ist quasi das Abschöpfen von Daten durch die Vordertür, aber was mit MUSCULAR getan wird kommt einem Einbruch durch die Hintertür gleich.

Die Daten von Google und Yahoo laufen dabei nicht durch das eigentliche Internet, sondern durch konzerneigene oder exklusiv angemietete Datenleitungen. Darum waren die Daten hier unverschlüsselt. Die Schnüffelallianz hatte also leichtes spiel. Als die Aktivitäten bekannt wurden, war Googles Reaktion darauf jeglichen Datentraffic zu verschlüsseln.

Dieser Artikel erschien am 30.06. 2014 zuerst in meinem Blog Teleschirm.info, welches sich mit Datenschutz und Technik befasst.

Bildnachweis:

1) NSA HQ; Quelle: nsa.gov (Pressestelle)
2) Room 641A; gemeinfrei via wikimedia.org
3) Skizze zu Projekt "MUSCULAR"; Quelle: Snowden Fundus via TheGuardian

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