Dada ist tot. Es lebe Wauwau!

ALLTAG Wie der mündige Bürger unter dem Hund begraben wird

Dass der prolbrüllende Schrei nach »Gleichheit (für alle anderen)« die schreiendsten und lebensfeindlichsten Ungerechtigkeiten hervortreibt, ist gegenwärtig im Kampf der Deutschen Michelmonaden gegen ihre hundehaltende Minderheit zu studieren. Wenn es möglich ist, dass mitten auf dem Prenzlauer Berg einem bedeutenden und nicht unpopulären Theater- und Filmregisseur beinahe das Augenlicht genommen wird, er sich in ärztliche Behandlung und anschließend zur Rehabilita tion in einen Berliner Außenbezirk verdrücken muss, nur weil er mit seinem Schoßpudel Kalle unangeleint durchs Revier schlenderte, und Kalle in angemessenem Wuffen seinen Kommentar zur heranrückenden Schlägerbande gab, dann muss die Frage erlaubt sein: »In welchem Land leben wir überhaupt? Ist es schon wieder so weit?« (Siehe auch Das Blättchen, »Ossietzsky«). Wenn der verprügelte Regisseur und Szenestenz über Diskriminierungen, Hysterie und darüber klagen muss, dass er nicht mal in Szenekneipen mit seinem Tier noch gerne gesehen sei, dann können wir uns das Ausmaß an Schäbigkeit, kompensatorisch verhetzter Rachsucht und umgelenkter Aggression aus Lebensverdruss ausmalen, das über den einfachen tierlieben und tiergestützten Niemand von nebenan gegenwärtig hereinbrechen mag. Wenn Leander Haußmann, das Opfer, den Angriff als ein Ergebnis der »letzten Schlagzeilen« begreift, also der Pressekampagne mangels aktueller Serienmörder- und Kinderschänder-Highlights, so greift das zu kurz. Denn solche »Schlagzeilen« können ihre schreckliche Wirkung (Prügel) ja nur im Herzenssumpf und Hirnmoder einer in Unmündigkeit und Differenzierungsunwillen gebügelten Leserschaft entfalten.

Wie das aber von unserer Justiz geradezu gemeingefährlich befördert wird, und wie durch vormoderne Gehorsamkeitserzwingung Bürger ihrer Sinne und gegenüber den Anordnungen der Staatsmacht entmächtigt werden sollen, davon wird in einem einschlägigen Fall nun exemplarisch die Rede sein. Zuvor jedoch, um Missverständnisse zu vermeiden: Der betroffene Autor zählte all die Jahre eher zu den Hundehassern. Allenfalls für die alleingelassenen Alten wollte er eine gewisse Hundebedürftigkeit anerkennen: »Der Hund kann zuhören«, schreibt Christa Fugisang im Vorwort zu Unser Hund (Augsburg, 1992). »... Einsame sind durch ihn nicht mehr allein. Er führt aus grauem Beton in grüne Lungen ... Sein Verlangen nach Zärtlichkeit und Geborgenheit streichelt die Seele des Menschen.« Gleichwohl war dem Autor bewusst, dass er in den Zeiten von Hyperflexibilität, Dauerständern und Globalisierung mit einem solchen »Einknicken« der Überhundung Tür und Tor öffnete. Da nützt es dann schon nichts mehr, unermüdlich die von Erziehungsnöten und schlechtem Gewissen gepeinigten Eltern darüber aufzuklären, dass Hunde und Kinder nie zusammenpassen, und der wuchernden Kinder-müssen-Verantwortung-lernen-Propaganda ein Stückchen Realität entgegenzusetzen: Kinder sollten sich geistig entwickeln, Hunde verlangen das höchste Maß an Regression. Das Problem »Spracherwerb und Hunde in Kinderhand« ist bis heute tabuisiert. Wann will ein Kind die Töle füttern? Morgens schaffen es die lieben Kleinen mit Müh und Not rechtzeitig in die Schule, abends kämpfen sie um Fernsehrechte. Wann sollen sie die Köter Gassi führen? Geht schon deswegen nicht, weil draußen fünfhundert Kampfhunde lauern, die ihnen die Tölen vom Strick schmatzen wollen. Wann sollen sie mit ihnen spielen? Die Kläffer stören beim Fußball mit den Kumpels wie beim Deckchenhäkeln mit den Schönen des Viertels gleichermaßen. Und die Väter, die am Sonntag morgen endlich an der Mutter montieren wollten, müssen sich, noch angesäuert und müde vom letzten nächtlichen Ringen um die korrekt geformte Scheißwurst, die Treppe hinunterzerren lassen, während die lieben Kleinen, die eben noch ganz fest schliefen, vor Schadenfreude fast zerplatzend zu Mutti ins Warme schlüpfen und ihre Glibberfinger üben. Wir können nur raten: Familien oder Familienersatzverbände - nie Hunde! Die Grundskepsis hat den Autor also nicht verlassen, doch dann bekam er in einer heimtückischen Überrumplungsaktion Gigi in den Arm gedrückt, ein kleines minderjähriges Mischlingsweibchen, aus den Krallen eines geldgierigen Zirkusbesitzers und von ausbeuterischer Hundearbeit befreit, und unterdessen geht es ihm wie Groucho Marx, der in seinen Memoiren, auf den Vorwurf, keine Hunde zu mögen, antwortet: »New York, die ganze Zeit ohne Hund, ist ein sehr einsamer Ort. Wirklich einsam - wenn ich ein schönes Mädchen in der Hotelhalle sehe, mit einem Hund, dann kommen mir die Tränen und ich lade den Hund an die Bar zu einem Drink ein.«

Doch zum Thema. Am 22. 02. 1999 stürzten aus einem Gebüsch des Stadtparkes Lichtenberg (Berlin), ein mickriges Ding mit versteppten Wiesen und veralgtem Teich, fünf Ordnungskräfte teils der Polizei, teils des Grünflächenamtes, und verteilten sich kreisförmig um den Autor. Einen Monat später wird ein Verwarnungsgeld von 50 DM eingefordert: »... sind wir davon in Kenntnis gesetzt worden, dass Sie Ihren Hund ... unangeleint auf der öffentlich geschützten Grünanlage ausführten«.

Gigi und der Autor formulierten sofort einen Einspruch:

Geschäftszeichen NGA A 111 - 16/99 G

Werte Frau H.,

Ich erhebe Einspruch gegen die Erlassung eines Verwarngeldes wg. Entfesselung eines Hundes im Stadtpark Lichtenberg, auch »Perle des Ostens«.

Begründung:

Die derzeit laufende Debatte über die Folterung unserer Hundeminderheit durch Zwangsanleinung in jeder Lebenslage zwingt zum solidarischen Widerspruch. Die Argumente sind ausreichend getauscht: Hunde müssen laufen; wollen sie nicht auf die Straße scheißen, brauchen sie Bewegungsfreiheit; Hunde, die gefoltert werden, sind gegenüber Menschen und Artgenossen aggressiver als Kinder aus gewaltfreien, kompletten Familien; Menschen wollen auch im Verkehr mit unserer Hundeminderheit entspannen: unmöglich bei verleinten Kötern; die Hunde wollen mit anderen Hundehaltern ihre Krankheiten und Krisen besprechen, einen Joint durchziehen oder ein wenig herumpimpern: unmöglich, wenn sie an der Leine hängen; bezweckt der vornehmlich ältere Hundehalter durch Anschaffung einer Fress-Scheißmaschine irgendetwas im verkümmerten seelischen Bereich, so ist Leine kontraproduktiv: Seele braucht Freiheit plus Flügel.

Dass die Berliner Herren, weil sie sich - aus welchen Gründen auch immer - an die Zuhälter und Faschisten mit ihren Beißkötern nicht rantrauen, gleich alles Vierbeinige vernieten wollen, ist eine Schande, aber ganz typisch für die hierzulande getätigten »Reformen 0139«. Soweit im Allgemeinen.

Im Besonderen:

Der Hund Gigi, der nicht der meinige ist, aber die Ehre hat, gelegentlich von mir ausgeführt zu werden, wiegt weniger als Ihr Weihnachtsbraten. Selbst wenn er heute beschlösse, bissig zu werden, könnte er kein Unheil anrichten. Dem Hund Gigi ist in diesem Zusammenhang vorgeworfen worden, er hätte ein paar von den Stumpfenten in die Plörre des Teiches gescheucht. Gigi hat nach eingehenden Vorhaltungen sich dahingehend eingelassen, dass sie noch nie der Versuchung erlegen ist, in einen jener, vielleicht in Reichweite aufflatternden, dürren Stumpfentenflügel zu beißen, jedenfalls nicht, solange sie von Frauchen täglich das gute Schmatzischlappi bekommt. Darüber hinaus bewege sie sich eben gern, und die Enten könnten froh sein, wenn sie gelegentlich auf die Flossen kämen, gerade auch im Hinblick auf das doch sonst so sehr propagierte Survivaln der Fitesten. Der Hund Gigi ist äußerst liebenswürdig, fast ein bisserl vornehm. So hat er beispielsweise noch nie auf die Straße geschissen, obwohl er hier in Lichtenberg jeden Morgen schon beim Verlassen des Hauses durch Hunde- und Menschenscheiße waten muss. Vielmehr schlägt er sich so weit in die Büsche, dass von Diskretion durchaus im französischen Sinne die Rede sein muss. Soll auch er noch auf den Wegen rumscheißen? Ausmachen würde es eigentlich nichts. Aber wir wollen ja die Lage verbessern in Lichtenberg. Gigi und ich.

Und deshalb sage ich Ihnen einsprechend: So lange in Lichtenberg jene umgreifende äußere Verslumung zugelassen wird, die die innere unserer Lichtenberger zwangsläufig forciert - darüber ist nun wirklich ausreichend geforscht worden - denke ich nicht daran, solcherlei Verwarnungen auch nur ernst zu nehmen. Sie sind eine Unverschämtheit.

Zweitens: Wenn Sie Ihre tollen Parks zu toten Altersheimgärten gestalten wollen, dann haben Sie vorher - vorher - für quartiernahe Auslaufplätze für Hunde Punks und andere Minderheiten zu sorgen.

An dem Tag, an dem Gigi beim Verlassen ihrer Wohnung, Rüdiger-/Ecke Schottstraße, ihre schönen Augen aufschlagen kann, ohne ob der obwaltenden Zustände brechen zu müssen, an dem Tag, an dem der Bürgermeister das Band zur Einweihnung des benachbarten Minderheitenauslaufplatzes mit Behindertenrampe durchtrennt, an jenem schönen Lichtenberger Tag, bin ich geneigt, Hunde kurzzeitig in Altenparks zu fesseln.

Es entspann sich ein kurzer aber unproduktiver Briefwechsel. In der Bürgermeisterei verweigerte man eine Antwort wegen laufenden Verfahrens, beziehungsweise Unzuständigkeit. Und das federführende Grünflächenamt schickte immer wieder Briefe mit folgendem kryptischen Schluss: »Falls Sie sich zu der Beschuldigung äußern, wird unter Berücksichtigung Ihrer Angaben entschieden, ob das Verfahren eingestellt oder ein Bußgeldbescheid erlassen wird.

Der Erlass eines Bußgeldbescheides ist mit Kosten (Gebühren und Auslagen) verbunden. Lässt sich der Fahrer des KFZ/Anhängers nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermitteln, oder würde es einen unangemessenen Aufwand erfordern, werden die Kosten des Verfahrens dem Halter des KFZ/Anhängers auferlegt (J B GrünanlG).« Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich breit.

Dada ist tot. Es lebe Wauwau? - Das war übrigens der Titel einer Ausstellung für Hunde (!) 1977 in München. Das waren noch Zeiten!

Am 4. November 1999 saß der Autor im Raum 2002 des Amtsgerichts Tiergarten der blonden Richterin Görlitz (!) gegenüber, die ein Feuerwerk an obrigkeitsstaatlich durchseuten Vorhaltungen wie Durchhalteparolen abbrannte: Der Einlassung, dass die Entscheidung zum Anleinen eines ungefährlichen Kleinhundes situationsgerecht der Verantwortung der mündigen Hundeführerbürger überlassen bleiben könne, schmetterte die Dame ein: »Sie machen wohl die Gesetze!« entgegen. Der Beitrag, dass es auf den Straßen ausreichend Zustände gebe, die das Fesseln auch eines derartigen Hunderls ratsam erscheinen ließen, dass aber eine menschenleere Parkimitation nicht nur keinerlei Veranlassung dazu böte, sondern im Sinne von Hund- und Haltergesundheit genutzt werden müsse, erzeugte ein kühles: »Verbotstafel ist Verbotstafel«. Der Mahnung vor der kontraproduktiven Wirkung solchen Gebrabbels aus den Archiven des Schlafmützenstaates folgten Schauer splirrenden Eises. Die Vorhaltung, dass im Viertel keinerlei Auslaufplätze vorhanden seien, wurde mit dem Tipp, dass es in der Gegend um Schlachtensee schöne Auslaufplätze gäbe (= drei Stunden S-Bahn-Qual für den zarten Hund plus acht Mark für den Halter) gekontert. Da schwoll schon eine unerträgliche Mischung von Dummheit und Arroganz aus der Robe. Und als ihr Höhnen, ich könne den Hund ja auf der Straße laufen lassen, mit meinem tiefsten Erschrecken beantwortet wurde, denn wenige Tage zuvor hatte in Friedrichshain ein Kind vor einem Hund gescheut, war vom Gehsteig ins Auto gelaufen und verstorben, beendete sie die Verhandlung mit: »Das ist dann Ihre Sache.« Machte 250 Märker.

Vorgestern hat mich plötzlich - oft schon waren wir grußlos aneinander vorbei gelaufen - ein durchaus unbeschädigt aussehender Herr angesprochen, der auf dem alten Friedhof, wo die Köter abseiern, ein lustiges Fußbänkchen, das mal ein Dackel gewesen sein könnte, spazieren führt. Ergebnisse juristisch/politischer Volksbildung: »Wenn ick dir im Wald begegne, weiß du ja auch nicht ob ich bewaffnet bin und dir jetzt umniete. Aber bei die Hunde, wa? Oder sag mal die Kinderschänder, oder wo Kinder umbringen: Vierzehn Tage später alles vergessen. Und so ne Spalte, zwei Zentimeter in die Zeitung. Aber jetzt die Hunde, wa? Versteh mich richtig, ick bin keen Nazi. Ich kenn die, mit die Hunde, da hab ich auch Angst. Aber jetzt mal die Ausländer, weeßt du, wann die stechen? Aber die Hunde, wa? Und mener gleich dazu, wa? Was kann der schon machen? Da soll'n sie mal ihre Kinder an die Leine nehmen. Schau dir bloß mal die Telefonzellen da drüben an. Aber die Hunde, wa? Die woll'n bloß Geschäfte machen. Die, die, die ...«

Im Tagebuch eines Hundes (Oskar Panizza, 1892) fragt sich der Schreiber, es ist ein kleiner aber deutscher Hund, in verzweifelter Menschenbetrachtung: »Ich muß die ganze Bagage registrieren, einteilen, schablonieren. Einteilung der Menschenbagage! Wo fang ich nur an? Wo finde ich das Allen gemeinsame Moment, um daran die Veränderungen anzuschließen? - Ich glaub, ich fang beim Hinterteil an.« Am Arsch, würde man heute sagen.

Auch der Autor hat natürlich keine Patent rezepte (siehe auch Kerstin Müller, Johannes Rau, Angela Merkel). Möchte aber abschließend - im Kampfgetümmel mit dem großen Beißhund - an eine Erfahrung von Herbert Achternbusch erinnern. In seinem Roman Die Stunde des Todes schrieb er vor einem viertel Jahrhundert: »Schon als ich mit der Schultasche auf dem Rücken von der Schule heimging und eine verbliebene Semmel essen wollte und ein semmelfarbener Pinscher zwischen den Feldern auftauchte und mir die Semmel wegschnappte und ich mich vor Wut und Hunger auf den Boden warf, die Besinnung verlor und der Große Geist sagte, daß ich mich erheben soll, weil ich jetzt Kuschwarda heiße, nannte ich mich im Geheimen Kuschwarda. Wenn ich am Dienstag in die Schulmesse mußte und also vor sieben am Greil vorbeimußte, wo der schwarze Nero erst um sieben an die Kette gelegt wurde, brauchte ich bloß Â›Kuschwarda!‹ zu sagen und der bissige Köter legte sich auf den Rücken wie ein junger Hund.«

Es wäre einen Versuch wert.

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