Menschen, die zu Depressionen neigen, ist ein Fußmarsch durch die Lichtenberger Siegfriedstraße in den Norden hinauf nicht zu empfehlen. Da, wo einst volkseigene Industrie erlesene Pläne erfüllte, wuchern heute prekäre Gebrauchtwagentumore, Gerümpel- und Baustofflager. Geht man ungerührt weiter bis zur Herzbergstraße, in diese rechts einbiegend, steht man im Winkel des Grusel-Trios Lichtenberg/Hohenschönhausen/Marzahn plötzlich staunend still: In einer Parkanlage saften sündig die Magnolien, Spritzbrunnen spritzen, und man würde sich kein bisschen wundern, wenn hinter einem der ordentlich verteilten kleineren und größeren Bauten aus leuchtend rotem Backstein ein Trupp Jäger zu Pferd mit Hunden hereinreiten würde. Aber es ist hier kein britisches Ensemble, der Stadtbaumeister Blankenstein war am Werk, 1889 bis 1893. Und kreischte etwas ums Eck, könnte es ein Krankenwagen sein oder eine Gruppe psychisch Zerrütteter auf der Flucht vor der Oberschwester.
Unser Besuch gilt nicht dem nun Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, sondern dem Lob zweier so verschiedener wie verschieden umstrittener Phänomene. Erstens: Lob der AB-Maßnahmen. Zweitens: (und das vor allem) Lob der deutschen Baufachfrau.
Als Berlin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bevölkerungsmäßig enorm zulegte, ferner - da zeigen sich Parallelen zu heute - die Funktion der Reichshauptstadt übernehmen und folglich den Zuzug der merkwürdigsten Figuren verkraften musste, knallten immer mehr Berliner durch. Es wurden Irrenanstalten gebaut. Herzberge war eine davon.
Nach der Wende wackelt der ganze Komplex, bis, in einem kühnen Schritt, das kleine diakonische Haus den ganzen Laden übernimmt. Irgendwo in einem Keller lagern uneingesehen und uneinsehbar, hart bedroht von zersetzender Feuchtigkeit, Psychiatrie-Akten von 1893 bis 1945. Ein Schatz, was die Anfänge, ein Schrecken was das Ende betrifft.
Hier betreten jetzt die wundervollen Baufachfrauen die Szene. Vor fast genau zwei Jahren. Ein gutes Dutzend, mit Schaufel und Putzeimer. Gestellt vom Verein Baufachfrauen, bezahlt vom Arbeitsamt. Die Krankenhaus-Leitung hat das alte Kesselhaus abreißen lassen wollen. Eine alter Kessel sollte dem Deutschen Technikmuseum vermacht werden. Da stand der Denkmalschutz davor. Denn drei Generationen von Heizkesseln hatten hier im Original-Ambiente überdauert: Die Doppelflammrohrkessel von Borsig (Baujahr 1892), die Borsig-Schrägrohrwasserkessel (Baujahr 1938), die Kleinwasserrohrkessel vom VEB Vorwärmer- u. Kesselbau Köthen (Baujahr 1960). Während unten die Baufachfrauen also noch den Müll durch die zerbrochenen Fenster schippten und anfingen, an den Kesselkörpern zu feudeln, saßen im kleinen Büro darüber bereits die im Handumdrehen zur Kesselfachfrau sich mendelnde Dipl. Ing. Frau Luther, zuvor im Anlagenbau eines Unternehmens am Alexanderplatz, und die leitend zum Projekt gestoßene Frau Stettin, zuvor Bauleiterin eines Karlshorster Architekturbüros, erkannten die Möglichkeiten, planten, sicherten, zeichneten, beratschlagten und suchten Kombattanten in Stadt und Land und in der Klinik - und fanden sie auch. Sie machten Ausschreibungen für die Instandsetzung und denkmalgerechte Umformung des heruntergekommenen Gebäudes. Das Arbeitsamt schickt den Unternehmen die Arbeitskräfte und bezahlt sie, und aus den öffentlichen Händen reißen die Frauen Kampf um Kampf die Sachmittel. Das ist ein zerbrechliches Unterfangen. Wenn einmal das Geflecht zerrissen würde, wenn es einmal stockte, dann wäre in der Spar-Katalepsie des fallierten Berlins alles umsonst gewesen. Deswegen bürgt jetzt das einsichtige und partiell fast schon begeisterte Krankenhaus für die Sachmittel.
Und während wir noch beisammen sitzen, gebeugt über die fabelhaften Zeichnungen der Kessel, die nebenan von einer würdigen Zeichnerin für die bestandssichernden Unterlagen gefertigt werden, und die Kassenwartin des unterdessen gegründeten Trägervereins, Frau Nack, arbeitslos, einst bei Holzmann tätig und kundig in Technik und Musik, von ihrer Faszination für das Projekt erzählt, vom Reiz der Mischung aus Industrie und Kultur, die hier angerührt werden soll, löst sich schon wieder ein eben noch beinahe niederdrückendes Problem: Die nächsten Batzen der Sachkosten, von 275.000 Mark, hier wird noch in reeller Währung gedacht, ist freigegeben.
Der Plan: Zum technischen Denkmal, werden sich eine psychiatriehistorische Ausstellung (1750 bis 1990) gesellen, eine entsprechende Bibliothek, eine musisch-theatralische Nutzung, mit Off-Bühnen, Konzerten, Symposien. Lese- und Arbeitsräume wird es geben. Und dann wird das Altarchiv aus dem feuchten Keller befreit und tipptopp gelagert der wissenschaftlichen Untersuchung preisgegeben. Schon im Herbst.
Da ziehen wir den Hut und kommen wieder.
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