Rums

Nichts drin Der künftige Bundespräsident hat ein Schnellbuch präsentiert

Wie er einläuft unter die Lichtkuppel der Rotunde der Dresdner Bank Zentrale in Berlin, wie er still wird und die Fotografen niederknien, wie er dann einfach zu lange und zu gepinselt lächelt, bei den einleitenden Schnurren des Gesprächsbuch-Profis Hugo Müller-Vogg, da denkt man unwillkürlich: Sparkasse. Sparkasse wäre o.k. Wo er schon mal war. Und warum Rotunde? Will er nicht Präsident der Herzen werden, der Massen Minderheiten gleichermaßen, "offen und notfalls unbequem", wie es vom Buchdeckel prangt? Warum also nicht mit dem Pressetross, der eh nur ein paar Emotionen aus dem trockenen Kerlchen quetschen will, in einen sozialen Brennpunkt gewackelt und dort das Innovations- und Ideensäckchen ausgeschüttet?

Man errät es schon: Weil nichts drin ist. Keine einzige neue Idee in Köhlerkopf und -buch. Er, selbstlos aus dem fernen Amerika heimgekehrt, schwallt, als hätte er den Christiansen-Kosmos der Stellschrauben-Genies nie verlassen. Bei der einzigen kritischen Frage, hinterlistig vom alten ursozialdemokratischen Hauflorett Otto Köhler gestellt, ob er dem lieben Land eine Strukturanpassung à la Argentinien empfehle, vergingen Namensvetter Horst sofort Offenheit und Samtigkeit des Blicks: "Diese Frage ist nicht zielführend." Setzen!

Schnell scheint Köhler etwas Schäublehaftes ins Gesicht zu geraten, wenn er Unbotmäßigkeit wittert. Etwas Schwäbisches, gleich den immer verschwitzten Heroen des Häuslebaus, denen beim Steineklopfen mählich der Hass kommt, ob ihres lebensfressenden Treibens.

Weltkarrieren solcher Figuren sind wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass sie sich während der unruhigen Zeiten Ende der 60er an die Rockschöße ranziger Professoren hängten, die Dankbarkeit erwiesen. Zu Gute halten kann man Köhler indes, dass er sich von Müller-Vogg, der offenbar unter der Selbsttraumatisierung leidet, während der Revoluzzerei im Schwimmbad gelegen oder seinen Salamander gerieben zu haben, nicht zum 68er-Bashing treiben lässt.

Eins kann Köhler: Das, was im Teller als Ökonomieeintopf herummöpselt - diskreditiert in seiner Wissenschaftlichkeit, korrumpiert in seiner Praxis -, so anzurichten, dass immanente, strategische Plausibilität aufleuchtet. Ob das den schon legendären Köhlerschen Blick über den Tellerrand ermöglicht? Ob von daher ein solcher überhaupt zu sehen ist?

"Zur sozialen Marktwirtschaft gibt es keine vernünftige Alternative", sagt Köhler. Wir wissen unterdessen, dass das Sozialste überhaupt der Abbau alles Sozialen ist. Nur so die Kräfte und das nötige Maß auch an individueller Verkommenheit freigesetzt werden, die es braucht, um das Uralte auf globaler Stufenleiter zum Sieden zu bringen. Wem das "das Neue", der braucht sich auch ums kulturelle Unterfutter der Seinen keine Gedanken zu machen. Köhler hat ein paar Bücher aus dem "Kanon" gelesen. Manchmal geht er in die Oper - Kurzzeitkatharsis für alle "Schreibtischtäter". Köhler hat die Knochenbrecherei des IWF mit warmen Worten für die Opfer begleitet. Dies hat ihn wohl qualifiziert. Wie Onkel Mao sagt: in Zuckerwatte gehüllte Giftpillen.

Während uns die Familiengeschichte vom armen Köhlerkind und die Schicksalsschläge in ihr kompatibel für "Frau mit Herz" aufbereitet werden, während Frau Merkel mit dem alten sozialdemokratischen Schlachtruf "Arbeit, Arbeit, Arbeit!" im Wahlkampf die Brandenburger verscheißert, lässt sich ihr Sozialköhler von Müller-Vogg die Empfehlung an eine künftige Kanzlerin zur "Tiefe und Breite der Reformpolitik" von Margaret Thatcher aus der Nase ziehen.

Möglich, wir brauchen heute, da im Christiansen-Kosmos der gemeine Mann seiner eigenen Ausradierung als Rechtssubjekt begeistert applaudiert, statt eines "Rucks" wieder einen ordentlichen "Rums" im Karton. Und erinnern uns, wie weiland selbst der zarten Morrissey (The Smith ) zirpte: Margaret On The Guillotine.


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