Spreenil, braunblauer

BERLINER ABENDE The Sons of Negus

Da, im gelobten Land, Brüder und Schwestern, wo der Menschensohn schwarz geboren wurde, entspringt der Blaue Nil dem Tana-See, rinnt südlich durch das Choke-Gebirge, kratzt die Kurve, verlässt Äthiopien und vereint sich bei Chartum mit dem Weißen. Dann geht's ab nach Kairo, und wenig später rinnt er als Landwehrkanal an der Neuen Nationalgalerie vorbei: "I love King Selassie red, oh yeh / I love King Selassie gold / I love King Selassie green / Oh I love everything that is clean..." So sangen The Sons of Negus, Rastas der ersten Stunde. Lang ist der Lion of Zion hinüber, aber der Hunger ist geblieben in unserer Wiege. Eine Schande, yeh! Von "der Heimat des Hungers", sprechen Zyniker. Feuer auf sie! Und auf die italienischen Imperialisten, die sich hier eine Kolonie kratzten und auf die Backen bekamen, bis sie Giftgas einsetzten. Ist erst ein paar Jahrzehnte her, Brüderschwestern.

Babylon muss fallen. Das vor allem. Und wir zünden uns schon mal eine blaue Nil an und schlingern rein, das männliche Kind mit den sekündlich blasser werdenden Zügen am festen Zügel, rein ins am braunblauen Spreenil gelegene Blue Nile Restaurant. Die Züge des gebrannten Kindes entspannen, als sich herausstellt, dass hier kein Couscous hineingezwungen würde. Trauma aus einem Mitesser umflirrten Wüstentrip. Die Züge bekommen etwas Euphorisches, als die Losung "Heute einmalig Fingerfood!" ausgegeben wird. Ein Wunsch wird wahr. Fast tut es ihm leid, sich die Pfoten nicht gewaschen zu haben. Wir dürfen am Mesob Platz nehmen, dem Korbtisch, geflochten aus bunten Reisern. Drauf thront ein prächtiges Mützchen mit lustigem Nippel aus gleichem Material, das nun abgenommen wird, worauf uns die tischgroße Nirosta-Platte, in der Vertiefung des Korbes ruhend, blendet. Oh I love everything that is clean ...

Langsam entbirgt uns der Raum Bilder des Landes mit dem Kreuz der christlichen Amharen. Heile, Heile, Heile, yeh. Wunderbar, wie die hochpolierte Belegschaft im Geflacker der Kerzen ihre berühmte Menschenschönheit entfaltet. Da wird man bescheiden. Bis auf die Kindsmutter, die darauf giert, die unbestreitbare Überlegenheit ihrer makellos schlanken Finger im Yebeg Alitscha Wot wie im Yetsom Wot gleichermaßen zu demonstrieren. Wenig später wird sich die deprimierende Situation herstellen, dass vom unkundigen Nachbartischchen aus meine Wurstfinger als Bestandteil der Nahrungskette verkannt werden.

Der Herr mit den lachenden weißen Zähnen hat uns eine Auswahl seiner Köstlichkeiten für drei auf die Platte gehäuft. Genauer: Der Plattenboden ist mit einer Schicht aus dünnen Fladen, vom 28er Durchmesser, belegt, die großzügig über den Rand lappen. Davon gibt es noch ein paar zusätzliche, gefaltete. Nun gilt es, die Fladen in kleine Stücke zu reißen, an der variablen Seite durch Falten zu doppeln, mit der durch den Daumen geführten starren unter die Pampe zu fahren und es mit der variablen durch Zeige- und Mittelfinger einzuscharren. Injera, der Fladen, ist von einer durchgegorenen, schwammigen Konsistenz, die an gewisse Küchentücher erinnert.

Irritation wollte sich da beim traumatisierten Kind einstellen, wurde aber durch die feurige Würze der roten Paprikatunke in Rinnsale erleichternden Tränenflusses aufgelöst. Das faustgroße Stück Hühnerfleisch, Dorowott, wie das dazu malerisch drapierte Hühnerei zu teilen - lagernd in sämiger Schärfe, geschmückt durch Häufchen hauseigenen Käses, umlegt von Mousse à Rote Linsen, von Grünkohl, Knoblauch und Zwiebeln, gefestigt durch kleine Bastionen von Lamm-Curry -, überließen wir, eingedenk unserer Fett- beziehungsweise Dreckfinger, den Werkzeugen der Kindsmutter, denen nicht das Geringste anhing, ja vielmehr ein Schimmer aufgezogen war, als hätte sie ein Pflegewochenende mit Florena verbracht.

Wenn wir nun all diese Spezialitäten auch von ganzem Herzen loben wollen, so müssen wir auch eine Warnung aussprechen: Benutzen Sie zum Aufnehmen nur den Fladen vom Rand und die Ersatzfladen. Was sich unter den Soßen, den Gemüsen, dem Fleisch befindet und sich langsam leert, bleibt zwar von bestechender Konsistenz, scheint aber einem zusätzlichen Gärungsprozess unterworfen, der es ungenießbar sauer macht.

Yeh, Heile, Lion, Schwarzer Menschensohn! Jetzt wäre eine Tüte nicht schlecht. Aber alles clean. Müssen die Sons of Negus hier falsch verstanden haben. Macht nichts, war ein Top-Abend. Als wir rausgingen, satt und matt, haben wir glatt vergessen, uns die Kontonummer von der Spendenorganisation gegen den Hunger in Äthiopien aufzuschreiben. Yeh!

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