Wir können nur wiedergeben, was wir gesehen und erfahren haben. Wir haben das wenigste davon verstanden und enthalten uns folglich jeglicher Interpretation. Wir haben auch niemanden getroffen, der alles verstanden hätte. Aber wir haben Menschen getroffen, die Tag für Tag an der Rekonstruktion eines sensationellen Fundes arbeiten. Die c-base Raumstation, gegen die unsere USS Enterprise NCC 1701-A (aus den achtziger Jahren des dritten Jahrhunderts des kommenden Jahrtausends) wie ein taumelnder Winzling wirkt. Man habe sich das etwa zehnfache Volumen des größten Flugzeugträgers der Welt vorzustellen, sagt hein-c, im c-base Verein unter anderem für die Rekonstruierung und Popularisierung vergangener Zukunftssportarten zuständig. Und es liegt genau unter der Mitte Berlins.
Treppenwitz der Geschichte: Was uns die Honecker-Clique als Fortschrittszeichen zu präsentieren pflegte, den Fernsehturm am Alex, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Antenne der c-base, die in sechs Ringen um das antennetragende Kernmodul (core) ausgebreitet ist: "kommunikationsdecks mit shuttlebay (com), culturdeck und wartungseinheit (culture), creativbox (creactiv), wissenschaftssektion (ciemce-modulor), lebenshabitate (carbon), äußeres construct mit sensorenphalanx (clamp)." Vor mehr als 250.000 Jahren muss das Raumschiff hier verunfallt sein, von der Zeitschiene gerutscht, in ein Zeitloch gefallen, wer weiß? Doch beginnen wir von vorn ...
Wir schreiben den Sommer 1995. Berlin ist aufgerissen, vom Potsdamer Platz bis zum Hackeschen Markt. Ein Nachtschwärmer verfängt sich in den offenliegenden Eingeweiden der Stadt und verletzt sich schwer an einem ungewöhnlich harten Stück Schrott. Er ist trotz aller Schmerzen von der "revolutionären" metallisch-violetten Farbe des Teils fasziniert. Er buddelt es aus und entdeckt fremde Schriftzeichen darauf. Mit Hilfe des Kohlenstoff-14-Testes und eines befreundeten Radiochemikers werden erste Altersbestimmungen gemacht. Aus der offiziellen Geschichte der heutigen c-base crew: "es enthielt ein element mit einer ordnungszahl von über 200, das bisher, selbst mit den besten technischen möglichkeiten, nicht herstellbar ist. Es ist also älter als jedes bisher gefundene von menschen so kunstvoll bearbeitete metallstück und kann wahrscheinlich erst irgendwann in der fernen zukunft entstanden sein."
Es versteht sich von selbst, dass nun der forschende Eifer der Entdecker aufs höchste stimuliert war. Sie fanden Raumanzugreste, Computerbausteine, seltsame Materialien und Artefakte. Die Vermutung wurde zur Gewissheit. Die Entdeckerväter gründeten den c-base e.V. und mieteten in der Nähe der Fundstelle Räumlichkeiten an, durch deren Keller sie das Raumschiff zu erreichen hofften.
Keine hundert Meter vom eitlen Prunken des neuen Berlins in den Hackeschen Höfen entfernt schlüpfen wir in die Hinterhöfe der Oranienburger Straße 2. Eine irisierend blaue Tür zeigt uns den Einstieg. Wir legen unsere Hände auf den body-scanner, lassen uns identifizieren und unser System auf die Tauglichkeit wie Ungefährlichkeit für die herrschenden atmosphärischen Bedingungen durchchecken. Dann betreten wir die Schleusensektion. Die Rechner rechnen, die Monitore monitoren, fahl flackern Lichter, Kabel enden im Ungewissen, Computerschrott pflastert unseren Weg, verwundete Zukunftslegierungen halten dem Druck der City stand. Virus, einer der Administratoren, führt uns durch den rekonstruierten Teil. Vor der mainhall steht eine Sonde, die ihre Geheimnisse noch nicht preisgegeben hat. Der Sessel des Commanders ist gefunden, steht da mit (noch) funktionslosem Steuerknüppel. Blank blitzen die Versammlungsstühle aus dem Dunkel. Gegenüber an der Wand Zeichnungen von dem, was zu vermuten steht. Insektenteile an die Wand geschweißt. Eine improvisierte Bar. Dann, am Ende der mainhall, das c-gate, einst Tor zu den recreations-Abteilungen, jetzt die hall vervielfachend in ihren Spiegeln. Der Administrator zeigt uns einen Anzug der Raumfahrer, von denen bisher keine Spur gefunden. Aber von Leben doch.
Unter der porösen, fäkalienreichen Mitte Berlins konnte der symbiont überleben. Nun erfüllt er wieder seine Aufgabe. Wir zitieren aus den offiziellen Dokumenten: "der organismus ist anscheinend in der lage, die biologische fäkalmenge des abwassers auf annähernd 0 zu reduzieren. dabei wird das abwasser gleichzeitig stark erhitzt. Die so erzeugte wärmeenergie dient der thermischen versorgung der c-base." Der symbiont, Laien würden ihn auf den ersten Blick für eine Schaumstoffummantelung halten, umwuchert fluoreszierend die Abwasserröhren der anti-gravity-toilet. Durch Osmose tritt er mit deren Inhalt in Kontakt (primäre Nährstoffaufnahme)." das sekundäre nahrungsangebot wird von den in spritzwässern (urin) gelösten organischen bestandteilen, sowie organischen gasen gebildet." Es ist von daher nicht verwunderlich, dass die Entwicklung des symbionten in den nach Geschlechtern getrennten Toiletten signifikant unterschiedlich verläuft. Und eine weitere Überraschung bereitet er den Zukunftsarchäologen: "die ungewöhnliche struktur der symbiontischen biomatrix erinnert an den Aufbau neutraler Netze oder hochverzweigter informationssysteme. Es könnten gigantische informationsmengen verwaltet werden." Da diese Strukturen theoretisch in der Lage sind, Daten parellel zu verarbeiten und assoziativ zu lernen, gingen die c-base Forscher davon aus, dass es sich beim symbionten um einen intelligenten Organismus handeln könnte. Als der symbiont bei zufälliger Bestrahlung mit UV-Licht alle Anzeichen des Wohlbehagens vermittelte, versuchte man eine Kontaktaufnahme durch elektromagnetische Wellen: "auf eine modulation der trägerfrequenz reagierte der symbiont, wenn auch verspätet, mit der abstrahlung von langwellen auf einem anderen frequenzband. es könnte sich dabei um eine antwort handeln. leider ist uns die frage nicht bekannt!"
Bei unserem Besuch im circle, einem Leitungsorgan des c-base e.V., kam es heute zu einigen Unstimmigkeiten. Psycho griff die Presse scharf an, die Bedeutung von c-base nicht voll zu erfassen und stattdessen die Mitglieder als Spinner, die verkleidet herumlaufen und merkwürdige Reden führen, zu denunzieren. Stattdessen wäre es so, dass c-base eine Plattform für die unterschiedlichsten Interessen böte und hier spielerische Lust und wissenschaftlich-praktischer Ernst zueinander flössen, wie sonst nur selten. So würden die bereits rekonstruierten Teile für Lesungen, schauspielerische Aufführungen, musikalische oder kulinarische Genüsse, Ausstellungen, also Events aller Art bereitgestellt. Und diese Aktionen müssten durchaus nicht ein Spacekäppchen tragen.
In der Tat haben die members die mainhall, nach dreieinhalb Jahren Rekonstruktionsarbeit, seit dem Frühjahr des Jahres 1998 einer darkbunten kulturellen Nutzung zugeführt. Oder Psycho selbst, Tontechniker und Musiker im anderen Leben: Das ist ja nicht nur Dekoration, wenn er aus dem brüchigen Energiekabel der Berliner Mitte einen brauchbaren computergesteuerten Schaltkreis erfindet. Spaß und Nutzen. Weshalb er, alles in allem, nicht daran denke, sich für die Herrschaften der Presse in den Raumanzug zu zwängen. Wir waren angemessen betroffen und liefen durch einen hell erleuchteten Raum hinüber zum Chef der Brücke. In dem Raum saßen die Videokids vor den Schirmen und spielten. Ein Mädchen komponierte. Eine Traube fiebernd vor einem Schirm mit einem neuen japanischen Spiel. Fieslinge verschiedener Härtegrade konnten da mit Handkantenschlägen und Beinscheren den letzten Panda zerlegen. Das sah sehr gut aus. Niemand nahm von uns Notiz. Wecky, Chef der Brücke, saß in seinem Computercarussell und bereitete neue öffentliche Kurse vor. Einführungen ins Internet; Web-Design in HTML, Java, Javascript; Programmierung; Office Anwendungen; DTP Kurse; 3D-Modelling. Und Betriebssysteme, wobei er das kostenlose wie stabile Linux-System gegen Windows, "die dunkle Seite der Macht", ins Feld führt und zu verankern hofft. Dass man hier, in der c-base, etwas quer steht zum mainstream, Kombattanten findet im Kampf um ein freies Netz, auch deswegen ist er hier. 170 Mitglieder hat c-base e.V. derzeit. Alle Altersklassen, alle sozialen Kassen. Zwei Dutzend Mitglieder haben sie durch ihre Arbeit in Multimedia-Jobs untergebracht. Und gleichzeitig schreitet die Rekonstruktion des Raumschiffs voran: Während die einen weiter an den Wänden kratzen, versuchen andere, die Sprache der c-base Havaristen zu ergründen. Und wieder andere arbeiten an der Geschichte des c-beams. Also des nicht selten leichtfertig abgetanen lichtschnellen Ortswechsels durch Dematerialisierung und Rematerialisierung am Bestimmungsort, dem "beamen".
Heute sind wir ganz benebelt. Benebelt und high wie Schnüffler. Die jugger bauen sich neue Waffen. Die Waffen der jugger heißen pompfen. Sie sehen aus wie mannshohe Q-Tips. Zu ihrer Fertigung braucht man Unmengen von Patex. Ein Kern aus Metall oder Holz oder Glasfaser wird mit Schaumstoff ummantelt. An den Enden mehrfach, so, dass man mit den Geräten seinen Mann nicht nur freisperren, sondern dieselben den Gegnern auch über die Köpfe ziehen kann. Eine Mannschaft besteht aus fünf Keilern und dem Jungen oder quick, der vom Anstoßkreis aus einen Hundeschädel an der gegnerischen Linie plazieren muss. Im Groben dem Rugby ähnlich. Das Spiel ist nicht auf der c-base entstanden, sagt der Herr der pompfen hein-c. Vielmehr handelt es sich um ein pangalaktisches Artefakt. (Sportmüde Kritiker behaupten freilich, es wäre einem zweitklassigen australischen SF-Film entnommen.) Folglich gibt es mehrere Theorien über die Entwicklung. Mittels dieses Spiels wurde die Verteilung von Kriegsbeute nicht allzu blutig vollzogen. Das ist eine. Eine andere sagt, dass juggern eine Idee von Kulturingenieuren an Bord gewesen sei, um dem Raumkoller zu wehren. Möglich auch, dass in der c-base eine gezüchtete Helferrasse entartete und zur Gefahr wurde, deren Oberflächenresistenz nur durch Elektroschocks aus pompfenartigen Waffen gebrochen werden konnte. In der Bundesrepublik üben etwa zwanzig Gruppen diesen Sport aus und würden gerne gegeneinander antreten. Hein-c bringt nun eine Zeitschrift für alle Fragen des juggerns und für gelebte Archäologie heraus. Ist das Wetter gut, schleppen sich die jugger in ihren Schutzanzügen und mit ihren pompfen über die Straße in den Monbijou-Park zum Training. Im Winter könnten sie gut eine Reithalle brauchen; gerne sinkt man von pompfen getroffen ins Sägemehl.
Wir gehen raus in den Regen und kichern dieses Patexkichern. Und haben, ganz ohne Absprache, plötzlich gleiche Bilder vor Augen. Die rekonstruierte c-base schmeißt ein paar Quecksilberatome in ihr cybernetisches Kraftwerk und beginnt abzuheben. Sie schüttelt sich, schnauft, dann drückt und rotiert sie wie wild. Jetzt rutscht und bröselt, am Fuße des Fernsehturms beginnend, die ganze Berliner Mitte über das Schutzschild der c-base ab und kracht und kollert in das verbleibende Loch. Die c-base wird frei und haut nur so ab. Und die Bonner, die grade ihren gemäßigten Expressionismus an die neuen Wände genagelt haben, die gucken vielleicht!
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