Vollmond, unaufgegangener

BERLINER ABENDE Und wieder erinnerten wir uns der Worte des großen Vorsitzenden: "Die Leute benehmen sich wie Mandarine, nehmen keine Fühlung mit den Arbeitern, ...

Und wieder erinnerten wir uns der Worte des großen Vorsitzenden: "Die Leute benehmen sich wie Mandarine, nehmen keine Fühlung mit den Arbeitern, Bauern und Soldaten ..." Verärgert rüttelten wir draußen an den Absperrungen, während drinnen zarte Bronzemonde sichelbeinig über die geschwungenen Wege trippelten und in kleinen, die Harmonie der Anlage zerstörenden Versorgungszelten - hier wo doch alles um das alte eremitenhafte Versenkungswunder, um Besinnung im Einklang mit Göttern und Gärten sich zu ranken hätte - die Verwöhnung eben jener Mandarine mit Chinas Köstlichkeiten vorbereiteten und flinke Bögen um kleine, dunkle Herren in kleinen, dunklen Anzügen, denen kleine Kameras an die Gesichter gewachsen waren, schlugen. Weh tönte die chinesische Geige zu den Ausgesperrten herüber. Allerdings, so schien mir, in einer nicht zu tolerierenden Anschleimungsleistung der chinesischen Freunde: eine Art crossovernder "chinese-waltz". Hatte so Genosse Mao Tse tung in seinen Richtlinien "Lasst hundert Blumen blühen", die Aufforderung, "stellt das Alte in den Dienst der Gegenwart und das Ausländische in den Dienst des Chinesischen" gemeint? Gewiss nicht. Andererseits: Hier war ja nun anmutig Bambus um das Ufer des Sees gesetzt, Bambus, "der sich biegt, aber nicht bricht, ist ein Zeichen für Anpassungsfähigkeit".

Die Mandarine also drin, die Massen draußen. Gerne hätten sie vom chinesischen Gartenbaumeister ein paar unvergängliche Weisheiten über das im nordchinesischen Stil nach Art eines Gelehrtengartens angelegte Parkwunder erfahren. Gerne auch vom im schwarzen Gewusel prima konstrastierenden blonden Eberhard-Mandarin einiges über eingefädelte Pekinggeschäfte. Aber sie blieben an den Rand gedrängt, stundenlang, ausgesperrt aus einem Garten, den sie schon vor Monaten in Besitz genommen hatten. Wie hatte das Desinformationsministerium mir ausrichten lassen? Jederzeit könne man sich im Garten ergehen, während der kleinen nachholenden Eröffnungsfeier. Jederzeit könne man tausend Sorten echten Tees zeremoniell in sich hineinkübeln. Und jetzt? "Wenn es Demokratie für die Bourgeoisie gibt, gibt es keine Demokratie für das Proletariat und die anderen Werktätigen." (Vorsitzender Mao) Und auch keinen Tee. Denn als ich voll voller Nase seitlich ein Sperrgatter wegheble, mich durchdrücke und nach verschlungenem Weg, halb um den See, vor dem pagodisierenden Teehaus "Berghaus zum Osmanthussaft" stehe, muss ich an der aus erlesenen Hölzern in China handgefertigten Tür - hundert Seecontainer brachten Einzelteile und Einzelnatur hier her - lesen, dass die Massen sich heute hier den Tee abschminken können. Zeit, um den See über die Zackenbrücke zu zickzacken, höchste Zeit, so die bösen Geister abzuschütteln, die zunehmend in mir rumorten, denn die Tölpel können nur gerade Wege gehen.

Still liegt unbeweglich das Steinboot im grauen Gewässer. Aufgeregt sprudelt ein Wasserfällchen über Steine, Ernte aus der Gegend um den Taihu-See bei Wuxi, beste chinesische Steinlage, Steine, Felsen, die ausnahmslos die Grundbedingungen für eine Karriere im Gelehrtengarten erfüllen: "Der Stein muss mager sein und faltig wie ein Hundertjähriger." Gleichwohl symbolisieren die Steine Kraft und Schönheit, eine auch im Sinne unserer Alterspyramide geschickte Kombination von Eigenschaften, die verspricht, den Garten zum bevorzugten Lustrevier enthemmter Greise zu machen. Dazu die Chrysanthemen, die uns ein langes Leben wünschen, die Magnolien, die Schönheit der Weiber imaginierend, und noch einiges mehr an Gewächsen. Zähigkeit, Reinheit, Reichtum und Erektionsfähigkeit verheißend, mit denen in versinkende Zwiesprache zu treten mir aber wegen der Bewachungslage verwehrt blieb.

Ach, eigentlich hätte heute gegen Abend die Sonne herauskommen sollen! Ach, eigentlich hätte kurz darauf der Vollmond, Sinnbild des wieder vereinten Berlins, aus dem Horizont steigen und alles silbrig erleuchten sollen! Doch damit wurde es nichts. Schwer blieb der Himmel bedeckt. Das ist Rache, wenn man mir den Eintritt in die "Stube des heiteren Wetters" verwehrt, wie den in den "Pavillon des ruhigen Mondscheins", mich hindernd, von da zum Oktagonpavillon zu meditieren, von dort zur Steinbogenbrücke hinüber zu jodeln. Im Stile traditionellen, Knochengespenster vertreibenden "chinese yodeling".

Das alles im größten chinesischen Garten Europas. Im "Garten des wiedergewonnenen Mondes" (beachten Sie bitte die Symbolik!), am Rande der Platte, in Berlin-Marzahn.

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