Von wegen Wüste

Politkunst und Quartiersmanagement im Roten Wedding Eigentlich müssten wir uns jetzt gruseln, da wir in die "verbotene Stadt" (Tagesspiegel) eindringen, die Koloniestraße hochhecheln, das "Pulverfass", ...

Eigentlich müssten wir uns jetzt gruseln, da wir in die "verbotene Stadt" (Tagesspiegel) eindringen, die Koloniestraße hochhecheln, das "Pulverfass", das "jederzeit explodieren kann" (Bezirksbürgermeister) und nun auch noch in den schier "rechtsfreien Raum" (Polizeigewerkschaft) der Soldiner Straße einbiegen, die dem verrufenen Weddinger Kiez den Namen gab. Wir sind mittendrin im ruhmvollen Roten Wedding ("haltet die Fäuste bereit"!), schleimen uns rechter Hand in die Prinzenallee hinein und besuchen Peter Slavik, in der "Werkstatt im Medienhof", im Herzen der "Kolonie Wedding", soziokultureller Arm des Quartiermanagements Soldiner Kiez.

15 Jahre unfallfrei wohnt er jetzt im Wedding. Die Tochter nicht minder. Freilich hatte er, Jahrgang ´39, anfangs Probleme, er der gebürtige Wiener, praktisch noch mit den Manieren von Hofreitschule und Opernball aufgewachsen, Probleme mit der allgemeinen Berliner Aggressivität. Aber er lernte schnell, entschlossen an den Hassmonaden vorbeizugehen, quasi schon durch sie hindurch.

Slavik war auch mal "so ein Journalist". So ein Runterschreiber und Aufblaser. Er war Theater-Kritiker und wollte doch lieber Täter sein, Schöpfer. Er hat die Fronten gewechselt. Politisches Theater wollte er machen und kam also nach Deutschland, als das politische Theater daselbst langsam abgeräumt wurde. Er schaffte es zu Palitzsch nach Stuttgart, arbeitete in Dortmund, Ulm und Kiel, wo er das Jugendtheater leitete, als Dramaturg, Autor und Regisseur. Mit eigenen Stücken brachte er es bis ins Burgtheater. Aber, riecht man Kritiken hinterher, hingen ihm die aufklärerischen, politischen, sozialpädagogischen Absichten zu sehr aus den Akten. Möglich, er war im Herzen Spartakist. Und wurde also gleich richtig Sozial- Kulturarbeiter in Berlin beim einschlägigen Internationalen Bund, bald wieder in den Rinnsalen der Einsparungen dürstend.

Jetzt also, seit zwei Jahren Kolonie Wedding - Kunst nutzt Freiraum. "Ich bin glücklich, hier gelandet zu sein", sagt er. In dieser Inszenierung des Quartiersmanagements, leer stehende kleine Läden Künstlern und Galeristen für ein Geringes zur Verfügung zu stellen, ein Dutzend Ausstellungs- und Veranstaltungsräumchen inzwischen, zig hoffende, wagende und bangende Kunstschaffende darum herum. Versuch, "den Kiez aufzuwerten", seine Einwohner zu erreichen und Strahlkraft für die Berliner Szene jenseits der Repräsentations- und Angeberkunst zu entfalten. Ausstellungen, Feste, Tanz im "Glaskasten", Türkpop im "Café Esscapade". "Wir werden den Wedding zum Leuchten bringen!" - ein enthusiasmierter Altgalerist. Aber die Skepsis, ob das hier funktionieren kann, überwiegt. Gleichwohl wollen sie es nach ihren Kräften ausprobieren. Und im dritten Hinterhof, in seinem Büro, Organisations-, Vortrags-, Lesungs-, Musik-, Probe- und Theaterraum, ist Slavik nun in seinem Element, arbeitet sich auf die Rente im nächsten Jahr zu und ab mit den Versuchen, Begegnungen zu organisieren und einen Fuß in die türkische Community zu bekommen. Es ist nicht einfach, selbst bei türkischen Gesängen und Klarinettenklängen bleiben die dunklen Männer zurückhaltend. Und den handgemachten Tee für 50 Cent pro Glas an die Gäste zu bringen, um wenigstens ein bisschen was einzuspielen, hat er schon aufgegeben. Die wollen ihn umsonst. Aber über die Kinder muss es doch gelingen! Also Sprache und Spiel, Farbe und Leim.

Vor ein paar Wochen hat er einen "kleinen Durchbruch" erlebt. Da hat die Kolonie Wedding zusammen mit begnadeten Verrückten-Künstlern aus der Region ein ganzes Wochenende Programm gemacht. Ausstellungen in allen Galerien, Auftritte fantastischer durchgeknallter Drag-Queens, Mischungen aus Charlys Tante und dem jungen Küblböck, Mummenschanz. Ganz leicht durchzog das Slaviksche Hirn der Gedanke, auch die Türken oder Araber könnten bei dieser Gelegenheit ihre Behinderten einmal aus dem Haus lassen. Taten sie nicht, kamen auch nicht in die sehr gefüllten Räume. Aber draußen, auf den Straßen und Höfen, wo die Masken schaukelten und die Tröten tröteten, da standen die Alten mit den Kindern auf den Armen und staunten und freuten sich, weil ihnen so was aus Anatolien nicht ganz fremd ist, vermutet Slavik. Folglich werden sie den Rummel wiederholen, im nächsten Jahr, und noch mehr auf die Mörderstraßen drängen und die Galeristen auffordern, es ihnen gleich zu tun, die Galeristen, die erst glücklich erglüht waren, ob der vollen Lädchen und dem sachkundigen Interesse an den wilden Bildern und Objekten ihrer temporären Künstler, aber dann doch wieder bitter erkalteten, weil niemand etwas kaufte.

Und jetzt das: Wo es gälte die zarten Pflanzen der soziokuturellen Saat, die wachsende Ausstrahlung der Kolonie Wedding zu hegen und pflegen, jetzt kommt so ein alternatives Stadtblatt daher und beschimpft die Zwischennutzer und Billigraumartisten als "Aasgeier", die mittels Selbstausbeutung den Senat dergestalt entpflichten, dass er die schwindenden Mittel nur noch in seine Selbstfeiertempel zu schupfen hätte. Welche Wirrnis!, rufen Slavik und die seit kurzem ihm zur Seite gestellte Halbtagsassistentin: welche Gemeinheit! Findet nicht Humusbildung, aus der eines Tages das bleibend Schöne oder kurzzeitig Erschütternde erwächst, immer und überall notwendig so oder so ähnlich statt?

Grad gegenüber, in einem aufgelassenen Holz und Farben Geschäft, hat sich eine höhlenromantische Kneipe aufgetan, Holz und Farben natürlich, in der regelmäßig geclubt wird und sich auch die Akteure der Kolonie zu kreativen Bierabenden treffen. Hinter dem Tresen steht jetzt ein blonder Student, der wohnt oben drüber und möchte gar nicht anderswo wohnen: gute Häuser, gute Mieten, gute, artenreiche Versorgungslage, gute Verkehrsanbindung zu den Zentren, weitgehende Respektierung der Volksgruppen untereinander, bei Respektierung der Grenzen - er will ja gar nicht auf Teppichen kauern -, selbst die vom rechten Schmuddelrand halten sich auffällig zurück. Und wenn die Wanderbewegungen aus den verkauften Zentren eines nicht fernen Tages den Wedding erreichen, wird hier schon Pionierarbeit geleistet sein.

So könnte es werden. Schriebe die mit dem Grauen spekulierende, alarmistische Journaille nicht alles in Grund und Boden. Drüben im reichen Südwesten Berlins tragen sie täglich die Leichen aus den einsamen Zimmern. Kleine Randnotiz. Aber hier: Kaum wird in einen Trinker gestochen, kaum zoppelt ein kräftiger Hund am polizeigrünen Hosenbund: Hölle! Ja, der Kiez hat ein Image-Problem. Schnauft auch Lukas Born vom Quartiersmanagement. "Eine ›Kiezdepression‹ wird geradezu herbeigeredet." Dabei solle man ihm und uns mal ein Quartier zeigen, das über größere Grüngürtel, Parkanlagen verfüge, mehr und schönere Spielplätze, angemessene Verkehrsberuhigung - äußere Aufwertungen, auf die das Quartiersmanagement sich erst einmal konzentriert hatte. Und nun, nachdem dies alles verbessert, angelegt, gesäubert wurde, verstärkt man die Arbeit am Spracherwerb vor allem der Mütter der großen türkischen und arabischen Familien. 37 Prozent der Kiezbewohner sind Ausländer. Der überwiegende Teil ist türkisch, vor den Arabern. 40 Prozent der Türken sind arbeitslos. 45 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren sind ausländischer Herkunft. Da wärs nicht schlecht, wenn man mit denen auch mal Deutsch reden könnte

Gleich neben dem Quartiersmanagement ist die Haci Bayram Moschee. Die hat heut, wie´s der Teufel will, Tag der offenen Tür. Der Pinscher bleibt draußen, aber die Frau kommt mit. Unverhüllt. Wir studieren die unvergänglichen Gesetzestafeln Allahs, wir drücken uns an den für uns bereiteten Köstlichkeiten vorbei, köftevoll, wir richten uns probeweise im Gebetsraum nach Osten, der Muezzin leckt uns am Ohr, und unser bartloser Führer beschwert sich, wie verdammt schwierig es sei, den Nachwuchs zu integrieren, wenn die Deutschen mit ihren Kindern die Flucht ergriffen, so dass in der Klasse nur noch undeutsche Vielvölkerei herrsche. Er führt uns in die schlichten Räume der Koranschule und beruhigt uns über das Treiben daselbst, denn für den einfachen, gar ländlich geprägten Türken seien die theologischen Fragen doch allzu entfernt und schwierig. Er braucht einen einfachen Kodex, Gesittung und stützende Kenntnisse von Sprache und Schrift des Korans.

Jetzt hauen wir uns aber doch noch ein paar der köstlichen Kuchen rein, dürfen auch ein Baby anfassen, Frucht einer türkisch-deutschen Beziehung und Genitalislamisierung, und als wir wieder rauslaufen überreicht ein erstklassig gegelter Türkenbub, vom Äußeren des ganz jungen Delon, der Frau eine langstielige Rose. Da stehen wir am Rande vom Culture-Clash.

Haci Bayram ist ziemlich gut organisiert, sagt Peter Slavik. Heute kriechen ein halbes Dutzend türkischer Mädchen zwischen vier und dreizehn über seine Bühne. Sie sind durch einen alten Koffer in ein stockdunkles Höhlensystem gekrochen und folglich blind. Haci Bayram, sagt Peter Slavik, ist ziemlich strong oder strange. Die Mädchen hier werden nach der Probe ihre Kopftücher wieder um tun. Bis auf das älteste. Das geht jetzt ins Gymnasium. "Da sind auch die Eltern irgendwie anders drauf. Die engagieren sich hier." Ülüsü will jetzt nicht mehr herumkriechen: "Peter, ich will lieber die Meer machen!" ruft sie, und obwohl die Assistentin Amelie etwas unwillig wird, entfaltet sie mit Peter die große Meeresfolie, lässt die Wellen krachen und die Mädchen stürzen sich von der Bühne in gefährliche Meeresabenteuer. Sie improvisieren sich auf einen vorweihnachtlichen Theaterabend zu, wo dann die Werkstatt wieder überschießen wird von großfamiliären Emotionen. Wie im vergangenen Jahr. Er hat es auch mit Buben versucht. Aber "die machen alles kaputt", die wollen gleich Produkte, nichts erarbeiten. Dann langweilen sie sich und geben den Pascha. "Hat keinen Sinn." Im vergangenen heißen Sommer haben mir die Mädchen so leid getan", sagt Slavik: Die hingen rum, Ferien, keine Koranschule, und die Brüder gingen ins Schwimmbad. Sie durften nicht. Und da bricht aus Amelie noch so ein feministisches Nachbrennen in die Werkstatt: "Die dürfen gar nichts. Und dann werden sie vom Onkel vergewaltigt." Behutsam versucht Slavik dämpfende Intervention.

Vor einiger Zeit stand er mit dem "Vertrauensmann des Volkes" (Frieder Butzmann) zusammen, einem Mann aus der Gewerkschaftsbewegung, und sie betrauerten das völlige Fehlen politischen Bewusstseins und politischer Debatten in diesem traditionsreichen Bezirk, wie es einmal gewesen war, oder wie es in "Barrikaden am Wedding", 1931 den Blutmai erinnernd, schon hieß, wie es einmal gewesen sein muss: "Warum war denn det früher anders in der Weddinger Jugend ...? - Weil wir da politisch gearbeitet haben; und wer bloß knutschen wollte, wurde solange an die frische Luft gesetzt, bis er wieder bei Verstand war ...!", da formte sich in ihm endgültig aus, was er machen würde, in einem Jahr, auf Rente, und sein Werk hier fortgeführt würde, wenn alles gut geht, von Amelie: Politisches Kabarett! Hart, kompromisslos mit der Hinterlist eines Kraus´ oder Qualtingers, da wo es hingehört, im Wedding, auf dieser Bühne.


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