Das Besondere an Jubiläen ist manchmal, dass sie überhaupt statt finden. In den vergangenen 15 Jahren stand der Versuch, eine linke Ost-West-Wochenzeitung in Deutschland zu etablieren, schon mehrfach vor dem Aus. Als wir den Freitag vor knapp zehn Jahren für eine Mark und mit einem Haufen Schulden übernahmen, hatte es bereits verschiedenste Rettungsversuche gegeben. Die Einstellung schien unvermeidlich. Umso mehr zählt, was wir heute als Erfolg vorweisen können. Während viele andere Wochenzeitungen vom Markt verschwanden, hat sich der Freitag stabilisiert.
Die Verkaufserlöse decken mittlerweile die laufenden Produktionskosten. Wir erzielen zwar keinen Gewinn, häufen aber auch keine neuen Schulden mehr an und das, obwohl das Anzeigengeschäft inzwischen auf geschäftlich irrelevante Größen schrumpfte. Die Verkaufszahlen sind in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr gesunken, trotz einer relativ hohen Fluktuation unter unseren Abonnenten. Viele unserer Leser, die über die Vorgängerzeitungen des Freitag - den SONNTAG und die Volkszeitung zu uns kamen - befinden sich inzwischen in fortgeschrittenem Alter. Wir konnten diesen "natürlichen Verlust" nur ausgleichen, weil es gelang, neue Leserinnen und Leser zu gewinnen. Aktuell liegt die verkaufte Auflage bei 15.000 Exemplaren. Das ist etwas mehr als in den beiden vergangenen Jahren.
Positiv haben sich auch die kleinen Nebenaktivitäten entwickelt. In der Edition Freitag sind inzwischen fünf Titel erschienen - drei weitere werden bis Jahresende dazu kommen. Der Vertrieb von Freitag-Geschenk-Artikeln bringt einen kleinen Zusatzverdienst. Inzwischen kann das Blatt auch als Online-Zeitung abonniert werden. So ist der Freitag heute eines der wenigen Wochenblätter, die ohne Millionen-Subventionen überleben.
Dafür danken wir der Redaktion und den Lesern. Sie haben zum Freitag gehalten, als viele uns schon abgeschrieben hatten, als es uns schwer fiel, vernünftige Löhne zu zahlen, als es nur weiter ging, weil viele Leser mit großzügigen Spenden einsprangen. Schade, dass Günter Gaus und Wolfgang Ullmann unser Jubiläum nicht mehr miterleben können. Sie waren die prägenden Persönlichkeiten des Herausgeberkreises. Wir wissen, wie sehr sie zum Ansehen der Zeitung beigetragen haben - sowohl mit ihrem öffentlichen Renommee wie mit ihren zahlreichen eigenen Artikeln. Gemeinsam mit Christoph Hein und Gerburg Treusch-Dieter bildeten sie einen idealen Herausgeberkreis, der den Anspruch des Freitag wunderbar verkörperte, die verschiedenen gesellschaftskritischen Milieus, Politik und Kultur, Ost und West miteinander ins Gespräch zu bringen.
Und doch ist klar: Konsolidierung allein reicht nicht aus. Damit der Freitag längerfristig überleben kann, brauchen wir noch mehr neue Leser - ohne die alten zu verlieren. Es muss gelingen, uns auch dort ins Gespräch zu bringen, wo der Freitag bisher noch ganz unbekannt ist. Offenbar haben wir unser Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Häufig hören wir von begeisterten Lesern, die vom Freitag bisher nichts wussten. In vielen Regionen und Milieus sind wir einfach nicht präsent. Das hat sicher auch damit zu tun, dass uns die im Zeitungsgeschäft sonst üblichen Werbemedien nicht zur Verfügung stehen. Das Gewinnen neuer Abonnenten ist eine immens teure Angelegenheit: für einen einzigen Leser muss in der Regel das Vielfache eines Jahresabos an Werbekosten aufgewandt werden.
So bleibt uns denn nichts anderes, als uns auf unsere eigenen Potenziale zu verlassen. Das sind vor allem Sie, liebe Leserinnen und Leser. Auf Ihre Mund-zu-Mund-Propaganda, Ihre Werbe- und Geschenkabos sind wir angewiesen. Gleichzeitig werden wir versuchen, durch eine breitere Kioskpräsenz mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen. Durch fachlich anspruchsvolle Schwerpunktausgaben sollen auch die interessiert werden, die bisher noch nie zum Freitag griffen.
Die Stärkung des Freitag ist aber nicht nur eine Frage der Werbung. Entscheidend bleibt das inhaltliche Profil. Damals, vor 15 Jahren, erhielt der Freitag den Untertitel: "Ost-West-Wochenzeitung". Sicher hätte man auch schreiben können: "Die einzige Ost-West Zeitung" - und wir sind es bis heute geblieben. Wahrscheinlich ist die wechselseitige Sprachlosigkeit inzwischen eher noch größer geworden. Was Gewerkschaften, Linkspartei oder Hauptstadtkulturszene noch vor sich haben, praktizieren wir seit 15 Jahren, in der Redaktion, unter den Herausgebern, aber vor allem im Blatt selbst. Trotz all seiner innenpolitischen Aktualität wollen wir das Konzept der Ost-West-Zeitung aber nicht länger nur auf die deutsche Spaltung beziehen. Spätestens seit der EU-Erweiterung heißt Ost-West-Zeitung auch Ost-West-Europa-Zeitung. Hier - gerade bei der Osteuropa-Berichterstattung - hat der Freitag schon heute häufig die Nase vorn. Das wollen wir weiter ausbauen.
Inzwischen wird immer deutlicher, dass die Aufgabe einer gesellschaftskritischen Wochenzeitung vor allem darin besteht, "lagerübergreifend" zu wirken: Wir müssen verschiedene Kulturen und Diskussionszusammenhänge miteinander ins Gespräch bringen, und die Milieugrenzen der linken Strömungen noch viel bewusster als bisher in Frage stellen. Die Zeiten, in denen es so schien, als fiele das Gute noch wie von selbst mit dem Wahren zusammen, gehören wohl endgültig der Vergangenheit an - zumindest was gesellschaftskritische Positionen angeht. Viele linke Grundüberzeugungen haben sich inzwischen als durchaus fragwürdig erwiesen. Seit der einstige Kanzlerkandidat und ehemalige Bundesfinanzminister zum Führer der Linksopposition wurde, seit die Grünen sich in Kabinettsdisziplin üben durften und doch wieder in der Opposition landeten, und seit die SPD über eine eigene innere Opposition verfügt, die es leid zu sein scheint, die eigenen Kanzler oder Vizekanzler zu tolerieren, seitdem ein PDS-Wirtschaftssenator sich wacker müht, seine Wirtschaftsförderpolitik gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer gegen populistische Zwischenrufe der grünen Opposition zu verteidigen - spätestens seit dem all diese eigentlich wohl schon immer existierenden Unübersichtlichkeiten so deutlich zur Sprache kommen, verlieren die alten linksintellektuellen Wagenburgen an Bedeutung. Da ist es wichtig, die respektvolle und radikal-ernsthafte Auseinandersetzung nach allen Seiten zu suchen - auch mit den Kräften der so genannten gesellschaftlichen Mitte.
Der Freitag ist beides: eine Kultur- wie eine Politikzeitung. Das bietet die Chance, manche allzu ausgetretene Argumentationsschleife auch einmal zu verlassen, die Chance, Politik aus der Perspektive der Kultur und Kultur politisch zu betrachten - eine Möglichkeit, die wir in Zukunft noch viel stärker nutzen sollten.
Was andere Wochenmagazine erst schrittweise zu werden scheinen, ist der Freitag schon immer gewesen - eine Autorenzeitung. Ursprünglich war auch dies aus der Not geboren. Da Geld, Kontakt und Einfluss fehlten, um mit exklusiven Hintergrundgeschichten zu glänzen, wurde der persönliche Blick des Autors zum Markenzeichen des Blattes. Seine reflexiv gebrochene Sicht auf das vermeintlich schon allzu Bekannte, seine Reportagereisen in gesellschaftlich abseitige Räume und seine durch fundiertes Fachwissen begründeten Analysen sind wohl das entscheidende Argument, trotz all der übrigen Publikationsflut Woche für Woche fast drei Euro für den Freitag zu bezahlen. Die Autoren sind deshalb unsere wichtigste - in der Vergangenheit manchmal allzu sehr vernachlässigte - Ressource. Für die Zukunft wird es deshalb darauf ankommen, die bekannten Namen für den Freitag zu erhalten und durch möglichst viele neue Talente zu ergänzen.
Weil Freitag lesen nicht nur kritischer und klüger, sondern auch Spaß machen soll, erscheinen wir neuerdings einmal pro Monat mit einem Robinson: Eine Beilage, die in Text und Bild neue Akzente setzt und Sie, liebe Leserinnen und Leser, mitnehmen will in fremde, abenteuerliche Welten - innere und äußere.
Der Autor ist Sprecher der Verlegergruppe des Freitag.
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