Die Revolution siegte in der Silvesternacht 1958. Nach einem mehrjährigen Guerillakrieg eroberten die Kämpfer unter Führung von Fidel Castro und Ernesto Guevara die Stadt Santa Clara. Der Diktator Fulgencio Batista floh am Neujahrstag in die Dominikanische Republik.
Zwei Tage später kam es in Berlin zu einem Nachhutgefecht: Aufgeputscht durch die Siegesmeldung aus Kuba und nicht wenige Vitamintabletten besiegte die Journalistin Ulrike Meinhof im Rededuell Helmut Schmidt, den wehrpolitischen Sprecher der SPD. Es war der SDS-Kongress, auf dem zwischen den alten Herren (auch Schmidt war einst SDS-Vorsitzender gewesen) und den jungen Aufrührern der konkret-Gruppe darum gerungen wurde, ob sich der Westen um Gespräche mit der damals noch als „Ostzone“ berüchtigten DDR bemühen solle. Schmidt, der eben eine Wehrübung absolviert hatte und zum Hauptmann befördert worden war, verließ türenschlagend den Saal und schimpfte den Publizisten Erich Kuby, der an der Meinhof-Resolution mitgearbeitet hatte, einen „Kollaborateur“. Diese Niederlage hat Schmidt den Linken nie verziehen.
Die SPD strebte 1959 nach der Regierung, verabschiedete sich im Godesberger Programm vom Marxismus und trennte sich im Unvereinbarkeitsbeschluss vom SDS. Nicht nur die linken Studenten, sondern die ganze Linke, die nicht mit aller Gewalt staatstragend sein wollte, wurde heimatlos. Kuba war da der beste denkbare Ersatz.
Kuba war bis zum Sieg der Guerilla ein Spielerparadies für die Gringos, eine Mafia-Filiale von Las Vegas und Atlantic City, nordamerikanischer Erbhof, seit Theodore Roosevelt 1898 im Spanisch-Amerikanischen Krieg mit seinen Rough Riders den San-Juan-Hügel eingenommen hatte. Castros Sieg bedeutete eine schlimme Kränkung und ließ sich nur verkraften, indem man ihn zum Kommunisten erklärte. Castro tat wie geheißen, verstaatlichte die Niederlassungen der USA, und die rächten sich mit einem brutalen Embargo. Es gab kein Erdöl mehr, Zucker aus Kuba durfte nicht mehr importiert werden. Als auch noch die Invasion in der Schweinebucht so kläglich scheiterte, gab der Norden die Zuckerinsel endgültig verloren.
Sartre, Enzensberger und Co.
Der kubanischen Revolution blieb nur die Anlehnung an die Sowjetunion, die zögernd bereit war, das wirtschaftliche Überleben der Revolution zu sichern. Für den kulturellen Mehrwert sorgten die Revolutionstouristen. Jean-Paul Sartre kam aus Paris und erklärte, die kubanische Revolution sei „eine Rosskur, die man mit Gewalt verschreiben muss“. Der sanfte Dichter Peter Rühmkorf spannte Arno Schmidt und Fidel Castro in einem Bildrahmen zusammen und fing sich dafür den Tadel seines Freundes Hans Magnus Enzensberger ein. Bald jedoch zog es auch Enzensberger auf die Seite der Rebellion. Vorreiter war der Bundeswehrdeserteur Günter Maschke. Er hatte sich zuvor bei den Situationisten umgetan und in Tübingen bei Ernst Bloch dem Geist der Utopie gelauscht, dann bat er in der kubanischen Botschaft in Wien um politisches Asyl.
Der Verleger Giangiacomo Feltrinelli reiste an, um Castros Autobiografie zu kaufen und Nachhilfe in Revolutionsträumen zu nehmen. Peter Weiss kam, um anzubeten. Der halbe Frankfurter SDS erschien und wollte helfen bei der Zuckerernte, die selbstverständlich alle planwirtschaftlichen Rekorde brechen sollte. Doch niemand war besser als Enzensberger. Er warf ein Stipendium in Nordamerika hin, erklärte die Politik der Vereinigten Staaten für „gemeingefährlich“ und verkündete in der New York Times, er habe den „Eindruck, dass ich den Kubanern von größerem Nutzen sein kann als den Studenten der Wesleyan University, und dass ich mehr von ihnen zu lernen habe“. Ernst Bloch, der die DDR glücklich überstanden hatte, erklärte Kuba zum „Schwabing der Welt“.
Wim-Wenders-Touristen
In seinem Erinnerungsbuch Tumult, das die aufgeregten Jahre in einen Abend mit breitem Goldrand taucht, erzählt Enzensberger von seinem Traum, dass es einen „Sozialismus ohne Panzer“ geben könne, und wie er heftig enttäuscht wurde. So kann er von der verwegenen Idee des máximo líder berichten, rings um die Hauptstadt 40 Millionen Kaffeebäumchen zu pflanzen. Die Kulturschaffenden sind zur freiwilligen Sonntagsarbeit einbestellt. Sie schuften revolutionsbegeistert in der Hitze, bis sie wieder in die Stadt gefahren werden. Ein alter Bauer sagt: „Die Stecklinge werden eingehen, weil es hier viel zu lehmig und zu trocken ist.“ Ähnlich erfolgreich verläuft die Produktion von französischem Camembert, die Umzüchtung von Hühnern zu einer höheren Legefrequenz, die ganze Planwirtschaft.
„Der Zucker klebte im Hemd. Maschinen, mit harter Währung bezahlt, / verrotteten an den Kais. Von Gerüchten summte La Rampa. / Kratzfüße in Moskau, neue Kredite. Das Volk stand Schlange, / war unzuverlässig, riss hungrige Witze“, heißt es in einer von Enzensbergers Balladen aus der Geschichte des Fortschritts. Es war nämlich keiner. Als die schreibenden Kuba-Sympathisanten gegen die Verfolgung ihres Kollegen Heberto Padilla protestierten, erklärte der zunehmend paranoide Castro sie alle zu „CIA-Agenten“.
Günter Maschke kehrte nach Deutschland zurück und kam in Haft. Die Münchner Tupamaros verübten einen Molotow-Anschlag auf den Richter, der ihn einsperrte. Sie wussten ja nicht, dass Maschke bekehrt war und genug hatte von der Revolution. Vom Linksradikalen hatte er sich zur äußersten Rechten bewegt und saß nun zu Füßen des ehemaligen NS-Kronjuristen Carl Schmitt. Enzensberger begrub seine Revolutionshoffnungen. Zuletzt kamen wenigstens die zahlenden Touristen, die durch Wim Wenders’ Buena Vista Social Club verlockt auch dieses Disneyland mit den verrotteten Kolonialhotels erleben wollten.
„Verurteilt mich! Das hat nichts zu bedeuten, die Geschichte wird mich freisprechen“, hatte der angeklagte Revolutionär Fidel Castro 1955 vor Gericht erklärt. Da hatte er noch gar nicht gesiegt. Es gab noch kein Embargo, keine Erschießungen, keine Jagd auf Homosexuelle, keinen Dauer-Bankrott. Ob ihn die Geschichte freisprechen wird, ist die Frage. Sie hat jedenfalls über Castro und die kubanische Revolution gesiegt. Aber noch schlimmer dürfte die Niederlage für die USA sein: 65 Jahre vergeblicher Kampf um verlorene Spielcasinos und Bordelle. „Ohne die Dummheit und Gier der Amerikaner“, meint Enzensberger, wäre „diese Revolution spurlos untergegangen wie ein Dutzend anderer in Lateinamerika, überdauert von dem herzigen Coca-Cola-Girl, das alle, die vom Umsturz träumen, auffordert: Mach mal Pause.“
Es ist nicht der schlechteste Treppenwitz der Geschichte, dass sich in diesem Jahr ein ausgemachter Reaktionär wie Ted Cruz um das Amt des Präsidenten der USA bewerben will. Als Frömmler ist er für die fundamentalistischen Amerikaner die ideale Besetzung für das Weiße Haus. Sein Vater behauptet gern, er habe an der Seite Fidel Castros gegen das korrupte Batista-Regime gekämpft und deshalb 1957 das Land verlassen müssen. Dass Castro Kommunist war, sei ihm gar nicht aufgefallen.
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