Ohne Demut kein Paradies

Unterordnung Ist Unterordnung künftig das unverzichtbare Mantra für die Weltverbesserung?

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Welch abstoßender Titel ausgerechnet in diesem Kontext! Diese aus den religiösen Sphären stammende Aussage bedarf wohl dringend einer Zurechtweisung, zumindest aber einer Klärung.

Liegt in dem offensichtlichen Irrglauben, dass Demut die höchste aller Tugenden ist, nicht die Quelle allen sozialen Übels? Wie kann es bloß sein, dass der Mensch dem Menschen predigt, er solle sich ehrerbietig und dienstbeflissen seinem Schöpfer unterwerfen, wie ein Knecht seinem Herrn, da er nur so den Segen von höchster Stelle bekomme, um so zumindest irgendwann von seinem Leid erlöst zu werden?

Ist eine der Benediktsregeln, dass man durch Demut hinauf- und durch Selbsterhöhung hinabsteige, dass man in diesem Sinn also besser sein Herz anstatt seine Kleider zerreißen soll, nicht geradezu eine Anleitung zur Unterdrückung in dieser Welt?

Ermöglicht solch eine in religiösen Fantasien verirrte Meinung nicht genau die Logik des Selbstmordattentäters, den Terror sapiens sozusagen, wonach die Hingabe des eigenen Lebens im Kampf gegen die (vermeintlichen) Feinde seines eigenen Gottes – also der bewusst praktizierte Märtyrertod – den maximalen Gottesdienst darstellt und somit der effektivste Schlüssel für den direkten Zugang zum Glück der Seligen im Jenseits ist? Ist genau das mit der Aussage gemeint, dass es ohne Demut kein Paradies gibt? Welch eine gefährliche Aussage dann!

Warum aber sind so viele Religiöse, Esoteriker und Spirituelle davon überzeugt, dass das hiesige Leben eine Leid schaffenden Illusion ist und dass nur dem Demütigen, der sein Ego hinter sich zu lassen vermag, am Ende Erleuchtung zuteil werden kann und er erst dann die Wirklichkeit erblickt? Findet Zukunft ausschließlich in transzendenten Sphären statt?

Ist die Vorstellung von Freiheit, Erfüllung und Glück im Transzendenten – erreichbar durch ein gottgefälliges Leben – dann doch viel mehr als bloß die berauschende Fantasie geknechteter Menschen? Braucht es zur Befreiung tatsächlich den Glauben an jenseitige Erfüllung?

Denn die Realisierung von irdischem Wohl ist ja bekanntlich bisher grandios gescheitert. Weder die kommunistische Zentralverwaltungsgesellschaft noch die kapitalistische Marktwirtschaft vermochten den Menschen das Paradies auf Erden zu bringen. Die Neoliberalen erfahren genau jetzt das abrupte Ende Ihrer Selbstherrlichkeit und für die Linken ist das Sitzenbleiben zum neuen Aufstehen geworden, u. a. weil „Linke-Debattierrunden“ den Charme von lethargischen Depri-Veranstaltungen versprühen, bei denen die Hybris durch Selbstgefälligkeit und Besserwisserei das einzige ist, was einem kurzzeitig von seinem intellektuellen Rollator hochzureißen vermag, während im prallen Leben zunehmend mehr Menschen generations-, partei-, gesellschafts- und kulturübergreifend aktiv werden und nach ihren Möglichkeiten Alternativen zu realisieren beginnen und dadurch an all den „Geistig-Geh-Behinderten“ mit frischer Einsicht und Tatkraft reihenweise vorbeiziehen. Etwa solange, bis die Linken endgültig ausgestorben sind?

Wer aber unterstützt die heutigen Aktiven, denen von der Rollator-Fraktion aufgrund deren eigenen Kriechgeschwindigkeit sogar Aktionismus vorgeworfen wird?

Was kann bzw. was muss die Menschheit zu Beginn des 21. Jhs. tun, um endlich zeitnah ihre schlimmsten Probleme in den Griff zu bekommen? Könnte dann doch vielleicht sogar Demut dabei eine Rolle spielen, selbst wenn es nicht um ein jenseitiges, sondern um ein handfestes diesseitiges Paradies geht? Wer aber würde heute noch den Begriff des Paradieses für mögliche weltliche Zustände benutzen?

Wohl kaum einer. Das materielle Paradies erleben heute lediglich die wenigen Gewinner des gnadenlosen Wettbewerbs. Und dieses Erlebnis wird auch auf sie beschränkt bleiben, so lange nicht mehr Menschen am Wohlstand teilhaben können.

All die anderen Menschen werden zum Erkennen eines weltlichen Paradieses vermutlich dann noch etwa 50 Jahre brauchen, bis das Leben auf diesem Planeten zur schieren Überlebens-Qual verkommen ist und man sich dann vielleicht an die nahezu paradiesischen Zeiten – zumindest was Klima und Natur anbetrifft – in früheren Zeiten erinnert. Das weltliche Paradies also bloß als verklärte Vergangenheitserinnerung?

Und genau darin offenbart sich eines der zentralen Probleme: Natürlich könnten die Menschen bereits am Anfang des 21. Jhs. von derartigen Erkenntnissen geleitet werden, wenn sie nicht nur über ihren Tellerrand hinaus blicken, sondern sich auch umdrehen und so die eigene Begrenztheit erkennen würden.

Aber berauscht durch die vielen technischen und sonstigen Erfolge obsiegt die Selbstverherrlichung, deren enge Verwandte sind: Selbstgefälligkeit, Anmaßung, Vermessenheit, Selbstüberschätzung, Überheblichkeit, Aufgeblasenheit, Wichtigtuerei, Einbildung, Stolz, Großspurigkeit, Angeberei, Besserwisserei, Eitelkeit, Narzissmus, Egozentrik, Egoismus, Neid, also Hybris und Hochmut in äußerst toxischer Konzentration. Hochmut zeichnet sich durch die zur Schau getragene Missachtung von allem anderen aus. Ohne eben genau solch eine Hochmut wäre es niemals zu einer derart massiven Missachtung von Mensch und Natur gekommen, wie sie sich zu Beginn des 21. Jhs. auf verheerendste Weise offenbart.

Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Erwartet die Menschen danach nur noch das Gegenteil von Hochmut – die extreme Demut: als hilfloser Spielball einer tosenden Natur, ausgeliefert den höheren Gewalten, die den Menschen ihre eigene Unfähigkeit sekündlich vor Augen führen; zurückgeworfen auf den persönlichen Kampf um verbleibende Ressourcen, weil es Milliarden von Menschen an die letzten Wasserstellen und Futtertöpfe drängt; ausgegrenzt durch die unerbittlichen Mauern der wenigen Gewinner dieses Überlebens-Wettbewerbs; gesamtgesellschaftlichen Zwängen ausgeliefert und persönlicher Versklavung willig unterworfen, da nur die übelste Diktatur die Menschen zumindest irgendwie in ihre Schranken zu weisen vermag … also dem Schicksal willenlos und voller Furcht ergeben.

In solch einer Situation wird höchstwahrscheinlich dann doch einzig die Hoffnung überleben – und eben nicht die Linken-Endlosdebatten–, dass man als Einzelner nur durch wahrhaft innere Ergebenheit und Demut eine Eintrittskarte für das Paradies jenseits des Schlamassels zu erlangen vermag. Immerhin etwas oder nicht! So wird man aus "gutem Grund" fortan die Demütigungen wieder mit einem gläubigen Lächeln im Gesicht ertragen.

Schon lange hätte es die Sternstunde von durch Erfahrung geläuterten Linken sein können, aber die entsorgen sich bekanntlich gerade selbst auf dem Müllhaufen der Geschichte und überlassen das Feld den Demagogen und Heilspredigern bzw. oder ordnen sich gleich selber unter deren Knute unter. Die wiedererstarkte Demut manch eines verirrten Linken betoniert somit das neue Rechts. Ist durch das Leben in dem heutigen liberalen Sowohl-als-auch-Pluralismus nicht sowieso alles „scheißegal“? Ist also das neue Rechts das alte Links – zu Recht?

Willkommen in der Orientierungslosigkeit und katastrophalen Verirrung, da auch die Linken nie gelernt haben, mit der Vielfalt konstruktiv umzugehen! Dadurch sind sie in keiner Weise besser als ihr Entweder-oder-Gegenteil! Und etwas daran zu ändern, gliche ja geradezu blindem Aktionismus oder wurde da etwas falsch verstanden?

Weiterhelfen kann jetzt nur noch die Fraktion derjenigen Menschen, die eine Chance in den zahllosen „Dritten Möglichkeiten“ erkennt, die jetzt die Vielfalt als Fakt theoretisch und praktisch anerkennt (und nicht erst am esoterischen Sankt-Nimmerleins-Tag), die Vielsichtigkeit ganz selbstverständlich praktiziert, die Globale Intelligenz fortschreitend besser zur Anwendung bringt und die die Menschheit mithilfe globaler Kooperation endgültig vom Schrecken der menschgemachten Zwangsjacke – bestehend aus begrenzender Einseitigkeit und grenzenlosem Egoismus – zu befreien versteht. Es sind genau diejenigen Menschen, denen vollkommen klar geworden ist, dass es jetzt statt blinder Dogmatik um situationsgemäßes Handeln gehen muss, jenseits der Extreme von Hochmut und Demut.

Selbstverständlich braucht es einerseits die Anerkennung und Wertschätzung seiner eigenen Kompetenzen, es braucht entsprechendes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, Stärke und Durchsetzungskraft durch z. B. Begeisterung, Optimismus und Mut, was aber mit toxischem Hochmut genau nichts zu tun hat.

Andererseits braucht es ebenso die Einsicht in die grundsätzliche Abhängigkeit des Menschen von der Natur und der Menschen untereinander. Es braucht dringend die Einsicht in die Begrenztheit des eigenen Wissens und der eigenen Kompetenzen, in die ganz natürliche Fehleranfälligkeit, in die Notwendigkeit zu Kommunikations-, Kritik- und Lernkompetenz. Es braucht die Einsicht in die eigene wiederkehrende temporäre Hilfsbedürftigkeit und somit in die grundsätzliche Angewiesenheit auf andere Menschen. Daraus kann ganz natürlich die Erfahrung gegenseitiger Verbundenheit erwachsen, gepaart mit kritischer Offenheit und Wertschätzung anderen gegenüber, gepaart mit dem Wunsch nach fruchtbarer Kooperation auf gleicher Augenhöhe.

All das sind Aspekte von Demut, die mit deren toxischen Auswüchsen überhaupt nichts mehr zu tun haben. Menschen, die in diesem Sinne demütig sind, haben nichts mit schwächelnden Weicheiern, sondern mit würdevollen, starken und gelassenen Menschen zu tun, die neben ihrem gesunden Selbstbewusstsein auch Respekt vor den Fähigkeiten und den Leistungen anderer haben, für die emotionale Intelligenz und praktizierte Sozialkompetenz eine Selbstverständlichkeit sind.

Wem in der heutigen Zeit ernsthaft an sinnvollen Veränderungen hin zum größtmöglichen Wohl von Mensch und Natur gelegen ist, der kommt an dem komplementären Zusammenspiel der Aspekte von Demut mit den Aspekten gesunden Selbstbewusstseins nicht vorbei. Nur dann können auch Erfahrungen wie Bescheidenheit, Barmherzigkeit, Selbstlosigkeit, Dienst im Sinne der Aufgabe, Friedfertigkeit, Ausgewogenheit, Besonnenheit, Empathie und Liebe ihren festen Platz im Leben der Menschen erhalten.

Für ernsthafte und wahrhaftige Anhänger einer spirituellen Lebensweise ist es klar, dass Veränderung sowohl im tiefsten Inneren als auch in der alltäglichen Lebenspraxis geschieht. Für die Anhänger gesellschaftlicher Veränderungen sollte es ähnlich klar sein, dass es neben dem äußeren Wandel auch des persönlichen Wandels bedarf.

Also kein Wohl ohne auch Aspekte von Demut. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Sozialen Revolution der Einsichtigen und Besonnenen.

Nachtrag

Liegt in bestimmten Lebensphasen das oft schmerzvolle Hinnehmen von unabwendbaren Situationen an, so ist in anderen Lebenssituationen das kraftvolle und selbstbewusste Aufbegehren gegen Vorkommnisse angesagt. Mit dem Fortschreiten dieses Lernprozesses kann sich z. B. die eigene Ausgewogenheit der widersprüchlichen Aspekte Hinnehmen (Demut) und Aufbegehren (Durchsetzungsvermögen) entwickeln. Weder allein das Eine noch allein das Andere reichen für ein gelingendes Leben aus - ganz im Sinne des sogenannten Gelassenheitsgebetes:

„Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern,
die ich ändern kann,
und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.“
(unterschiedliche Quellen)

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Geschrieben von

Insel-Banker

Es ist keine Kunst, Sand im Getriebe zu sein, aber es ist ein unschätzbares Vermögen, wichtige Entwicklungen mit anzutreiben.

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