In der zentralen Moskauer Fußgängerzone am Arbat verprügeln Skinheads eine schwangere Inderin, die danach eine Fehlgeburt hat. Im Bezirk Fili überfällt die Gang Russisches Ziel William Jefferson, einen dunkelhäutigen Wachmann aus der US-Botschaft - der junge Marineinfanterist kommt erst in einem Hospital wieder zu sich. Er teilt sein Schicksal mit Peter Taaffe, dem Generalsekretär der Sozialistischen Partei Großbritanniens, der während seines Moskau-Besuchs gleichfalls Opfer des Überfalls einer rechtsradikalen Gruppe wird.
Skinheads gehören heute mehr denn je zur Subkultur Russlands. Moskauer Soziologen gehen davon aus, dass in den Weiten der Föderation etwa 55.000 kahlgeschorene Jünglinge gedeihen, die sich als Ableger nazistischer Bewegungen betrachten und ihre Gehirnwäsche einer aufblühenden Skinhead-Presse anvertraut haben: Blätter und Magazine wie Pod nol (Kahlgeschoren), Beloje soprotiwlenije (Weißer Widerstand), Ja - belyj (Ich bin ein Weißer) und Streetfighter (ein englischsprachiges Periodikum, das sorgfältig ins Russische übersetzt wird). Besonders Pod nol oder Beloje soprotiwlenije versehen die Propaganda der Xenophobie mit der Maske des Patriotismus, damit kein Richter und kein Politiker auf die Idee kommt, vielleicht eine Ausgabe beschlagnahmen zu lassen und einzustampfen.
Kinder der Reformen
Am wuchernden Neonazismus der 14- bis 20-Jährigen partizipieren gleich mehrere rechtsradikale Parteien wie Russkij nazionalnyj sojus (Russischer Nationaler Bund), Nazionalno-derschawnaja partija (Nationale Großmachtpartei) oder Partija swobody (Freiheitspartei), die in den Cliquen der Skinheads wohl nicht zu Unrecht eine Art Kaderreserve entdeckt haben. Die jedoch beharren vorerst mit stoischem Gebaren auf ihrer Autonomie und bilden ihrerseits gern größere Formationen, wie das in Petersburg mit Russki kulak (Russische Faust/400 Mitglieder) oder Sewer (Norden/300) in Nishni Nowgorod bereits geschehen konnte.
Protektion durch einschlägige Netzwerke des internationalen Rechtsradikalismus bleibt nicht aus. Sehr bemüht zeigen sich die Emissäre der in Deutschland verbotenen Wiking-Jugend und des Stahlhelms. Nach Angaben des Moskauer Büros für Menschenrechte ist es diesen und anderen Mentoren gelungen, einen sicheren Kommunikationskanal nach Russland aufzubauen: Über ultrarechte Verbände in Lettland und Estland werden neonazistische Schriften, Audiokassetten und Uniformen nach Russland geschleust. Resultat dieses Anschwellens der Skinhead-Szene in Moskau und anderswo ist ein gespenstisches Paradoxon kurz vor dem 60. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg: Neben dem Kriegsveteranen, dessen Brust mit Kampforden geschmückt ist, tritt ein kahlgeschorener Halbwüchsiger in Erscheinung, der seine Jacke mit den Buchstaben "WP" (White Power) versehen hat.
Unmittelbar nach Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 wurden Skinheads in Russland als exotische Anomalie wahrgenommen. Was ist seither geschehen, wenn sich diese Spezies zwischenzeitlich mit der Geschwindigkeit von Heuschrecken vermehrt?
Zunächst einmal hat die "marktwirtschaftliche Revolution" dazu geführt, dass über Nacht dank der wirtschaftlichen Rezession Mitte der neunziger Jahre Millionen Russen arbeitslos wurden. Eltern, deren erste, oft einzige Sorge dem Überleben galt, dachten weniger an die Erziehung ihrer Kinder. Ein zerrüttetes Zuhause stieß vier Millionen Halbwüchsige auf die Straße - nur um ein Drittel weniger, als in Sowjetrussland nach dem Bürgerkrieg von 1918 bis 1921 durch Städte und Dörfer irrten.
Die "Kinder der Reformen" sind frustriert, seelisch ausgelaugt, desillusioniert und ungebildet. Eine Generation, die jeder primitiven Aufforderung zur Gewalt nicht viel entgegen setzen kann, weil sie selbst zuviel Gewalt erfahren hat. An der urbanen Peripherie, aber auch in den Innenstädten formieren sich Jugendgangs, die allein Feindschaft und Hass gegenüber den "Fremden" zusammenschweißen - und seien diese "Fremden" nur die Jungen aus dem benachbarten Aufgang. Diese Stimmung wurde noch vom Versuch der neuen liberalen Aufklärer überlagert, den Faschismus im Grunde genommen zu rechtfertigen. Aus den Schulbüchern wurde der Sieg der Roten Armee von 1945 weitgehend eliminiert, da dieser Sieg angeblich zur "Versklavung" Osteuropas durch die Sowjets geführt und "den ökonomischen Fortschritt Russlands verlangsamt" hat. Wäre die Rote Armee vor 60 Jahren geschlagen worden, hätte Moskau um Jahrzehnte früher das wunderbare Bier aus Bayern nach Herzenslust trinken dürfen, belehren die Verteidiger dieser Theorie die heranwachsende Generation.
In den Bücherboutiquen am Moskauer Arbat oder in der Gorki-Straße gibt es wohlfeile Ausgaben von Hitlers Mein Kampf und Mussolinis Doktrinen des Faschismus, während man nach antifaschistischer Literatur oft vergebens sucht. Deren Autoren gelten als zu weit "links". Alexander Tarassow, ein bekannter Soziologe und Experte für Jugendforschung, der die Bewegung der russischen Skinheads untersucht, schreibt: "Da Lehrbücher für Schulkinder nun einmal die entscheidende Informationsquelle sind, hat ein Teil der Jugendlichen daraus den Schluss gezogen: Hitler ist besser als Stalin und Hitler hatte Recht."
Eine zweite Welle
Die Regierung Putin begreift inzwischen durchaus: Der Hass zwischen den Nationalitäten und die bornierte Überzeugung von einer "weißen Überlegenheit", deren Träger vorrangig die Skinheads sind, erschweren die Bildung einer Zivilgesellschaft ungemein. Folglich hat die Exekutive der rechtsradikalen Bewegung den Krieg erklärt. Bereits Mitte 2002 verabschiedete die Staatsduma ein Gesetz über die Bekämpfung von extremistischen Aktivitäten. Die Staatsanwaltschaften erhielten dadurch wenigstens den nötigen juristischen Rückhalt, um Skinheads zu verfolgen, die Menschen mit Messern, Schlagringen und Eisenruten angreifen. Doch 2004 wurden in Russland wegen derartiger Delikte lediglich 60 Strafverfahren eingeleitet und in nur zehn Fällen Gefängnisstrafen verhängt. In den gesamtnationalen Computer der Miliz wurden 457 Aktivisten der jugendlichen Gruppen von Skinheads aufgenommen, die unter Beobachtung stehen. Das Presseministerium schloss zwölf rassistisch verseuchte Zeitungen; allerdings tauchten die meisten davon unter anderen Namen sofort wieder auf.
Unterdessen zeigen sich die "Kampfgruppen in Schwarz" nicht nur, wie das früher üblich war, in großen Städten, sondern auch in der Provinz. Soziologen sagen eine "zweite Welle der Gefahr" voraus, die von den Skinheads ausgehen wird. Und russische Bürgerrechtler fordern verzweifelt jeden Zweig und Zipfel der Macht - letzten Endes die gesamte Gesellschaft - dazu auf, der Gefahr einen Riegel vorzuschieben.
Der Autor ist politischer Kommentator der RIA Nowosti.
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