Er sei im Grunde Feminist, schreibt Frans de Waal schon im Vorwort, weist aber an derselben Stelle darauf hin, dass es nicht seiner Vorstellung von Feminismus entspreche, „bestimmte Ausprägungen von Maskulinität als toxisch zu bezeichnen“. Weiter hinten kritisiert er, dass die zweite Feminismuswelle ab den 1950ern begann, den „Geist über den Körper zu stellen“. Er meint Simone de Beauvoir mit ihrem berühmten Satz: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“; und natürlich Judith Butler, die noch deutlich radikaler „männlich“ und „weiblich“ unter Bezug auf Michel Foucaults Diskurstheorie zu reinen Konstrukten erklärt. Das Konzept des sozialen Geschlechts findet er zwar hilfreich, um trad
radierte Geschlechterrollen in die Schranken zu weisen; sein Anliegen ist aber, dass man beides gleichermaßen berücksichtigen müsse: Biologie und soziokulturelle Genese.De Waal hat als Primatologe verschiedene Spezies in freier Wildbahn und in Zoos jahrzehntelang beobachtet. Er ist eine Koryphäe auf diesem Gebiet, in seinem Buch zeigt er offensichtliche Parallelen zwischen Primaten und Mensch hinsichtlich Sex und Gender auf, wobei er mit Sex sowohl das Sexualverhalten wie auch das biologische Geschlecht meint.„Geist über den Körper stellen“, damit meint de Waal aber auch die seiner Ansicht nach etwas überbewerteten Unterschiede zwischen Homo sapiens und Primaten. Vieles davon mache gar keinen so großen Unterschied; etwa die Sprache, die spätestens seit Aristoteles als entscheidender Unterschied zwischen Mensch und Tier gesehen wird. Schimpansen und Bonobos hätten eine Vielzahl von Lauten zur Verständigung und insgesamt – mit Mimik, Gestik und Körpersprache – ein Kommunikationssystem, das einer Sprache nahekäme und ihr Sozialverhalten bestimme. Dazu komme eine für die genannten physischen Signale viel präzisere Wahrnehmungsfähigkeit. Süffisant erzählt er, wie ein Bonobo-Alphaweibchen Schäferstündchen mit einem jungen Springinsfeld arrangiert. Eigentlich steht sie fest an der Seite des Alphamännchens, wenn es gilt, dessen Vorrangstellung zu verteidigen, sozusagen – zum eigenen Vorteil – die Etikette zu wahren; heimlich macht sie aber dem jungen Recken schöne Augen und verabredet sich wiederholt mit ihm an einem für die anderen nicht einsehbaren Platz zum Sex. „Die keusche Frau – ein Märchen“, ist de Waal überzeugt und führt das überzeugend am Sexualverhalten im Tierreich aus. Er schildert ausführlich die sexuelle Aktivität und Promiskuität weiblicher Primaten und auch bei anderen Spezies. Im Anschluss demaskiert er Umfragen, wonach Männer das promiskere Geschlecht seien und häufiger fremd gingen als Frauen: Letztere verschweigen das überwiegend, selbst in anonymen Umfragen, Männer nicht.Gender gibt es auch bei Primaten: Männliche und weibliche Individuen lernen ihr Rollenverhalten überwiegend im soziokulturellen Prozess – bei weiblichen ist das naturgemäß die Mutter, bei männlichen eher die „Männergruppe“, denn der Vater ist ja nicht bekannt. Aber de Waal berichtet darüber hinaus von Prozessen, die nicht zum tradierten Bild der Biologen passen. Eingehend stellt er ein Schimpansenweibchen vor, dass von ihren Geschlechtsorganen her weiblich ist, aber im Sozialverhalten divers. Auch ihr Zyklus zeigt nicht so deutlich die bei anderen Weibchen typischen Symptome, etwa die geschwollene Vulva. So hat sie ungewöhnlich breite Schultern und ergeht sich in eigentlich männlichem Imponiergehabe und die Männchen lassen ihr das durchgehen.An anderer Stelle beschreibt er, wie Paviane flirten: Das gehe zwei, drei Tage lang mit heimlichen, vielsagenden Blicken, „bis eines der beiden Tiere mit hochgezogenen Augenbrauen und freundlichem Lippenklappern eine Bereitschaft für mehr signalisiert“. Vor allem durch die Fähigkeit zum aufrechten Gang habe sich die sexuelle Signalfunktion des Gesichts bei Primaten verstärkt; beim Menschen ganz besonders dadurch, dass die Geschlechtsteile und der Po mit Kleidung bedeckt sind.De Waal beschreibt, wie auffallend gefärbt diese Körperzonen bei Primaten teils sind. Dann lässt er sich darüber aus, wie raffinierte Mode eben diese Körperzonen beim Menschen sexualisiere, zählt den Push-up-BH auf, figurbetonende Kleidung für sie und ihn, den roten Lippenstift, den Bart als Männlichkeitssymbol. Beiläufig erwähnt er, wie pornografische Darstellungen menschliche Geschlechtsteile zum Aufgeilen zeigen, und wie Primaten, wenn sie „anmachen“ wollen, die Vulva und den erigierten Penis präsentieren.Binär war gesternDie in der Auseinandersetzung um „Sex“ und „Gender“ oft proklamierte Dualität von Geist und Körper sei aus evolutionswissenschaftlicher Sicht weder beim Menschen noch bei Primaten haltbar. Auch bei Primaten gibt es Individuen, die sich in ihrem Rollenverständnis nicht eindeutig einer biologisch binären Einteilung zuordnen lassen, und Menschen sind keine reinen Vernunftwesen, auch wenn ihre Kultur ihnen das vermittelt, was sich auf Gender auswirkt, siehe die „keusche Frau“.Die tradierte, strikt binäre Einteilung ist für de Waal jedenfalls nicht mehr zeitgemäß. Er bevorzugt die bimodale Sichtweise, heißt: es gibt zwei biologische Geschlechter (Sex) mit individuellen Abweichungen und eine Vielzahl von sozialen Geschlechtern (Gender). Sein Anliegen: Kultur (Geist) und Biologie (Evolution) sind gleichwertig zu betrachten; sie greifen ineinander, und jeglicher Dualismus führt zu blinden Flecken bei der Analyse.All das vermittelt de Waal vor allem durch kurzweiliges Erzählen kleiner Episoden, die er in seinem langen Forscherleben beobachtet hat. Können wir also von Primaten lernen? Ja, meint de Waal: Wir sind evolvierte Organismen, aus Natur gemacht, auch wenn wir denken.Placeholder infobox-1