Der Gorleben Widerstand

CASTOR-TRANSPORTE Die Bürgerinitiative aus dem Wendland demonstrierte in Berlin und La Hague - am Standort der WAA gilt sie als Feind

Noch gilt, dass Castortransporte nicht über Schienen und Straßen rollen - eine Folge des Kontaminationsskandals. Doch wie lange wird das noch so sein? Für das Frühjahr 2000 zeichnet sich ab: das AKW Stade droht am Müll zu ersticken, Biblis und Neckarwestheim wollen abgebrannte Brennelemente nach Ahaus liefern und seit März 1998 stehen sechs Behälter mit hochradioaktivem, verglastem Strahlenmüll in La Hague zur Fahrt nach Gorleben bereit. Atomkraftgegner aus dem Wendland haben in Berlin gegen erneute Einlagerungen protestiert und in der Normandie dasselbe getan.

"Viele haben sich mit der Fabrik abgefunden", flüstert mir eine französische Freundin zu. Ob ich den Besuch Cohn-Bendits im Januar verfolgt hätte? "Sie" hätten ihn fast verprügelt. "Sie" - das sind die aufgeputschten Arbeiter der Usineplutonium, der Plutoniumfabrik, wie es im Französischen unverblümt heißt. Cohn-Bendit war für sie der Deutsche, ein sale boche, wie sie seit der Nazi-Okkupation in der Normandie heißen. Die ganze Xenophobie sei hervorgebrochen: ein Deutscher, der ihnen die Arbeit wegnehmen will, eine dumpfe deutschfeindliche Stimmung schlug ihm entgegen.

Einfachste Zusammenhänge werden vergessen, verdrängt. Die Deutschen waren längst vor Cohn-Bendits Besuch und dem der Wackersdorfer präsent, nämlich als Vertragspartner der WAA-Betreiberin Cogéma. Die Anlage "UP 3" wurde 1990 in Betrieb genommen. Dieser Anlagenteil ist zu 40 Prozent von deutschen Atomstromern für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ausgebucht. Die Wiederaufarbeitung von 4.600 Tonnen Schwermetall wurde kontrahiert ("Altverträge"), weitere 2.000 Tonnen, die sogenannten Neuverträge, stellen die Option dar. Angeliefert wurden bis zum Transportstopp vor einem Jahr rund 4.000 Tonnen, aber einige deutsche Atomstromer haben ihr Kontingent bereits ausgeschöpft und greifen auf die Neuverträge zurück, sodass 215 Tonnen bereits angeliefert sind.

Ein glatter Verstoß gegen die Koalitions-Vereinbarung von Sozialistischer Partei und Les Verts. Didier Anger von der örtlichen Bürgerinitiative dekliniert herunter, was dort festgeschrieben war: das Ende der Brütertechnologie und ein Moratorium für Reaktorneubauten wie dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), einer Gemeinschaftsproduktion von Siemens und Framatome, bis zum Jahr 2010, schließlich sollte die Standortentscheidung in Sachen Endlagerung offenbleiben und auf die Fortsetzung der Wiederaufarbeitung auf der Basis von Neuverträgen verzichtet werden.

Die örtliche Bürgerinitiative CRILAN hat eine Klage gegen die Cogéma angestrengt, weil in La Hague offensichtlich gegen den Artikel 3 des Atomrechts verstoßen wird, der die Aufbewahrung ausländischen Atommülls auf französischem Boden ahndet. Erstmalig in der Firmengeschichte der Cogéma stolzierte Untersuchungsrichter Chevallier aus Cherbourg auf dem WAA-Gelände herum, besichtigte die sechs Behälter mit dem verglasten Strahlenmüll, der den deutschen Zulieferern zugerechnet wird.

Übersehen hat er wohl das nukleare Massengrab schwach- und mittelaktiver Abfälle, das auf dem Firmengelände oberflächennah verscharrt wurde und mit Plastikfolie und Rasennarbe notdürftig überdeckt wurde, ebenso wie die Pipeline, mit der Flüssigabfälle in den Ärmelkanal geleitet werden. Trotz extremer Strahlenbelastung wird der Strandabschnitt nicht gesperrt, weil dies als Eingeständnis gelten könnte, dass die Wiederaufarbeitung nicht gefahrlos ist.

Inzwischen haben sich französische WAA-Gegner/innen auf die Müllfrage kapriziert. Diejenigen Deutschen erscheinen als Feinde, die die Transporte in die sogenannten Zwischenlager nicht zulassen wollen, also wir, die Wackersdorfer; für die Fabrik sehen sie selbst dann Verwendung, wenn die Zulieferung abgebrannter Brennelemente aus dem Ausland gestoppt würde. Auf diese Art vermeidet man die Debatte um Arbeitsplätze in einer Region, die am Tropf der Atomwirtschaft hängt.

Allein die Ankündigung, dass Besucher aus dem Wendland mit ihrem Protest nicht warten wollen, bis der Atommüll nach Gorleben rollt, weckte Ängste. Denn sie kündigten die Verstärkung der Proteste an den Atommeilern an, die sich anschicken, abgebrannte Brennelemente weiter nach La Hague zu liefern. Der Abschied von der Wiederaufarbeitung ist den Gorlebenern ernst, erst recht nach dem Scheitern des WAA-Verbots per Atomgesetz zum 1. 1. 2000, wie es von Jürgen Trittin zu Beginn des Jahres angestrebt war.

Damit die sechs Behälter aus la Hague ihr Ziel erreichen, müssen sie wegen einer nicht tragfähigen und reparaturbedürftigen Bahnbrücke im Wendland ganz neue Wege nehmen. Atommüllbahnhof wird nach einem Antrag der Bahntochter Nuclear Cargo und Service GmbH der sachsen-anhaltinische Luftkurort Arendsee sein. Von dort aus sollen die Behälter neuerdings auf der Straße nach Gorleben rollen. Dass das keine Lösung ist, leuchtet den Franzosen allerdings sein.

Wolfgang Ehmke ist Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die am 13.11. in Berlin gegen die Atompolitik der rot-grünen Bundesregierung protestierten

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