Am 18./19. Oktober wird der Arbeitskreis Endlagerung (AK End) seinen Entwurf eines "Auswahlverfahrens für Endlagerstandorte" im Rahmen eines Workshops im Berliner Logenhaus öffentlich diskutieren. Das ist ein Novum. Öffentlichkeit und Transparenz hat sich dieses pluralistisch zusammengesetzte Fachgremium auf die Fahnen geschrieben. Seit Februar 1999 entwickelt der Arbeitskreis im Auftrag des Bundesumweltministeriums Kriterien für die Endlagersuche. Doch diese Suche hat zwei gravierende Haken: Die anivisierten Endlager Gorleben und Schacht Konrad sind noch im Spiel.
Noch gegen Ende der ersten rot-grünen Legislaturperiode erging ein positiver Planfeststellungsbeschluss für den Schacht Konrad - ein ehemaliges Erzbergwerk, das seit Ende der siebziger Jahre als Endlager für nicht-wärmeentwickelnde Abfälle umgerüstet wurde. Diese schwach- und mittelaktiven Abfälle summieren sich zu einem gigantischen Berg von 297.000 Kubikmetern, die im Erzbergwerk verstaut werden könnten. Die Idee, den Schacht Konrad dafür vorzusehen, kam einst nicht von staatlicher Seite, sondern von der Belegschaft, die - nachdem die Erzförderung im Raum Salzgitter wegen Unrentabilität eingestellt wurde - darin eine Chance zum Arbeitsplatzerhalt sah.
Zweifelhafte und teure Versuchsmodelle
Lange Zeit wurde der schwarze Peter beim Genehmigungspoker zwischen dem niedersächsischen Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) und dem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin hin und her geschoben, denn klar war, dass Rot-Grün eigentlich ein einziges Endlager wollte, und zwar für alle Arten radioaktiver Abfälle, die heißen hochradioaktiven Abfälle eingeschlossen. Dieser andere Abfallberg macht zwar nur ein knappes Zehntel des Abfallvolumens aus, aber dieses Zehntel hat es in sich, es enthält nämlich 99 Prozent der Gesamt-Radioaktivität.
Im "Atomkonsens" zwischen Bundesregierung und den Energiekonzernen wurde allerdings der faule Kompromiss ausgehandelt, "Konrad" solle genehmigt, aber der Planfeststellungsbeschluss sollte nicht mit "Sofortvollzug" ausgestattet werden. Die Folge ist, dass alle Klagen aufschiebende Wirkung haben. Wollte Rot-Grün wirklich einen Neuanfang bei der Endlagersuche, so ist er hier schon einmal gründlich misslungen, denn der Rechtstitel ist da, und Standortinitiativen, Kirchen, die IG Metall, Kommunen in der Region Salzgitter haben erhebliche Zweifel an dem apostrophierten Neubeginn.
Zwischen Zweifeln und der Methode, sich die Eignung offen halten zu wollen, schwankt die Bundesregierung auch am zweiten bisherigen Standort, in Gorleben.
"An der Eignung des Salzstocks Gorleben bestehen Zweifel. Daher soll die Erkundung unterbrochen werden und weitere Standorte in unterschiedlichen Wirtsgesteinen auf ihre Eignung untersucht werden. Aufgrund eines sich anschließenden Standortvergleichs soll eine Auswahl des in Aussicht zu nehmenden Standorts getroffen werden."
Diese Passage des Koalitionsvertrages (KV), die zwischen Grünen und SPD im Herbst 1998 niedergeschrieben wurde, führte - mit erheblicher Verzögerung - zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten im "Erkundungsbergwerk" Gorleben ab 1. Oktober 2000. Dann kam die Rolle rückwärts: Im Textanhang des Konsensvertrages zwischen Bundesregierung und Stromwirtschaft übernimmt die rot-grüne Bundesregierung die Diktion der Kohl-Töpfer-Merkel-Ära und repetiert allen Einsichten zum Trotz, der Salzstock Gorleben sei "eignungshöffig", was soviel heißt wie "Eignung nicht ausgeschlossen".
Wozu fragt man sich, soll dann der AK End noch Kriterien für die Endlagersuche und Vorschläge unterbreiten, welches Wirtsgestein neben Salz in Frage kommt? Der Arbeitskreis plädiert nun in seinem brandaktuellen Abschlussbericht dafür, an ein oder zwei Standorten eine Erkundung durchzuführen, allerdings wird nach den bisherigen Vorgaben die Gorleben-Karte beim Standortpoker wieder untergemischt werden! Ein vertrauenförderndes Vorgehen ist das nicht, denn unausgesprochen stehen "Konrad" und Gorleben und die dort bisher getätigten Investitionen ständig im Raum. Darüber hinaus erhöht jeder Castortransport, der Gorleben erreicht, den politischen Druck, am Ende doch in Gorleben weiterzubauen.
Erhebliche Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben gibt es seit der Standortbenennung im Februar 1977. Sie wurden im Prozess der "Erkundung" - so wurde der notdürftig ideologisch getarnte Bau einer Nukleardeponie etikettiert - immer weiter fundiert und hätten bereits nach dem Wahlsieg von Rot-Grün im Herbst 1998 zu einem geordneten Abbruch der Bauarbeiten führen müssen. Geordnet, weil dort im Bergbau 212 Menschen beschäftigt waren, die auch ein Recht darauf hatten, dass das Ende der bergtechnischen Erschließung des Salzstocks sozialpolitisch abgefedert wird.
Im Dunkeln gebuddelt
Von einer weiteren Legislaturperiode Rot-Grün erwarten die Atomkraftgegner im Wendland nun eine klare Absage an Gorleben als potenziellem Endlagerstandort. Es würde reichen, die "Qualität" des Salzstocks an den methodischen und konzeptionellen Überlegungen für einen Neubeginn bei der Endlagersuche, wie sie der AK End konzipiert, zu messen. Der Begriff "Eignungshöffigkeit", der in der Ära Kohl kreiert wurde, um das Weiterbuddeln trotz aller Wasserzuflüsse zu rechtfertigen, würde als das enttarnt, was er ist: eine vage politische Hoffnung, dass dem Widerstand im Wendland die Puste ausgeht, um dann allen Warnungen zum Trotz dort ein nukleares Endlager für den hochradioaktiven und wärmeentwickelnden Müll einzurichten.
Es drängt sich der fatale Gedanke auf, dass die bisherigen Kosten für das angeblich ergebnisoffene Buddeln im Salz am Ende ein stärkeres Gewicht haben als die wissenschaftlich begründeten Zweifel: 1,3 Mrd. Euro (2,2 Mrd. Mark) wurden laut Bundesumweltministerium bislang in Gorleben ausgegeben. Der Umbau des ehemaligen Erzbergwerks Schacht Konrad schlug in etwa mit 700 Mio. Euro (1,2 Mrd. Mark) zu Buche. Bezahlt haben übrigens nicht die Energiekonzerne, die zwar vom Bund zur Kasse gebeten wurden, aber die Kosten auf die Stromverbraucher umgelegt haben.
Die umfassende und über 20-jährige Debatte um das Endlager Gorleben belegt eindrucksvoll, wie fragwürdig die bisherige Endlagersuche in der BRD angelegt war. Trotz der erdrückenden Fülle an Material im Pro und Contra um Gorleben (in Büchern, Zeitschriften, Vortragsmanuskripten, Zeitungsartikeln, Info-Blättern und Prozessakten) begegnet man immer wieder dem Kardinalfehler: den Ausschlag für den Standort Gorleben gaben in erster Linie politische Überlegungen und nicht geologische Erkenntnisse. Der Salzstock war "dritte Wahl", aber die geopolitische Lage war "erste Wahl", ragte doch das Wendland wie eine Halbinsel in die DDR hinein. Von den radioaktiven Emissionen eines Atommüllzentrums im Wendland mit der Castorhalle und der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage, die aufgrund des Massenprotests nie realisiert wurde, wären überwiegend die Menschen in der DDR betroffen gewesen, die sich - da gar nicht informiert oder gefragt - nicht hätten wehren können. Da die "Erkundung" nach Berg- und nicht nach Atomrecht vorangetrieben wurde, gab es bisher weder eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung, noch eine Anhörung oder Klagemöglichkeit von Anwohnern, Verbänden, Kommunen. Mit einer großen Ausnahme: der Atomkraftkritiker und Anwohner Andreas Graf von Bernstorff konnte aufgrund seiner "Salzgerechtigkeiten" Klage führen, ihm gehören die Wälder im Umkreis der Deponie und auch Salzabbaurechte. Die eingeschränkten Klagemöglichkeiten hat Rot-Grün nicht verändert, sondern mit der Einfügung einer sogenannten Veränderungssperre bei der Novelle des Atomgesetzes sogar die Entrechtung der Anwohner perpetuiert.
Der AK End macht dennoch Druck. Damit bis zum Jahr 2030 ein deutsches Endlager den Betrieb aufnehmen kann, müssten bis zum Jahr 2004 die potenziellen Standorte benannt werden. Eine Erkundung weiterer Standorte steht aber unter Finanzierungsvorbehalten. Dieses heranrückende Datum bekommt angesichts der beiden "Leichen im Koffer", die der Arbeitskreis ständig mit sich herumträgt, ein doppeltes Gewicht: soll die Endlagersuche transparent und glaubhaft vonstatten gehen, müssen Konrad und Gorleben erst einmal beerdigt werden.
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