Mit der Wünschelrute durchs Wendland

Atomendlager Genaue Untersuchungen zur Sicherheit des Salzstocks sind nicht mehr möglich, weil wichtige Basisdaten verloren gingen oder vernichtet wurden

Neue Castortransporte mit hochradioaktivem Müll werden in diesem Herbst zwar nicht aus der französischen Plutoniumfabrik Cap de La Hague ins niedersächsische Gorleben rollen. Ruhig wird es trotzdem nicht.

Wenn Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) am 2. November auf dem Gelände des Endlagerbergwerks seine Position erläutert hat und statt des Moratoriums für ein Versuchslabor unter Tage plädiert, bekommt die Bürgerinitiative Umweltschutz von unerwarteter Seite Schützenhilfe. Gleich im Anschluss an Gabriels Statement startet sie mit dem früheren stellvertretenden Projektleiter des Schacht Konrad, Volker Eyssen, am Zaun der Baustelle eine Gegenpressekonferenz.

Wie sein Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) macht sich Sigmar Gabriel stark für einen Standortvergleich - den hatte es weder für die Deponie Schacht Konrad in seinem Wahlkreis Salzgitter gegeben, noch für Gorleben. Seit Herbst 2000 ruhen dort die Bauarbeiten unter Tage im Salzbergwerk, das Moratorium hat Gabriel bisher nicht gekippt.

Wichtige Originaldaten zur Geologie der Endlager wurden vernichtet

Sigmar Gabriel möchte - abweichend von den Empfehlungen des Arbeitskreises Endlager (AK End), der unter Rot-Grün die Endlagersuche voranbringen sollte - nicht mehr am Schacht Konrad rütteln. Dort sollen die schwach- und mittelaktiven Abfälle versenkt werden - gegen den Planfeststellungsbeschluss ist jedoch noch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Den streitfreudigen Lüchow-Dannenbergern will Gabriel persönlich erläutern, warum ein Salzstock mit Wasserkontakt, der sich eigentlich als Endlagerformation erledigt hat, weiter in den seit Jahren versprochenen Vergleich einbezogen werden soll. In einem Positionspapier zur Endlagersuche formulierte er noch drastischer: "Im Rahmen des Auswahlverfahrens ist daher zu prüfen, ob sich gegenüber diesem Standort Vorhabensalternativen aufdrängen (sic!), die ein höheres Sicherheitspotenzial erwarten lassen, beziehungsweise aufweisen."

Bis Ende 2007 sollten Standortalternativen in Ton,- Granit- und Salzgestein benannt werden ("geologische Suchräume"); findet sich was, wird gebohrt und verglichen. Wenn nicht, bliebe es ohnehin bei Gorleben. Der Zeitplan, den der AK End vorgegeben hatte, spielt offensichtlich keine Rolle mehr, auch Gabriel schiebt das Thema gern auf die lange Bank.

Volker Eyssen, der frühere stellvertretende Projektleiter des Schacht Konrad, hingegen drängt. Mit seiner internen Kritik am bisherigen Erkundungsverfahren an beiden Standorten sieht er sich von Behörden und auch von der Ministerialbürokratie hingehalten. Was er weiß, wird er öffentlich machen: Umfangreiche Basisdaten zur Geologie - gewonnen von der Bohrfirma Prakla-Seismos vor rund 30 Jahren - seien nach dem Verkauf des Unternehmens Anfang der neunziger Jahre vernichtet worden. Offenbar liegen dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nur noch Abschlussberichte vor, jedoch nicht mehr die erheblich umfangreicheren Originaldaten.

Für den Vorläufer des BfS - die Physikalisch Technische Bundesanstalt - beschäftigte sich die bundeseigene Firma jahrelang mit diversen Verfahren zur Gewinnung geologischer Daten. Dabei lag der Schwerpunkt in der Seismik, einem recht genauen Untersuchungsverfahren, basierend auf Schallwellen und deren Reflektion an Schichtflächen. Ergänzt wurde die Seismik durch Bohrlochmessungen - das Datenmaterial war umfangreich.

Mangelnde Dokumentation und mangelhafte Qualitätssicherung

Nach dem Verkauf der Prakla-Seismos an die Schlumberger Ltd. wurde dem Bundesamt das wichtige Datenmaterial angeboten - an der Übernahme aber bestand kein Interesse. "Man könnte mit heutigen Programmen und weiterentwickelten Algorithmen problemlos erneut rechnen und kommt nicht zwingend zu identischen Ergebnissen", sagt Volker Eyssen. Dazu brauche man diese wahrscheinlich vernichteten Daten.

Mit Blick auf den Schacht Konrad fragt Eyssen: "Kann es sein, dass die Genehmigungsbehörde, das niedersächsische Umweltministerium, lediglich die Berichte zur Kenntnis genommen hat, ohne ernsthaft die Basis für die dort gemachten Ausführungen zu hinterfragen? Hat man einer hohen Bundesbehörde - dem BfS - so blind vertraut?" Den Betreibern der Erkundung in Gorleben werde es unmöglich sein, auch nur einen Anflug von Seriosität bei den Sicherheitsnachweisen für die Endlagerplanung zu erbringen.

Der Diplomingenieur Eyssen kritisiert nicht nur die mangelhafte Dokumentation. Erhebliche Mängel gebe es auch beim Qualitätsmanagement. Eine Qualitätssicherung habe es in der Hauptplanungsphase in den achtziger Jahren weder für Gorleben noch für den Schacht Konrad gegeben, sagt er. Es fehlte sowohl ein Beauftragter für das Qualitätsmanagement als auch ein Qualitätssicherungshandbuch.

Volker Eyssen verweist auf den verheerenden Bericht des Wissenschaftsrats vom Mai 2006, in dem der Bundesbehörde unter anderem vorgehalten wird, keine extramuralen Aufträge bei der Standortsuche vergeben zu haben: "Dokumentation und Qualitätssicherung, beides sind Managementinstrumente, die lange dem Stand der Technik entsprechen. Es sind wichtige Projektklammern, sonst macht jeder Planer, was er will, und nichts passt wirklich zusammen." Was Wunder, dass die Gorleben-Gegner nun auch drängen - auf die Aufgabe des Standorts.


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