Was für eine Vision: Gigantische Sonnenkraftwerke und Windrotoren in der Wüste produzieren Strom im Überfluss für Nordafrika – so viel, dass Europa gleich noch mitversorgt werden kann. Ein Entwicklungsprojekt, das Energie, Arbeitsplätze und Wohlstand für die Sahara-Staaten bringt und für die Industrieländer zugleich einen Hoffnungsschimmer im zunehmend aussichtslosen Kampf gegen die globale Erwärmung. Die Erwartungen an Desertec waren riesig, und die Umsetzung schien erstaunlich nah. Schon 2020 sollten 20.000 Megawatt Strom fließen.
Doch nun sind mit Siemens und Bosch nicht nur zwei prominente und potente deutsche Konzerne aus dem Wüstenstromprojekt ausgestiegen. Insgesamt scheinen die einst so euphorischen Protagonisten inzwischen sehr zurückhaltend. Der Elan für Ökostrom-Großprojekte lahmt in Europa ähnlich wie in den USA, die sich verstärkt auf ihre fossilen Quellen wie Gas und Öl stürzen wollen.
Dabei scheint das Konzept für Desertec so einfach wie einleuchtend: Im nördlichen Afrika gibt es genügend spärlich besiedelte Küstenabschnitte und Wüstengebiete, um Wind- und Solarkraftwerke in großer Zahl zu errichten. Drei Viertel des Stroms könnten in der Region verbraucht werden, der Rest wäre über verlustarme Gleichstromleitungen in die EU zu transportieren. Nebeneffekt des damit wachsenden Wohlstands könnte eine politische Stabilisierung sein. Deshalb ist etwa das Königreich Marokko außerordentlich interessiert an der Stromvernetzung. Das Land hat eine eigene Agentur zur Entwicklung der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz aufgebaut, die Kooperationspartner für Desertec ist. Bis 2020 will die Regierung 42 Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien produzieren.
Spanien stellt sich quer
In Deutschland wurde für Desertec Anfang 2009 eine gemeinnützige Stiftung gegründet. Dem Planungskonsortium der deutschen Industrie Dii gehören 21 Gesellschafter und 36 Partner an, darunter die Stromriesen Eon und RWE, die Deutsche Bank und der Versicherer Münchner Rück. Bis 2050 sollen 15 Prozent des europäischen Bedarfs mit günstigem Solar- und Windstrom aus der nordafrikanischen Wüste gedeckt werden. Bereits für 2013 kündigten die Beteiligten den Baubeginn zweier Solarkraftwerke in Marokko an, der erste Strom sollte 2016 fließen. Doch inzwischen stellt sich Spanien quer. Das krisengeschüttelte Land sieht sich derzeit außerstande, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Ein Mehrstaatenabkommen, das bei der dritten Dii-Konferenz jüngst in Berlin unterzeichnet werden sollte, ist vorerst geplatzt.
Dii-Geschäftsführer Paul van Son gab sich zuversichtlich, dass die Iberer zurück ins Boot geholt werden könnten, „da Spanien dadurch viel gewinnen wird“. Schließlich stünden auch Fördermittel bereit, und die Industrie wolle investieren. Doch stehen dem Megaprojekt zahlreiche weitere Hemmnisse entgegen. Zum einen schreckt die politische Instabilität nach dem Arabischen Frühling Investoren ab. Für langfristige Vereinbarungen scheint die Lage zu wacklig. Auch wird befürchtet, dass Energie-Anlagen und Versorgungsleitungen Terrorziele werden könnten. Würde eine Hauptader zerstört, stünden weite Teile von Europa im Dunkeln.
Gobitech schreitet voran
Dazu kommt die Wirtschaftskrise, die den europäischen Staaten zusetzt. Vorrang haben Konjunkturanreize und Arbeitsplätze in Griechenland, Portugal und Spanien. Statt in Nordafrika könnte es womöglich eher Desertec-Projekte in diesen politisch stabileren Staaten geben. Die Technik ist so gut und so billig geworden, dass sich Solarkraftwerke auch in Gegenden weit weg vom Äquator rechnen.
Den Protagonisten von Desertec scheint zudem die Zielstrebigkeit zu fehlen, von der Politik verlässliche Marktstrukturen und Rahmenbedingungen einzufordern. So sieht es jedenfalls Friedrich Führ, ein Mitbegründer der Desertec Foundation, der sich 2010 aus dem Vorstand verabschiedete. Dii habe den Weg für Desertec bereiten sollen, sagt Führ. „Dafür sollten ein Plan ausgearbeitet und Forderungen an die Politik national und international formuliert werden. Darauf warten wir leider bis heute.“ Daher sei es nicht verwunderlich, wenn Technologieriesen wie Siemens oder Bosch aus dem Projekt aussteigen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung zeigt ebenfalls kaum noch Interesse. Bei der Dii-Konferenz in Berlin fehlten die zuständigen Minister Philipp Rösler (FDP) und Peter Altmaier (CDU). Doch schon bald könnte das Zaudern Politik und Wirtschaft auf die Füße fallen. Internationale Konzerne wie der Stromnetzbetreiber State Grid Corporation of China (SGCC) und die US-Solarfirma First Solar wollen nämlich groß bei Desertec einsteigen. SGCC betreibt Gleichstromtrassen, die besonders geeignet für den Transport über lange Strecken sind. Es könnte durchaus passieren, dass die Chinesen nach dem Solarmarkt auch die Stromverteilung überrollen. Auf eigenem Terrain legen sie bereits los. Dort heißt das Projekt Gobitech. Solar- und Windstrom sollen aus der Mongolei in den dicht besiedelten und hoch entwickelten Osten Chinas geleitet werden – und in den Export nach Korea und Japan.
Wolfgang Heininger schreibt seit Jahren über Umweltthemen
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