Es gibt Menschen, die ganz gut ohne den EM-Hype auskommen und an der Supermarkt-Kasse großzügig auf Fußball-Schlumpf-Anwartspunkte zugunsten der bereits danach gierenden Nachfolgenden in der Warteschlange verzichten. Die ihre Autos nicht mit Aufklebern, Außenspiegelmützchen und Fähnchen herausputzen, unter anderem auch deshalb, weil letztere den Benzinverbrauch um bis zu 15 Prozent erhöhen. Ganz abgesehen von den zumindest umweltpolitisch inkorrekten Korsos, die des Nächtens und keineswegs verbrauchsarm durch Wohngebiete rumpeln und Sportmuffeln den Schlaf rauben.
Dies soll nicht heißen, dass diese Zeitgenossen der körperlichen Betätigung a priori abhold wären oder sich nicht auch gerne ein gutes Fußballspiel ansähen. Dann aber bitte genau diese 90 Minuten ohne das mehr als lästige Drumherum.
Was heißt hier Nachrichten
Die EM-Tortur beginnt bereits, wenn der Radiowecker „Nachrichten“ verheißt, stattdessen aber „berichtet“ wird, die Nationalelf werde wohl in diesen Stunden zum nächsten Spielort reisen, es gebe wohl auch eine Mannschaftsaufstellung, die aber sei noch das Geheimnis des schwäbelnden Bundestrainers und im Übrigen habe der linke Verteidiger wegen Magengrummelns nicht trainieren können. Dann erst folgen die Meldungen zu Syrien, wo Assads Handlanger wieder das Volk zusammenkartätschen, eine weitere Hiobsbotschaft von der Eurokrisenfront und die neuesten Meldungen zu den entwicklungspolitischen Initiativen des Dirk Niebel, der in Afghanistan einen womöglich von Kindern geknüpften Teppich erworben und eingeschmuggelt hat.
Das Frühstück begleiten die stets gutgelaunten Präsentatoren des Morgenmagazins, das die soeben gehörten Eindrücke visualisiert. Der Begriff Morgengrauen erhält spätestens dann eine neue Bedeutung, wenn uns ein Meteorologe mit dem „lustigen“ Namen Wettervogel erklärt, dass „unser“ Team am Abend eine wahre Hitzeschlacht erwarte. Ist es etwa wieder so weit? Nein, unser Angriff wird sich auf das Tor des Gegners beschränken, aber das bei immerhin prognostizierten 30 Grad.
Am Ostseestrand ergehen sich derweil „lustige“ Moderatoren und die ihnen beistehenden Experten in Sandkastenspielen, heiterem Ergebnisraten und Strandkorbschießen, ehe die Torszenen der vorangegangenen Spiele zum x-ten Mal gezeigt und durchgehechelt werden. Und wer es dann noch nicht kapiert hat, sollte sich die komplette Wiederholung ansehen, falls er nicht zufällig noch arbeiten muss.
Schwarz-rot-goldene Grütze
Nach dem Mittagessen wird im Fernsehen gewöhnlich gekocht. In diesen Wochen gerne auch mit Kandidaten aus den EM-Ländern. Wie originell. Fehlen nur noch die passenden Gerichte mit schwarzen Trüffeln auf roter Grütze, umschmeichelt von güldener Safran-Vanillesauce als Dessert. Laber, Licher, lecker! Da ist selbst der hartgesottenste Verfechter des öffentlich-rechtlichen Systems kurz davor, auf die Brüll-Sendungen der Kommerzsender umzuswitchen.
Jetzt aber wird es Zeit, sich auf die Spiele am Abend vorzubereiten. Dazu gibt es erst einmal Rückblicke auf die Leistungen der Kontrahenten in der Vergangenheit. Rückblicke vor dem Kommenden machen sich immer gut. Stundenlang wird der mittlerweile willenlosen Rezipient nun mit Interviews und taktischen Hinweisen weichgeknetet und auf den erlösenden Anpfiff vorbereitet.
Aber die Erlösung kommt auch damit nicht. Denn der Kampf Mann gegen Mann wird gnadenlos von mindestens zwei Labertaschen kommentiert, um das Offensichtliche noch offensichtlicher zu machen. Beinahe wehmütig erinnert man sich da an lyrische Monologe wie „Beckenbauer … Overath … Müller. Müller könnte schießen … Müller schießt … Toor!“ In dieser Zeitspanne hätten Kerner, Poschmann und Co zusätzlich die halbe Mannschaft zu ihren „mentalen“ Befindlichkeiten befragt.
Alles total lustig
Und als ob das noch nicht genug wäre, wird das soeben Gesehene bei Weißbierwaldi, Knoppi oder Lanzi – sind wir in diesen Tagen nicht alle kleine I's? – nochmals auseinandergenommen, durch den Wolf gedreht und wieder zusammengefriemelt. Der „lustige“ Matze Knop verwandelt Beckenbaui in ein Stereoerlebnis, als ob dessen alleinige Präsenz nicht schon schlimm genug wäre. Und zwischendurch wird zu den Public-Viewing-Plätzen in der Republik geschaltet, wo die Fans ihre Helden feiern – wie überraschend – oder sich auf Kommando betrinken.
Wenigstens bleiben dem Spätseher die sonst unvermeidlichen Talkrunden mit den immergleichen Polit-Nasen an diesen Tagen erspart. Und irgendwann läuft dann die Unterzeile durchs Bild, dass sich die nachfolgende Sendung um einige Minuten verzögern werde. Das ist aber eh nur noch Kultur oder eine Dokumentation, und da kommt es ja nicht mehr so genau auf die Zeit an.
Es soll jedoch Menschen geben, die haben gerade darauf gewartet. Die sich als Gebührenzahler von den Sendern mit staatlichem Informations- und Bildungsauftrag in diesen Wochen schlicht verarscht fühlen. So wie die Frauen des Fernsehballetts, die sich nach gerichtlicher Intervention des Deutschen Fußballbundes nicht mehr DFB nennen dürfen.
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