Es sind nicht alle gleich

Ärzte Nach der Einigung im Honorarstreik wirkt der Streik obsolet. Und doch gibt es gute Gründe, sich für Änderungen im Gesundheitswesen stark zu machen
Am Hungertuch nagen die Ärzte gewiss nicht. Ob sie aber die Gierhälse der Nation sind, ist fraglich
Am Hungertuch nagen die Ärzte gewiss nicht. Ob sie aber die Gierhälse der Nation sind, ist fraglich

Foto: Carsten Koall / Getty Images

Die niedergelassenen Ärzte bekommen nach der Einigung der Spitzenverbände 2013 zwischen drei und vier Prozent mehr Geld. Insgesamt 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro zusätzlich sollen im kommenden Jahr fließen. Das ist im Schnitt mehr als ordentlich, verdeckt aber enorme Ungerechtigkeiten im System.

Nein, am Hungertuch nagen die Ärzte in Deutschland gewiss nicht. Ob sie aber die Gierhälse der Nation sind, wie manche Kommentatoren nach dem jüngsten Streikaufruf der Mediziner meinten, ist fraglich. Natürlich schien die Aktion überholt nach dem Honorar-Kompromiss am Dienstagabend, und die Beteiligung blieb auch eher mäßig. Doch gäbe es für Proteste noch genügend Gründe.

In den Wartezimmern staut sichs

Zu Recht wiesen die Ärzte bei ihrem Aktionstag auf eine überbordende Bürokratie und die Ver-Kapitalisierung des Gesundheitswesens hin. Insgesamt krankt das System an einigen Stellen gewaltig.

Das beginnt für den jungen Assistenzarzt mit einer Unmenge von teils unbezahlten Überstunden und Bereitschaftszeiten, die nicht nur ihm, sondern auch den Patienten buchstäblich auf die Knochen gehen. Und endet womöglich in einer Landarztpraxis, die aufgrund ungerechter Leistungssätze so unrentabel wird, dass sich kein Nachfolger findet, der teure Geräte finanziert und zudem noch Notfalldienste und Hausbesuche übernehmen will.

In den verbleibenden Praxen sind die Wartezimmer überfüllt, weil es keine flächendeckende Versorgung mehr gibt. Für die Patienten bedeutet dies nicht nur weite Wege. Ihr Hausarzt hat auch kaum noch Zeit, sich ihren gesundheitlichen Problemen umfassend zu widmen.

Die vorgegebenen Regelleistungen reichen oft nicht aus, die Kosten zu decken. Wenn etwa ein älterer bettlägeriger Mensch mehrmals im Quartal den Besuch des Arztes benötigt, deckt die Pauschale gerade das Benzingeld. Nimmt sich der Mediziner auch noch Zeit zum Reden, kann er dies nur als unentgeltliches Hobby verbuchen. Dies auf sich zu nehmen, dafür braucht es Empathie, Enthusiasmus, Geduld und die Bereitschaft, finanzielle Einbußen hinzunehmen.

Darüber hinaus werden die Mediziner verpflichtet, ihre Tätigkeit bis ins kleinste Detail zu dokumentieren. Der bürokratische Aufwand ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen, was die Behandlungszeit für den Einzelnen weiter verringert.

Gewinner sind die Spezialisten

Spezialisten und solche, die eine Praxis in der Stadt ergattern oder über einen Stamm von Privatkunden verfügen, müssen dagegen keinen Gedanken daran verschwenden, ob sich ihre Arbeit auszahlt. Sie sind in jedem Fall die Gewinner, zumal ihr monatliches Honorar den durchschnittlichen Nettobetrag von 5.442 Euro in der Regel weit übersteigt.

Die Dienstleistung Gesundheit mutiert zur Industrie, die ihrer Natur gemäß weiter wachsen muss. Das bedeutet überflüssige Verschreibungen, wo immer es das Budget der Krankenkassen hergibt, Untersuchungen, Behandlungen und Operationen. Der Patient wird auf seinen lateinischen Ursprung zurückgeführt: Er wird zum Leidenden und Duldenden, zum Objekt eines wuchernden Wirtschaftszweiges – und muss das Ganze auch noch bezahlen.

Einseitig ökonomische Anreize

Muss das so sein? Nein, sagt Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheitswesen, der die Bundesregierung berät. „Tatsächlich müsste sich unser gesamtes System verändern“, ist er überzeugt. „Derzeit wirken nur sehr einseitige ökonomische Anreize. Das führt dazu, dass niedergelassene Ärzte letztlich nur dann etwas verdienen können, wenn die Menschen krank sind und bleiben. Geld gibt es nämlich kaum für Gesunderhaltung, sondern fast nur dann, wenn ein Arzt seine Patienten mit Geräten behandelt – leider auch, wenn dies gar nicht unbedingt nötig wäre.“

Am meisten müssten sich Gerlach zufolge die großen Interessenvertreter bewegen, also Krankenkassen, Ärzte- und Krankenhausverbände, beispielsweise um regionale Gesundheitsnetzwerke zu fördern. Die Beträge müssten in einen gemeinsamen Topf eingezahlt werden, der dann für die optimale Betreuung in der betreffenden Region genutzt werden kann.
Und die Bundesregierung müsste Leitplanken gegen die Ver-Kapitalisierung des Gesundheitswesens einziehen, damit die Ärzte, die den hippokratischen Eid noch ernst nehmen, ihren Dienst am Menschen erfüllen können, ohne an das Budget zu denken. Das wäre eine Reform, die nicht nur das Finanzielle im Auge hat und ihren Namen wirklich verdient hätte.

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Geschrieben von

Wolfgang Heininger

Der 53-Jährige war bereits mit 16 als Journalist tätig. Nach dem Studium kam er 1987 zur Frankfurter Rundschau. Zuletzt war er Nachrichtenredakteur.

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