Wen hatte die CDU nicht alles nach Baden-Württemberg geholt, um nach der symbolträchtig verlorenen Wahl 2011 nicht auch noch die erste Landeshauptstadt der Republik an einen Grünen zu verlieren. Die Altkämpen Rita Süssmuth und Ole von Beust, der gewendete Ex-Grüne Oswald Metzger und nicht zuletzt Kanzlerin Angela Merkel, die sich in Stuttgart ein gellendes Pfeifkonzert gefallen lassen musste, sollten helfen, die Bastion zu halten. Doch nach 38 Jahren unumschränkter Herrschaft machte ausgerechnet der eher bieder wirkende Fritz Kuhn gegen den von CDU, FDP und Freien Wählern unterstützten parteilosen Werbefuchs Sebastian Turner das Rennen.
Bei einer höheren Beteiligung als bei der OB-Wahl vor acht Jahren erreichte der 57-Jährige damit in absoluten Stimmen sogar ein besseres Ergebnis als der noch amtierende CDU-Rathauschef Wolfgang Schuster, der Stuttgart 16 Jahre regierte und nicht mehr antrat. Mit 52,9 gegen 45,4 Prozent distanzierte Kuhn seinen elf Jahre jüngeren Kontrahenten überdeutlich. Kein Wunder, dass Unions-Fraktionschef Volker Kauder am Sonntagabend erklärte, dies sei „kein guter Tag“ gewesen.
Für die Christdemokraten, nicht nur in Stuttgart und Baden-Württemberg, war er das tatsächlich nicht. Denn sie kämpften und verloren nicht eigentlich gegen die Person Fritz Kuhn, um den es nach seiner Zeit als Partei- und Fraktionschef der Bundes-Grünen ruhig geworden war. Sie mussten vielmehr erfahren, dass der politische Schwenk nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima und ihre ruppige Art, den Widerstand gegen den Tiefbahnhof Stuttgart 21 zu brechen, ihnen nicht nur die Landtagswahl vor eineinhalb Jahren versauten. Sie haben offensichtlich bleibenden Eindruck bei den Wählern hinterlassen.
Aus dieser Zeit schleppt die Union noch eine weitere schwere Bürde mit: den früheren Hoffnungsträger Stefan Mappus, der einmal als Merkels möglicher Nachfolger gehandelt wurde, dann eine krachende Wahlniederlage einstecken musste und gegen den jetzt auch noch wegen Untreue nach dem Rückkauf eines Aktienpakets des Stromversorgers EnBW ermittelt wird.
Mappus hatte den 4,7 Milliarden schweren Deal Ende 2010 zusammen mit seinem langjährigen Duz- und Parteifreund Dirk Notheis, damals Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley eingefädelt, und sich von diesem bei den Verhandlungen die Hand führen lassen, wie ihr reger E-Mail-Verkehr belegt. Er überging dabei das Landesparlament, um den Coup vor der Wahl nicht platzen zu lassen und ließ ihn von seinem später zurückgetretenen Finanzminister Willi Stächele per Notbewilligungsrecht absegnen.
Keine geringere Instanz als der Staatsgerichtshof wertete dieses Vorgehen inzwischen als verfassungswidrig und auch der Rechnungshof bescheinigte der damaligen Regierung „schwere Fehler“, die das Land mehrere hundert Millionen Euro gekostet haben soll. Die CDU-Granden im Ländle distanzieren sich zwar mittlerweile – im Gegensatz zur Basis – von Mappus. Ihr Vorsitzender Thomas Strobl räumte sogar ein, nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner Partei, sondern der Politik insgesamt sei durch den Deal beschädigt worden. So beschädigt offenbar, dass es die Christdemokraten nicht einmal wagten, einen Parteibuch-Kandidaten aufzustellen, sondern sich die Unterstützung von FDP und Freien Wählern sichern wollten, damit Stuttgart nicht auch noch verloren gehe.
Der PR-Star Sebastian Turner, der schon mit 15 Jahren eine eigene Firma gründete und dem der Erfolgsslogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“ zugeschrieben wird, sollte es richten. Entsprechende Erfahrungen, speziell in den vermeintlichen Niederungen der Kommunalpolitik, konnte der Werbefachmann allerdings nicht nachweisen.
So verwunderte es nicht, dass er nach seinem Rückstand im ersten Wahlgang vor zwei Wochen nicht mehr den smarten, in Wirtschaftsdingen gewieften Unternehmer herauskehrte, sondern seinen Konkurrenten mit groben Vorwürfen überzog. Kuhn gefährde Arbeitsplätze, wolle flächendeckend Tempo 30 einführen, eine hohe City-Maut erheben und die Parkgebühren erhöhen, lauteten die hilflosen Vorwürfe. Das Horrorszenario verfing bei den Stuttgartern nicht.
Kuhns Sieg ist nicht zuletzt auch ein Erfolg für den Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Entgegen aller Unkenrufe erlitt seine unaufgeregte glaubwürdige Art der Politik trotz der schwierigen Zusammenarbeit mit der SPD und dem gescheiterten Bürgerentscheid gegen den tiefergelegten Bahnhof nicht den vorausgesagten Schiffbruch. Die Baden-Württemberger haben Zutrauen zu ihm gefunden, eine Wiederwahl scheint nicht ausgeschlossen. Der Sieg in Stuttgart stärkt ihm und auch den Bundes-Grünen den Rücken. Und das dürfte die Union an diesem Abend besonders geschmerzt haben.
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