SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist mit rund 700.000 Euro Nebeneinkünften aus Vorträgen und Publikationen mit Abstand der Bestverdiener im Deutschen Bundestag. Doch die übrigen Plätze der Top Ten machen Union und FDP unter sich aus. Während die SPD nun die Flucht nach vorn antritt und die Offenlegung aller Zuverdienste vorschlägt, sträuben sich die Regierungsparteien. Jochen Bäumel, Vorstandsmitglied der Antikorruptionsorganisation Transparency International, verlangt im Freitag-Gespräch, die Chance für mehr Transparenz zu nutzen.
Der Freitag: Herr Bäumel, die Regierungsparteien haben mit ihrer Kritik an den Steinbrück-Honoraren einen Stein ins Wasser geworfen, der weitere Kreise zieht, als ihnen lieb ist. Freuen Sie sich
tere Kreise zieht, als ihnen lieb ist. Freuen Sie sich über diese Vorlage?Jochen Bäumel: Ja natürlich, denn wir fordern seit Jahren eine Veränderung der Transparenzregeln. Da hat sich aber leider nichts getan.Seit wann wird eigentlich über dieses Thema gestritten?Mindestens seit 2005. Da ging es im Landtag von Nordrhein-Westfalen um ein Gehalt, das ein Abgeordneter neben seinen Diäten von RWE bekommen hat. Im Bundestag wurden daraufhin die Regeln geändert und Veröffentlichungspflichten in drei Stufen eingeführt.Hinter der Stufe drei – über 7.000 Euro – verbarg sich jedoch oft ein ganzes Jahreseinkommen. Es muss offensichtlich erst eine Aufregung wie im Fall Steinbrück geben, damit sich etwas bewegt. Erst als für Union und FDP ein Gegenkandidat von der SPD mit Steinbrück ein Gesicht erhalten hatte, da haben sie sich dessen Nebeneinkünfte angesehen, laut aufgeschrien und eine Veröffentlichung in Euro und Cent verlangt, aber nicht dabei bedacht, dass sie es waren, die das in der Vergangenheit verhindert haben. Die Koalition hat etwas skandalisiert, was eigentlich kein Skandal ist. Steinbrück hat sich an die bestehenden Regeln gehalten.Was halten Sie vom Stufenmodell?Überhaupt nichts, weil dadurch keine Abhängigkeiten sichtbar werden. Stufenmodelle haben immer den Nachteil, dass sie eine Obergrenze haben. Es wäre aber sinnvoll zu wissen, ob und wie viel genau ein Abgeordneter nebenher verdient.Selbst wenn genaue Beträge veröffentlicht werden, bedeutet das denn schon Transparenz? Sind die Einflüsse von Lobbyisten nicht viel subtiler?Lobbyisten sind, positiv verstanden, diejenigen, die Abgeordnete über die verschiedensten Interessen der Industrie und anderer gesellschaftlicher Gruppen informieren. Negativ gesehen arbeiten sie aber auch mit Mitteln, die eine „angenehme Atmosphäre“ schaffen, um möglichst nachhaltig für ihre Interessen zu werben. Transparency plädiert deshalb für eine stärkere Kontrolle: Wir brauchen ein verpflichtendes Register, das alle professionellen Lobbyisten aufführt, von den Konzernniederlassungen, Verbänden, Organisationen bis zu Agenturen und Anwälten. Es muss offengelegt werden, wer für wen, wofür, mit welchem Aufwand Lobbyismus betreibt. Erst ein solches Register bietet die Gewähr, dass die Einflüsse sichtbar und beurteilbar werden.Die Union lehnt SPD-Pläne, alle Nebeneinkünfte zu veröffentlichen, mit der Begründung ab, man wolle keinen gläsernen Abgeordneten. Der Bürger aber muss sich „nackig“ machen, wenn er Leistungen vom Staat beziehen will. Muss das nicht auch für den Parlamentarier gelten, der Diäten bezieht?Transparency fordert ebenfalls, alles zu veröffentlichen. Aber: Niemand soll sich „nackig“ machen müssen. Der Punkt ist, dass ich bei Abgeordneten Personen habe, die ein ganz besonderes Vertrauen genießen, die über unser Zusammenleben entscheiden, die Gesetze und Verordnungen schaffen. Wenn ich das tue, haben die Bürger natürlich das Recht zu wissen, wo sind Interessenskonflikte, welche finanziellen Einflüsse gibt es. Das ist bei Privatpersonen vollkommen uninteressant.Die FDP beruft sich auf Quellenschutz, insbesondere für Anwälte und andere Freiberufler. Die könnten nicht mehr kandidieren, wenn die Einkünfte offengelegt würden, weil ihnen dann die Kundschaft wegliefe. Teilen Sie diese Auffassung?Nein. Nebenverdienste werden auch in anderen Ländern detailliert offengelegt. Und da klappt das. Bei Anwälten gibt es natürlich die Verschwiegenheitspflicht. Da sind wir der Meinung, dass wenigstens die Branchen, aus denen die Auftraggeber kommen, offengelegt werden müssen. Das wurde auch vom Verfassungsgericht so gesehen. Und so steht es in der Geschäftsordnung des Bundestags. Aber in den Ausführungsbestimmungen taucht das dann nicht mehr auf. Ich glaube, dass wir das nicht durchgehen lassen sollten. Ich gestehe zu, dass Anwälte nicht alles offenlegen können. Wenn aber Freiberufler und Selbstständige Vorträge halten und Gutachten machen, müssen sie es angeben. Ich glaube nicht, dass damit jemand geschädigt wird.Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, sagte dazu, man wolle ein Parlament, das nicht nur aus „Berufslosen, Beamten und Gewerkschaftsfunktionären besteht“. Was sagen Sie zu diesem Argument?Das ist natürlich typisch FDP, weil sie bei ihren Abgeordneten relativ viele Freiberufler und Selbständige hat. Das Argument ist schon von daher aus der Luft gegriffen, weil gerade Rechtsanwälte in hoher Zahl im Bundestag sitzen. Schon bei der Einführung der bisherigen Offenlegungspflichten kam das Argument, dass das Freiberufler aus dem Parlament treiben würde. Das ist nicht eingetreten.Die Debatte über Politikereinkünfte ist eine wichtige Ursache von Politikverdrossenheit. Wie könnte man das noch angehen? Debattiert wird derzeit ja auch das Anti-Bestechungsgesetz und die Karenzzeit für Wechsel von Politikern in die Wirtschaft.Es geht ja dabei immer auch um den Einfluss, den Geld möglicherweise hat. Man müsste daher ein Lobbyregister haben, ebenso Karenzzeiten für ausscheidende Parlamentarier. Notwendig wäre außerdem, das Sponsoring von Parteien so zu behandeln wie Spenden. Wenn Unternehmen Parteien sponsern, etwa durch Stände auf deren Veranstaltungen, wird das im Rechenschaftsbericht aufsummiert, und man kann nicht mehr feststellen, wer Geldgeber war. Auch das müsste differenziert veröffentlicht werden, und zwar bereits ab einer Summe von 2.000 Euro. Dann wollen wir eine Spendendeckelung bei 50.000 Euro haben, weil durch Großspenden die Diskussion um Einflussnahme immer wieder aufflammt und das zu Verdrossenheit an der Politik führt. Man erinnere sich an den Flick-Skandal, die hessische CDU mit angeblichen jüdischen Vermächtnissen bis hin zur Kohl‘schen Schwarzgeldaffäre.Glauben Sie, dass in absehbarer Zeit eine bessere Regelung gefunden wird, oder spielt die Koalition nur auf Zeit?Es gibt ja drei Gesetzesentwürfe der Oppositionsparteien, und wenn man etwas feilt, könnte man zu einem ordentlichen Ergebnis kommen. Ich vermute aber, dass es in dieser Legislaturperiode nichts mehr wird, sondern erst, wenn die Mehrheiten sich ändern. Man kann eigentlich nach der jüngsten aktuellen Stunde in der vergangenen Woche nicht den Eindruck haben, dass die Regierungsparteien ihren Standpunkt wirklich geändert hätten.
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