Himmlische Höllenmusik

Oper Den Wagner-Einkehrwochen in Bayreuth sind die Salzburger Festspiele diese Saison weit voraus
Ausgabe 33/2018

Was haben Salome, die Tochter des Herodes, und Poppea, die zweite Gattin Kaiser Neros, gemeinsam? Die beiden sitzen gerade im Triangel in der Wiener-Philharmoniker-Gasse, lassen sich den Riesling aus der Wachau schmecken, und sämtliche Glocken des erzkatholischen Salzburg klingen in ihren Ohren, als wär’s eine Verlängerung des Festspieljubels.

Ihre Weltkarrieren sind nun unaufhaltbar. Die Litauerin Asmik Grigorian (Salome) und die Bulgarin Sonya Yoncheva (Poppea) überwältigen in den Titelrollen zweier extrem versauter Frauen. Dagegen sind die mächtigsten Männer machtlos. Für diese Form des Feminismus ist die Opernbühne seit jeher wie geschaffen. Leidenschaft –bürgerlich: Liebe – fegt alles hinweg, was Gesellschaft und Moral einfordern.

Die sexuelle Raserei der Salome kostet Jochanaan den Kopf, einem religiösen Fanatiker, der blind ist für Salomes Gier. Und die zielstrebige Poppea erkennt: „Wer unglücklich geboren ist, der klage sich selbst an, nicht die anderen.“ Am Ende wird sie zur Kaiserin gekrönt. „Besser lässt sich unsere kapitalistische Denkweise nicht zusammenfassen“, kommentiert der belgische Regisseur, Bühnenbildner und Choreograf Jan Lauwers. Es ist die totale, anarchische Herrschaft der Lust, der Nero unterliegt.

Die historischen Vorbilder, auch dies kein Zufall, lebten nur ein knappes Menschenleben voneinander entfernt an Höfen des römischen Imperiums. Römische Dekadenz, gespiegelt in der bürgerlichen Dekadenz einer Kunstform, an deren Beginn Claudio Monteverdis Poppea ebenso alle Maßstäbe sprengt wie Richard Strauss’ Salome zum Anfang der Moderne. Es ist, knapp vier Jahrhunderte voneinander getrennt, dieselbe unerhörte Radikalität. Wollust besiegt Vernunft. Liebe, selbst die vermeintlich wahre, wird zum Instrument der Macht, also der Täuschung. Oper ist immer Lüge, weil Musik Emotion niemals moralisch bewertet.

Es schäumt aus dem Graben

Eine weitere Gemeinsamkeit in Salzburg: Zwei höchst unkonventionelle Inszenierungen zeigen die Pole der aktuellen Regiekunst. Extreme Reduktion in der Felsenreitschule. Sogar die zentrale Szene der Salome, der Tanz der Sieben Schleier, wird von Regisseur Romeo Castellucci ins Gegenteil verkehrt: Salome strippt nicht, sondern ist an einen Steinquader gefesselt. Macht nichts. Die ganze Ekstase schäumt aus dem Orchestergraben.

Umgekehrt auf der Poppea-Bühne. Der Regisseur fügt seiner ersten Opernregie den Tanz hinzu. Eineinhalb Dutzend vor Energie berstende Tänzerinnen und Tänzer verdoppeln, illustrieren und kommentieren pausenlos die Handlung – und lenken doch von der himmlischen Höllenmusik nur ab. Steckt doch alles in der tönenden Raserei und kommt aus den Körpern grandios hemmungsloser Sängerdarstellerinnen.

In der von Jederfrauen und Jedermännern verstopften Wolferlstadt ist kaum etwas so harmlos, wie es scheint. Die Kunst kennt keine Moral: Rausch und Gewalt –lautet das Leitmotiv dieser Saison. Damit ist das Epizentrum der Opernwelt mit jährlich fünf Neuproduktionen plus Konzert- und Theaterprogrammen den Bayreuther Wagner-Einkehrwochen uneinholbar weit voraus.

Info

L’incoronazione di Poppea und Salome sind bei den Salzburger Festspielen noch bis 28. beziehungsweise 27. August zu sehen

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