Krise der Union

Drama Seehofer wütet und an der Berliner Staatsoper wird Verdis „Macbeth“ gegeben. Mit dabei: Plácido Domingo und Wolfgang Schäuble
Ausgabe 25/2018

Nichts ist alternativlos. Schon gar nicht die Mexiko-Schmach auf der Fanmeile. Einen halben Kilometer weiter östlich auf dem Bebelplatz gibt es die „Oper für alle“. Hier siegt ein Team, in dem sozusagen Messi, Ronaldo und Neymar zusammen spielen. Die Netrebko, die glanzvollste Primadonna der Gegenwart, Plácido Domingo, der zum Bariton gewandelte Jahrhunderttenor, und als Dirigent der unüberwindbare Daniel Barenboim. Was soll da noch schiefgehen?

Gleichzeitig versammelt „Lady M.“ ihre letzten Getreuen im Kanzleramt. Der untreue Herr Spahn gehörte nicht dazu. Der sitzt in der Staatsoper bei Lady Macbeth. „Das tödliche Werk muss vollbracht werden. Den Toten liegt nichts am Regieren“, sagt Lady Macbeth. Zu sehen und vor allem zu hören ist die Selbstzerstörung der Mächtigen. Ihre Orgie der Gewalt ist nichts als Ohnmacht, ihre Sucht nach Herrschaft ihr einziges Motiv. Verdi saß lange genug im Parlament. Er kannte sich aus mit Realitätsverlust in der Politik, bis in den Wahnsinn.

Was sich vor fast genau tausend Jahren in Schottland ereignete, formte Shakespeare zu einer Parabel der Macht, die bis heute gilt. Sich im Kampf um den Thron gegenseitig umzubringen, war dazumal der Normalfall. Der historische Macbeth war nach dem Urteil der Historiker immerhin ein eher milder, kluger König. Er regierte übrigens so lange wie Lady M. – vorausgesetzt, sie schafft es noch bis zur nächsten Wahl. Sie pflegt subtilere Methoden des Machtkampfs.

Die erste Sängerin, die Verdi für die Lady Macbeth ausgesucht hatte, lehnte ab, weil sie ihren Ruf nicht ruinieren wollte. Auf den Opernbühnen galt noch das unbedingte Gesetz des Belcanto. Verdi revolutionierte die Oper, machte sie – in ähnlicher Absicht wie sein Antipode Wagner – zum realistischen Musikdrama. Die zweite, dem Komponisten vorgeschlagene Primadonna fand der Meister zu schön und zu elegant, ihre Stimme zu herrlich und kraftvoll. Er wollte eine hässliche Lady Macbeth, mit rauem, finsterem Ton. „Ich möchte, dass die Stimme der Lady etwas Teuflisches hat“, schrieb er. Nicht schön, sondern wahrhaftig sollte seine Lady singen. Die Stimme der Netrebko ist berückend makellos, muskulös und geschmeidig. Doch sie singt zu schön, um wahr zu sein.

Nimm mir mein Geschlecht!

Zwar trägt heute bekanntlich der Teufel Prada. Aber die seidenen Hosenanzüge, Negligés und Abendroben machen aus der eleganten Lady Netrebko noch keine Teufelin. Sie setzt ihre Erotik als Machtmittel ein, küsst den Gatten, zieht ihn aufs Bett. Shakespeare und Verdi aber hatten die Liebe aus dieser Oper verbannt. Blank wie eine Messerklinge sollte das Böse blitzen. Eine Oper ohne Liebesgeschichte. Gibt’s das? Das erst macht Macbeth zu einem Stück gnadenloser Wahrheit ohne romantischen Schmus. Wenn nur noch die Wollust der Macht geblieben ist.

Die Lady ist die Stärkere, sie kalkuliert strategisch, denkt politisch, ahnt den Preis, beschwört die Kräfte der Hölle. Er dagegen, der siegreiche Feldherr, zweifelt, ist überfordert. Die Lady, seine Herrin, zwingt ihn zum Handeln, verspottet seine Skrupel. Er ist ihr Instrument. Sie hält ihn für ein Weib, wäre selbst gerne ein Mann. „Unsex me here“, fleht sie bei Shakespeare. Nimm mir mein Geschlecht! Ein modernes Geschlechterverständnis. Diese sexuelle Ambiguität ist bei der Netrebko nicht zu spüren. Sie glaubt nur an sich selbst. Er glaubt an das Schicksal, an die Prophezeiungen der Hexen. Am Ende sehen beide Gespenster.

Eigentlich hat diese Oper den falschen Titel. Nicht Macbeth ist die Titelfigur, sondern die Lady. Normalerweise ist das so. Diesmal nicht. Nicht grundlos verweigert Verdi dem Publikum diesmal den Tenor. Eine Oper ohne Heldentenor? Gibt’s das? Der finster-traurige Ehekrüppel Macbeth ist wahrlich kein Held. Aber in Berlin spielt ihn Domingo. Wenn der Bariton Domingo auf der Bühne steht, hört man natürlich noch immer das unvergessliche Timbre des Tenors mit. Ein gebrochener Tenor, ein Ex-Held beherrscht die Bühne, spielt die Lady glatt an die Wand, eben weil da nichts mehr strahlt, weil da einer um sein Leben mordet. Domingos Stimme ist all das, was Verdi an Wahrhaftigkeit verlangt. Eine alte Stimme, die stammeln kann und stöhnen, sogar stottern, die manchmal fast verstummt, dann wieder mit der Kraft der Verzweiflung alles bezwingt.

Bei Shakespeare heißt es: Fair is foul, and foul is fair. Schön ist abscheulich, und abscheulich ist schön. Auch das Böse ist so schön wie nur irgend etwas. Darin liegt die Magie der Oper.

Wer das Stück unbedingt aktualisieren möchte, könnte an die Clintons denken. Aber die greise DDR-Regie-Legende Harry Kupfer aktualisiert auf eine grotesk konventionelle Art. Er stellt Nazi-Operetten-Generäle auf die Bühne. Die Lady räkelt sich unentwegt auf weißen Ledersofas. Den halluzinierenden Macbeth betüddeln drei supersexy Krankenschwestern. Geschenkt.

Allein in der Anfangsszene, während der Ouvertüre, besticht die Regie. Wenn der Chor der Hexen auf dem Schlachtfeld die Gefallenen plündert. Die Hexen sind hier die Elenden, die unterste Schicht. Sie wissen, wie das Spiel der Mächtigen endet. Ihre Gabe der Prophetie ist nichts anderes als Erfahrung. Aber aus dieser klassenkämpferischen Erkenntnis macht Kupfer nichts im weiteren Verlauf. Dabei sind doch die gewaltigen Chöre die dritte Hauptfigur dieser Oper. Die Hexen repräsentieren den Schwachsinn des Weltgeschehens, wie der große Theaterkritiker Alfred Kerr meinte.

Verdi hat auch den Wahnsinn nicht romantisch verklärt, so wie Donizetti den der (ebenfalls schottischen) Lucia di Lammermoor. Er beschreibt einen Persönlichkeitsverfall, lange vor Richard Strauß’ Elektra. Auch den spielt die Netrebko nicht glaubwürdig. Gerade noch donnert sie im Blutrausch über die Bühne – schon sehen wir sie zum Kind retardiert schlafwandeln, eine Generalspuppe im Arm, dem Selbstmord nah. Wahnsinnig schön singt sie, aber das ist kein Wahnsinn.

Nach ihrem Tod zieht Macbeth die Bilanz eines verpfuschten Lebens. Der Täter als Opfer, der Mörder als bemitleidenswerte Kreatur. Er wird genau so abgestochen wie zuvor König Duncan von Macbeth. Alles auf Anfang. Die Nächsten streiten um die Schärpe des Königs.

Trotz aller Einwände ein großer Opernabend. An erster Stelle dank Daniel Barenboim. Mit Wucht und Wärme lässt er die Staatskapelle alle Farben verströmen, von furios bis fahl. Es ist der psychologische Kommentar zum Stück, das Unaussprechbare. Das, was ewig gültig ist. Im Publikum sitzt auch Wolfgang Schäuble. Sollte der nicht gerade vermitteln im Auftrag seiner Lady M., die das sotto voce beherrscht wie keine andere? Bei Shakespeare sagt die zweite Hexe: „Wenn der Wirrwarr stille schweigt, wer der Sieger ist, sich zeigt.“

Info

Macbeth Staatsoper Unter den Linden, nächste Vorstellung: 23. Mai 2019

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