Wagners „Ring“ an der Staatsoper Berlin: Grandiose Musik, gescheiterte Inszenierung
Oper Ein Laborunfall: Die Staatsoper in Berlin führt Wagners „Ring“ komplett auf. Während die Musik selten so meisterhaft auf die Bühne kam, enttäuscht die Regie. Schade, denn mit dem „Ring“ kann man großartig vom Weltuntergang erzählen
So genüsslich wie der derzeit beste Wagner-Dirigent Christian Thielemann das Ring-Monstrum auslotet, fesselt er das Publikum länger als jemals zuvor – fast 17 Stunden. Alle vier Teile des Rings, nicht wie üblich auf zwei Spielzeiten verteilt, sondern innerhalb einer einzigen Woche, gibt es sonst nur unter besonderen Festspielbedingungen in Bayreuth. Allerdings nicht annähernd so überwältigend. Wenn der Ring in falsche Hände gerät, kann er schnell zur Qual werden. Szenisch ist das auch in Berlin so. Doch die unerhörte Musik hält wach. Die Staatskapelle macht jedes einzelne Leitmotiv, das aus dem Graben empor blüht und glüht, zum Klangwunder. Thielemann setzt musikalisch neue Maßstäbe, macht jeden Sänger, jede S
n Sänger, jede Sängerin noch besser.Das Prinzip EntzauberungÜberragend ist etwa der junge Finne Mika Kares, dessen tiefschwarzer Bass die Unholde Fasolt, Hunding und Hagen geschmeidig dröhnen lässt. Überhaupt die Bässe! Der bärenhafte Wotan des Michael Volle und die unsägliche Jammergestalt des Alberich (Johannes Martin Kränzle) sind als versagende Götter unselige Antipoden. Die mörderische Partie der Brünnhilde meistert Anja Kampe zwischen Jubel und Jammer mit stählernem Gleichmut. Bemerkenswert unter den vielen „Nebenrollen“ ist der einstige Tenor-Star Rolando Villazón, der aus Loge, dem schmierigen Chefintriganten Wotans, ganz unwagnerianisch komödiantisch eine Hauptfigur macht. Andreas Schager ist ein Heldentenor wie ein Dampfstrahler, auch wenn er die hohen Töne nur ganz laut singen kann. Sein furchtbarer Kindskopf Siegfried, ein tänzelnder Tor, kein Held, fackelt sein Spielzeug ab und zertrümmert das Kinderzimmer, wo er bei Wagner eigentlich sein unbesiegbares Schwert schmieden soll. Das Gegenteil dessen zu inszenieren, was im Libretto steht, ist immer noch üblich, wenn auch längst heillos von gestern.Gewiss, die Story von Göttern, Helden, Zwergen, Riesen, rasenden Walküren ist tausendmal produziert und zu einer Müllhalde von Klischees aufgetürmt worden. Kein Regisseur will sich langweilen oder gar blamieren. Also sucht er ein neues Regiekonzept, das alle überrascht, am besten ihn selbst. Das kann noch grausamer in die Hose gehen; so wie dieses Jahr in Bayreuth, wo Wagner-Rookie Valentin Schwarz den Ring zur Netflix-Serie herabwurschtelte.Dmitri Tcherniakov ist in Berlin ein Spielverderber, aber sein Ring ist wenigstens intelligent. Er hat sich die Entzauberung zum Prinzip gemacht. Sein Zauberwort lautet Experiment. Warum nicht, ist doch der Ring selbst ein gewaltiges musiktheatralisches Experiment. Also spielt er auch diesmal nicht in der Tiefe des Rheins und auf lichten Bergeshöhen, sondern im fensterlosen Labyrinth eines Forschungsinstituts. Zu Beginn: Alberich im Stresslabor. Die sonst stets verführerischen Rheintöchter sind Assistentinnen in weißen Kitteln, die ihre Provokationen vom Blatt singen, bis der Proband durchdreht. Warum nicht, denkt man, doch als vier Opernabende später auch Siegfried in diesem hellen Glaskasten sein Leben aushaucht, nachdem der grimmige Hagen ihn beim Basketballtraining hinterrücks mit einer Fahnenstange erlegt hat, ist die Story nicht aufgegangen. Hier wird schon längst nichts mehr erforscht.Es ist in Daniel Barenboims dreißigjähriger Ära als Musikdirektor an diesem Haus schon der dritte Ring – krankheitsbedingt musste er das Dirigat an den kongenialen, nach diesem Triumph nun als Nachfolger geradezu herbeigeflehten Thielemann abgeben. Warum immer wieder der Ring? Weil er alles ist. Leistungsschau, Weltuntergangsdrama, Gesellschaftskomödie, politisch und poetisch, erhellend und berauschend zugleich. Wagner, der sich zuvörderst für einen Dichter hielt, hat das Stück zuerst in seiner eigenartigen Sprache verfasst, ehe er es vertonte. Selten wurde der Text so verständlich gesungen. Ironischerweise ist nun der Text fast belanglos, weil er mit dem Geschehen auf der Bühne kaum noch etwas zu tun hat.Großartig am Ring ist gewiss, dass er hundertmal immer wieder neu und anders erzählt werden kann. Alles ließe sich mit ihm thematisieren, der Niedergang des Kapitalismus, die Klimakatastrophe. Der Ring handelt von nichts Geringerem als vom Untergang der Welt, verschuldet von Göttern, die ihre Macht missbrauchen, sich an die eigenen Gesetze nicht halten wollen. Klar, wen Wagner, der 48er-Revolutionär meint: das aufsteigende Bürgertum in seinen Staatsopernstühlen soll sich in diesen Göttern erkennen. Und heute im Institutsdirektor Wotan und seinem Team. Nur, ganz ohne Fallhöhe, ohne den Mythos, kommt der Ring nicht aus, weil sonst nichts so grandios dämmern kann.Lustvoll stöhnender HeldAm Ende von Rheingold ein paar billige Zaubertricks mit bunten Tüchern anstelle der Regenbogenbrücke hinüber zur neuen Burg Walhall, die die Götter mit dem geraubten Rheingold bezahlen; Brünnhildes von loderndem Feuer umfangener Felsen: ein schnöder Stuhlkreis, auf dessen Lehnen die entthronte Walküre Flammensymbole schmiert – alles ist ins Banale gezogen. Der Held muss dauernd paffen, Dosenbier trinken, duschen, in Adidasklamotten von höchster Lust stöhnen – mit den Händen in den Hosentaschen.Doch, doch, manches ist lustig. Aber was ist wichtiger? Denen, die es schon zigmal gesehen haben, immer wieder neue Reize zu bieten? Dies ist zweifellos ein Ring für Fortgeschrittene, die ihn so gut kennen, dass sie das Weggelassene mitdenken und das Verfälschte entschlüsseln. Wenn aber Oper in schwieriger Zeit Mühe hat, immer wieder neues, junges Publikum zu gewinnen, müssten ihre besten Stücke so erzählt werden, dass sie auch der versteht, der erst einmal verzaubert werden muss.Placeholder infobox-1
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