Immer wieder angekündigt, nun tatsächlich eingetroffen - der Scheinschlag ist tot. Das letzte authentische "Wende"-Projekt einer unabhängigen Zeitung in Ostdeutschland hat nach 17 Jahren sein Erscheinen eingestellt. Im Herbst 1990 in einem klapprigen Seitenflügel der unscheinbaren Steinstraße in Berlin-Mitte gegründet, hat das Blatt die stürmischen Jahre der sich mühsam zusammenraufenden Doppelstadt nicht einfach publizistisch begleitet; mit seiner wechselvollen Geschichte war es selbst ein lebendiger Teil davon.
Schon mit der Namensfindung fing es an: Eigentlich hatte man Steinschlag heißen wollen, wegen der Adresse, doch tobte just in jenen Novembertagen die Bürgerkriegsschlacht um die besetzte Mainzer Straße. Da hätten nicht ein
Da hätten nicht einmal die damals noch bürgerbewegten Bezirksräte von Berlin-Mitte ABM-Stellen für ein "Straßenkämpferblatt" bewilligt. Der vermeintlich sanftere "Schein"-Titel war reine Camouflage, an Konfliktbereitschaft und anarchischem Selbstbehauptungswillen mangelte es nie. Ob es gegen die Olympiabewerbung Berlins ging, gegen die Abrisse markanter DDR-Bauten oder die spekulative Aufwertung der letzten Reste Altberlins zum Szeneviertel Hackescher Markt - in bester Robin-Hood-Manier standen Scheinschlag-Redakteure stets zuverlässig auf Seiten der Rebellen und Verlierer.Die "Zeitung für Mitte", später "Zeitung aus Mitte", schließlich "Berliner Stadtzeitung" wollte sich nicht nur in die oft ausgesprochen ruppige Stadtpolitik einmischen, sondern verstand sich als gruppendynamisches Experimentalkollektiv. Das klingt ehrbar, macht auf Dauer aber selbst zäheste Enthusiasten mürbe. Ewig um prekäre Finanzierungen bangend, wurde die immense Arbeit nahezu ausschließlich auf freiwilliger Basis erbracht. Trieb man anfangs den Löwenanteil der Gelder über Spenden und Anzeigen ein, gelang es später, parallel den Auftrag für eine öffentlich geförderte Sanierungszeitung zu bekommen. Konstant blieb, dass Scheinschlag knapp wirtschaftete und ohne Rücksicht auf eigenen Verschleiß. Umso erstaunlicher, dass im häufigen Wechsel der Frontleute, Konzepte und thematischen Schwerpunkte eines unangetastet blieb: das Prinzip des Verschenkens. Scheinschlag war kein Kioskprodukt, sondern lag in Kneipen, Läden, etlichen Straßenaufstellern zum Mitnehmen aus. Für eine Professionalisierung der Unternehmung, die von der Alimentierung durch solidarische Ämter zu knallharter ökonomischer Autarkie hätte führen müssen, haben sich niemals Mehrheiten gefunden. Ein unerschütterlicher Glaube an das spontane Engagement stets junger und unverbrauchter Talente führte zu wahren Exzessen der Selbstausbeutung. Oder war es die heimliche Ahnung, dass nur kompromisslose Absage an jede Marktförmigkeit vor sinistren Angeboten schützt, die am Ende keiner ausschlagen kann? Deutlich genug stand das Schicksal anderer bürgerbewegter Zeitungsgründungen vor Augen, die, wenn nicht im Konkurs, dann als müde Anzeigenblättchen verendeten.Allmonatlich gab es öffentliche Redaktionssitzung in einer Kneipe namens "Village Voice". Doch den Erfolg des bewunderten New Yorker Szeneblattes kriegten die Berliner nicht hin. Dabei hätte man mindestens zweimal wirklich hoffen können: Als Ende 1996 das "Planwerk Innenstadt" des Senatsbaudirektors Hans Stimmann Berlins Öffentlichkeit polarisierte und sogar die sonst wenig senatsfromme Hauptstadtredaktion der taz zu spalten drohte, versammelten sich Journalisten, Planer und empörte Bürger ganz selbstverständlich um Scheinschlag, um dort Strategien bürgerschaftlichen Widerstands zu entwerfen. Stimmans Masterplan, die gesamte Berliner Innenstadt in den Grundriss der vormodernen Stadt zu zwängen, erhitzte die Gemüter - und immerhin hatte die Stadtzeitung eine Auflage von 25.000 erreicht. Als sich nun um deren Debatten ein regelrechtes Netzwerk spann, bekam die Stimme der Senatskritiker im Getümmel tatsächlich Gewicht. Der "Planwerk"-Konflikt war eine erste prägende Generationserfahrung im wiedervereinigten Berlin, und der Scheinschlag hätte zum Sprachrohr dieser sich findenden Generation werden können - wenn nicht daneben immer auch der Ehrgeiz der Talentschmiede bestanden hätte, in der durchreisende Metropolen-Greenhorns mit flotter Schreibe lieber staunend auf Entdeckungsreise gingen, als sich beharrlich mit soliden Recherchen und politischer Analyse zu beschäftigen.Dass auch die Edelfeder-Variante Möglichkeiten eröffnet hätte, sollte sich Ende 2000 zeigen. In der Sonderausgabe zum zehnjährigen Blattjubiläum bekannten Schriftsteller wie Klaus Schlesinger und Annett Gröschner oder prominente Journalisten wie Kerstin Decker, Daniela Dahn und Alexander Osang mit eigens verfassten Texten ihre Sympathie für das Projekt. Da winkte für einen Moment die Vision eines alternativen Feuilletons: Könnte nicht hier, auf dem Terrain erprobter Freigeistigkeit und ohne das Besser-Essen-schöner-Wohnen-exklusiver-Reisen werbebunter Magazinbeilagen, eine wirklich urbane Publizistik neue Heimat finden? Unabhängig, engagiert, stilbewusst - wie einst von der legendären Weltbühne geprägt, doch jetzt für das Berlin der Jahrtausendwende? Um aber genügend klangvolle Namen in den Autorenkreis ausgerechnet dieses unkonventionellen Blattes zu locken, wäre auch hier Professionalisierung vonnöten gewesen. Wobei es nicht allein um Zahlungsfähigkeit gegangen wäre.Irgendwann nach den "Planwerk"-Schlachten kam dem Scheinschlag die Augenhöhe zur Berliner Stadtpolitik abhanden. In den Kneipen sitzen vor allem Touristen, die weniger nach Kiezblättern und lieber nach Programmführern greifen. Neuere Protestgenerationen wie die Volkspalast-Initiative kommunizieren via Internet. Vielleicht liegt ja das Aus für Scheinschlag im Wandel der Zeiten begründet, deshalb soll man den Blattmachern für ihre Ausdauer danken. Und für die Archivierung des Nachlasses sorgen, denn Dissertationen über dieses bemerkenswerte Kapitel Berliner Zeitungsgeschichte werden nicht lange auf sich warten lassen. Und zwar völlig zu Recht.