Häuslebauer

MODERNISIERUNG Mit dem gläsernen Aufzug in die Vergangenheit

Die Mitteilung liegt schon vor: Das neue Jahrtausend wird mich mit einer kräftigen Mieterhöhung begrüßen. Für die nächsten zehn Jahre werde ich so meinem Landlord seine Auslagen vergüten, die ihm mit der Modernisierung unseres Hauses entstanden. Das habe ich davon, dass ich standhaft war. Nicht mal jeder zweite meiner Mitmieter hat den einjährigen Baustellenterror ausgehalten. Die Mehrheit hat sich davongemacht und so Platz geschaffen für Zuzügler aus den besserverdienenden Regionen unseres Landes, deren freiverhandelte Neuverträge das Miet niveau unserer Gegend rasant aufwärts katapultieren werden. Zumindest was den Prenzlauer Berg betrifft, vollzieht sich die Gentrifizierung der Innenstadt lehrbuchgetreu: In weniger als zehn Jahren eine reichliche Hälfte der Gesamtbewohnerschaft ausgewechselt - mit solchen "Modernisierungserfolgen" kann sich Berlins Stadtplanung wirklich sehen lassen.

Zwölf Monate lang tobte sich unter meiner Adresse die derzeit regierungsamtliche Stadtentwicklungstheorie im Kleinen aus: Deren oberste (und nahezu einzige) Devise lautet Privatisierung. Also wurde unser Gründerzeithaus erst einmal per Dekret der kommunalen Obhut entrissen. Nach etlichen Jahren der "Notverwaltung" fand sich endlich ein Käufer, aber der war weder solvent, noch kreativ oder gar sonderlich fürsorglich. Er war eine kleine Firma, die Häuser kauft, diese vom Notar aufteilen lässt, die einzelnen Wohnungen an irgendwelche Anleger weiterverscherbelt und dann, immer am Rand des Konkurses, die gesamte Hütte aufpoliert. Na ja, eigentlich werden nur exakt die Einbauten vorgenommen, für die sich die nächsthöhere Kategorie im Mietspiegel fordern lässt. Zum Einsatz kommen überwiegend Tagelöhner vom gesamteuropäischen Arbeitsmarkt, was dazu führt, dass kein Bauleiter heute noch weiß, welche Leute gestern welche Arbeiten verrichteten. Umgekehrt schert es die wortlos werkelnden Malocher einen Dreck, welche Kollateralschäden bei ihrem garantiert mies bezahlten Job anfallen. Hundis Lieblingsbaum auf dem Hof? Alte Malereien im Treppenhaus? Einbauschränke in der vorübergehend verlassenen Wohnung? Alles folgt einer einzigen Bewegung: Ex und hopp!

Glaubt man Neuberliner Planungsideologen wie Hans Stimmann oder Dieter Hoffmann-Axthelm, so liegt die Rettung der "europäischen Stadt" in den Händen sogenannter "neuer Stadtbürger", die das Häuserbauen wieder zur Sache von "mittelständischen Bauherren" machen und als illustre Patriarchen gar selbst in der Beletage ihrer vom Bausparkassenkredit abgestotterten Stadtvilla wohnen. Doch was in der Praxis tatsächlich zum Zuge kommt, sind entweder Immobilienfonds oder routinierte Sanierungskrauter. Privatleute, die ganze Häuser kaufen, sind längst vom Markt verschwunden, nur noch steuersparende Kleinanleger lassen sich heute zum Kauf einzelner Wohnungen überreden. Wo die jeweils ihr eigenes Haupt betten, ist völlig egal, Hauptsache, sie bringen die Kaufsumme auf, und zwar cash. Von ihrem Besitz wollen sie wiederum auch gar nichts anderes, keine Verantwortung für irgendeine Lebensqualität im Kiez, für den Erhalt denkmalwerter Details oder so. Gegen eine notariell verbriefte Ertragsgarantie haben sie alle Vermieterbefugnis an die Verwalterfirma abgetreten. Nach diesem anonymsten aller Privatisierungsmodelle werden aus menschlichen Behausungen Maschinen zur Renditeerwirtschaftung.

Als letztes wurden in unserem Treppenhaus die Türen altertümlich "auf Eiche" gepinselt und auf plumpen Holzbrettchen verschnörkelte Messingklingeln installiert. das passt zum Werbefaltblatt, welches "Original Stuckverzierungen" an meiner Wohnzimmerdecke versprach. Selbst der neue gläserne Aufzug im Hof trägt auf seine Weise zum Retro-Kult bei: Er hält unten und dann wieder im Dachgeschoß, wo zwei Penthäuser mit Kamin, Sauna und jede Menge Terrassen draufgesattelt wurden. Dazwischen, in unseren Plebs-Etagen, haben die Maurer nicht mal ein Loch gelassen...damit die Exklusivität auch durch private Freundlichkeit der Privilegierten nicht zu unterwandern sei. So unerbittlich kam Klassengesellschaft nicht mal zur Kaiserzeit daher. Und wie auf blankgeputzten Klingeltableaus wieder von Vorderhaus und Hinterhaus posaunt wird - diesen obszönen Stolz auf die Ungleichheit zu ächten war einmal die historische Tat der Sozialdemokratie gewesen. Bevor die sich Neue Mitte nannte, Anlegerwohnungen kaufte und nun auf diese Jahrhundertwende anstößt. Die Wende ins vorvergangene Jahrhundert.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden