In Dresden war es die Sächsische Akademie der Künste, die im Oktober vergangenen Jahres eine internationale Tagung über die Prager Straße veranstaltete, um diesen wohl imposantesten Stadtraum der DDR-Moderne aus dem Blickwinkel europäischer Stadtbaugeschichte zu bewerten und vor endgültiger Zerstörung zu warnen. Den Staffelstab hatte dann die Künstlerinitiative "info offspring" übernommen, die bei ihrem alljährlichen Sommerprojekt den barockseligen Bürgern von Elbflorenz die gefährdeten Highlights der Dresdner Nachkriegsbaukunst dringlich ans Herz legte: etwa den durch geplanten Umbau zum "Konzertsaal mit Shopping-Mall" gefährdeten Kulturpalast oder das Rundkino, dem die Verwahrlosung droht. In Berlin hatte der Werkbund erst
st im Mai seine Ausstellung Ostmoderne eröffnet. Zum Vorschein kamen erstaunlich elegante Bauten aus früher DDR-Zeit, die bislang im dräuenden Schatten Stalin´scher Klassizismen ein unbeachtetes und daher oft gefährdetes Dasein fristen.Ist Architektur-Moderne also wieder angesagt? Es mehren sich Anzeichen für einen Wandel: Retrokult und Rekonstruktionsbesessenheit haben die Höhen der politischen Entscheidungsbefugnis erobert, doch an der Basis, wo sich Stadtaneignung praktisch vollzieht, bereitet sich der nächste Generationswechsel vor. So, wie die heute am Ruder befindlichen Meinungsführer ihre vom Geist des Bauhauses erfüllten Väter einst mit dem Ruf nach Symmetrie, Säulen und Dekor bis ins Mark erschreckten, lockt nun die Kinder jener Moderne-Verächter heute eben kein Gründerzeitprunk mehr hinterm Ofen hervor. "Postmoderne" geistert in Architekturdiskursen nur noch als Schimpfwort herum. Jugendlicher Zeitgeist ergeht sich am Nierentisch in stillgelegten Tankstellen und Kinofoyers. Café Moskau, das opulent gläserne Vergnügungshaus in der Berliner Karl-Marx-Allee, ist nicht trotz, sondern wegen seiner Sixties-Ästhetik zu einer der gefragtesten Party- und Ausstellungsadressen des neuen Berlin geworden. In Henselmanns Kongresshalle am Alexanderplatz luden unlängst südwestdeutsche Hochglanzillustrierte zur Verlagsparty, wohl wegen des frisch aufpolierten Ambientes à la Raumschiff Enterprise.Während die Bannerträger der vorletzten Revolte noch rasch ein paar Tatsachen durchdrücken, also in Leipzig die Bebauung am Brühl, in Berlin das Linden-Hotel, in Dresden den Kulturpalast, in Bremen die berühmte Stadthalle, in Cottbus die Stadtpromenade und in Halle die beiden Stahlhochhäuser am Bahnhof beseitigen wollen oder, umgekehrt, in Braunschweig das Schloss als Entreé für eine Kaufhauskiste auferstehen lassen, findet im Widerstand dagegen die nachfolgende Generation zu sich selbst. Ästhetische Wertschätzung, die Aufnahme in den gesicherten Kanon aufhebenswerter Dinge, beginnt allenthalben mit den Allüren des "radical chic".Genauso entspannt sollte man auch das fröhliche Treiben betrachten, das der Verein "ZwischenPalastNutzung" unter dem genialen Label "Volkspalast" seit Ende August der von Nostalgikern besonders zäh umkämpften Mitte Berlins beschert. Man nimmt sich die Freiheit, die teuerste Ruine Deutschlands nun schlicht als das zu begreifen, was sie de facto wieder ist - ein Rohbau: Gerüst und Material, Bühne und Kulisse für frische Ideen, ausgelassene Spiele, unverhoffte Wahrnehmungen und noch nie da gewesene Erlebnisse. Gegen den sturen Bilderkult der Schlossfraktion setzen die "Zwischennutzer" des ins Zeitlose befreiten Stahlskeletts ihre quicklebendige, auf Neugier und Abenteuer gründende Praxis.Und prompt hat Berlin, das man gerade gähnend zu den Akten legen wollte, wieder eine wirklich aufregende Adresse. Einen Ort voller Anfang, einen Hauch von politischer Unkorrektheit, ja Ungeheuerlichkeit. War die Schlossattrappe eine Inszenierung für Ansichtskarten und Wilmersdorfer Witwen, so sind die Attraktion des "Volkspalastes" seine Besucher selbst. Die kamen schon am Eröffnungsabend aus aller Welt, fanden den so lange geschmähten Bau aus ideologischer Verkleisterung befreit und waren allesamt nur zu gern bereit, miteinander einen neuen Ort zu gründen. Als Beginn einer neuen Geschichte, unter einem anderen Begriff von Kultur. Mehr als 15.000 Besucher wollten Berlins "Lange Nacht der Museen" mit einer Palast-Party krönen. Seit Christos Reichstagsspektakel war es nicht mehr so relaxed, ja euphorisch zugegangen. Warum soll hier nicht entstehen, was Axel Schultes für sein "Band des Bundes" im Spreebogen seit Jahren vergeblich fordert - das republikanische Forum. Alles andere würde sich dann schon finden.