Die Worte Mustafa Abu al-Jasids, des Residenten von Al-Qaida in Afghanistan, über das Schicksal der pakistanischen Nuklearwaffen trieb nicht nur den Ärzten gegen den Atomkrieg die Sorgenfalten auf die Stirn: „So Gott will, werden die Atomwaffen nicht in die Hände der Amerikaner fallen“, verkündete er am 21 Juni im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira, „sondern von den Mudschaheddin in Besitz genommen und gegen die Amerikaner eingesetzt werden.“ Sein oberster Anführer Osama bin Laden soll die Beschaffung von Atomwaffen bereits vor Jahren als „heilige Pflicht“ der Dschihadisten bezeichnet haben.
Ob das gelungen ist, bleibt vorerst ein Geheimnis. Der bei München festgenommene Bin-Laden-Vertraute Mamdouh Mahmud Salim jedenfalls hat sich der US-Bundespolizei FBI zufolge darum bemüht, Komponenten für Nuklearwaffen zu beschaffen. Auch Al-Qaida-Aussteiger Jamal Ahmed al-Fadl hat vor einem New Yorker Bundesgericht ausgesagt, er habe im Auftrag Bin Ladens versucht, im Sudan hoch angereichertes Uran – angeblich aus Südafrika – zu kaufen. Mohamed El-Baradei, scheidender Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEA, warnt vor dem relativ neuen Phänomen des nuklearen Terrorismus, Präsident Obama will dazu im März 2010 gar einen Weltgipfel veranstalten, wozu er gerade in L'Aquila eingeladen hat.
Frei zugänglich
Aber nicht nur der Kauf oder Diebstahl einer funktionsfähigen Atomwaffe ist eine akute Gefahr. Immer wieder hat es auch Versuche gegeben, den eigenen nuklearen Sprengsatz zu konstruieren. Das Wissen zu dessen Bau ist frei zugänglich. Journalisten der britischen Times entdeckten in einem ehemaligen Talibanlager in Saraq Panza bei Kabul Dokumente, die Details zum Bau von Nuklearwaffen und kleineren Bomben enthielten. Untersuchungen bestätigen, dass Terroristen grundsätzlich radioaktive Materialien für terroristische Anschläge verwenden können. Zum Eigenbau eines einfachen nuklearen Sprengsatz aber müssten sie sich spezielle Fähigkeiten aneignen. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass eine finanziell gut ausgestattete Terrororganisation das nötige technische Know how zur Herstellung eines Kernsprengsatzes erwirbt. Ganz ohne qualifizierte Physiker wäre das Atomprojekt allerdings nur schwer zu schultern. Nachweislich gab es aber Kontakte zum pakistanischen Atomphysiker Abdul Qadeer Khan, der sogar ein globales Netwerk illegaler Nuklearkollaboration entwickelt hatte.
Attentat oder Erpressung
Falls Terroristen wirklich in den Besitz von Kernsprengköpfen gelangen, wären die auf verschiedene Weise nutzbar. Zum Einen könnte ein Anschlag darauf abzielen, so viele Zivilisten wie möglich zu töten. Auch wäre die Erpressung von Regierungen denkbar. Es müsste freilich ein Weg gefunden werden, den Sprengkörper unentdeckt ins Ziel zu bringen. Raketen scheiden aus, deren Transfer und Lagerung wären zu aufwändig. Brauchbare Transportmittel für Sprengköpfe wären aber Schiffe, Lastwagen oder Flugzeuge. Während der Weg per Flugzeug kaum zu verheimlichen wäre, erscheint es denkbar, dass der See- oder Landweg eine andere Ternung verheißt.
Mit einer spektakulären Aktion verwiesen Umweltschützer kürzlich auf eine andere Gefahr des Nuklearterrorismus. Am 22. Juni erklommen etwa zwei Dutzend Greenpeace Aktivisten mit Bergsteigerausrüstung die Kuppel des Atomkraftwerks Unterweser im niedersächsischen Nordenham, enthüllten oben ein Transparent und malten ein Totenkopfsymbol auf den Stahlbeton. Mit der Aktion wollte sie auf die „tödliche Gefahr“ aufmerksam machen, die von Atomkraftwerken ausgeht. Sie verlangten die Stilllegung von sieben älteren Meilern, weil die nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe aus der Luft geschützt seien. Eine technisch sehr viel einfachere Variante von Nuklearterrorismus wäre eine radiologische, so genannte „schmutzige“ Bombe. Diese kann hochradioaktives Material mit Hilfe einer konventionellen Explosion weit verbreiten, größere Gebiete verseuchen und damit auf lange Zeit unbewohnbar machen.
Training für den Ernstfall
Mehrere Staaten versuchen, sich durch Katastrophenübungen auf den Ernstfall vorzubereiten. Nicht selten erinnern die Szenarien an Horrorfilme aus Hollywood: Mit jaulenden Sirenen schwärmten am 9. Juni in New York 300 Beamte der örtlichen Polizei und 400 FBI-Angehörige nach einem Alarm aus. Strahlungsdetektoren hatten signalisiert, dass in einem Auto auf dem Clearview Expressway, der die Stadtteile Queens und Manhattan verbindet, eine schmutzige Bombe versteckt sei. Der Sprengkörper wurde mit aller Vorsicht auf ein freies Feld in Brooklyn gebracht und dort entschärft. Die Übung war Teil eines 73 Millionen Dollar teuren Pilotprojekts, um die Metropole vor terroristischen Angriffen mit Kernwaffen zu schützen. Unter anderem sollen Plätze, Brücken und Tunnel mit Strahlungssensoren ausgerüstet werden. Streifenpolizisten erhalten am Gürtel tragbare Detektoren, die jegliche radioaktive Strahlung sofort anzeigen. Eine ähnliche Übung veranstalteten chinesische Antiterrorkräfte in Peking, um den bevorstehenden 60. Jahrestag der Volksrepublik am 1. Oktober abzusichern
Das Drehbuch für Deutschland: Im Januar 2010 zünden Terroristen irgendwo im Land einen mit atomarem Material versetzten Sprengkörper. Kurz danach schrillen die Alarmglocken in den Einsatzzentralen der Katastrophenschützer von Bund und Ländern. Unverzüglich muss die Bevölkerung gewarnt werden. Es geht um schnellstmögliche Evakuierung und Notversorgung. Vor allem gilt es, Panik und Chaos zu verhindern. Laut Innenminister Schäuble, sei das nicht aus der Luft gegriffen, denn die schmutzige Bombe bereite „uns weltweit am meisten Sorgen." Für Anfang 2010 ist deshalb die Katastrophenschutzübung Lükex-10 angesetzt, auf der die Krisenstäbe eine perfekte Koordination trainieren sollen. Der US-Großinvestor und Unternehmer Warren Buffet jedenfalls hat eine düstere Prophezeiung: Früher oder später, so sagt er, gebe es einen Terror-Angriff mit Nuklearwaffen - es sei im Grunde nur eine Frage der Zeit. "Es wird passieren - in zehn Jahren, in zehn Minuten oder in fünfzig Jahren".
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.