Moskauer Uhren ticken anders

Gipfel Die Präsidenten Obama und Medwedjew haben bis Ende 2009 einen neuen START-Vertrag versprochen. Auf dem Gipfel in Moskau wird sich zeigen, ob sie das Datum halten können

Die Unterhändler Rose Gottemoeller und Anatoli Antonow haben in den vergangenen Wochen viel gearbeitet und sich verhalten optimistisch geäußert. Drei Gesprächsrunden in Genf und Moskau sind bereits absolviert, es seien bedeutendere Fortschritte erzielt worden, als zu Beginn der Verhandlungen erwartet wurde, zeigte sich Vizeaußenminister Sergej Rjabkow überrascht. Also wird wohl auf dem Gipfel, der an diesem Montag beginnt, das versprochene Rahmenabkommen unterzeichnet werden. Doch obwohl beide Seiten einen wirklichen Schritt auf dem Weg in eine atomwaffenfreie Welt wollen, differieren die Vorstellungen über Tempo und Teilziele deutlich.

Rahmenbedingungen entscheiden

Die USA streben einen bruchlosen Übergang zu einem neuen START-Vertrag an, der klar niedrigere Obergrenzen für strategische Atomwaffen enthält und die bestehenden Kontrollvereinbarungen weitgehend erhält, aber effektiver umsetzt. Ursprünglich soll Washington vorgeschlagen haben, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe radikal um 80 Prozent auf jeweils etwa 1.000 Stück zu verringern. Statt die Überhänge aber zu verschrotten, möchte das Pentagon überzählige Sprengköpfe einlagern und die frei werdenden Trägermittel künftig mit konventionellen Waffen ausstatten. Russland hingegen besteht auf einem komplexen Vorgehen, das alle relevanten Komponenten des militärischen Kräfteverhältnisses zum Westen berücksichtigt.

Daraus resultieren konzeptionelle, aber auch ganz praktischer Differenzen. Da Atomwaffen für die russische Führung das einzig verbliebene Symbol ihrer einst gleichrangigen Stellung mit den USA in der Welt bedeuten, wird sie darauf nur in dem Maße verzichten, wie andere potentielle Bedrohungselemente ausgeschaltet oder zumindest minimiert werden. Darum fordert Moskau von den USA, keine Antiraketensysteme in Russlands europäischem Vorhof zu stationieren und langfristig auf einen unilateralen globalen Raketenschirm zu verzichten. Ebenso müssten die Ostausdehnung und Truppenstationierungen der NATO nahe der russischen Grenzen gestoppt werden. Schließlich soll verhindert werden, dass ein Abbau der Atomwaffen den USA durch deren technologische Überlegenheit bei konventionellen und Weltraumwaffen einseitige Vorteile bringt. Bei den Gesprächen von Obama in Moskau sind für Russland deshalb die einbezogenen Waffensysteme wie auch die auszuhandelnden Obergrenzen unauflöslich mit den militärstrategischen Rahmenbedingungen verwoben.

Wladimir Putins Frage

"Wir sind dafür, keine offensiven und defensiven strategischen Waffen außerhalb der nationalen Grenzen zu stationieren", erklärt der Befehlshaber der russischen Strategischen Raketentruppen, Nikolai Solowzow. Man sei weiterhin "für ein Verbot jeglicher Offensivwaffen im Weltraum und für effizientere Kontroll- und Datenaustauschmechanismen." Außenminister Lawrow regt sogar an, die Atomverhandlungen mit Gesprächen zur Wiederbelebung des von Moskau suspendierten KSE-Vertrages über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa zu verknüpfen: "Russland ist davon überzeugt, dass dies von immenser Bedeutung ist. Es kommt darauf an, das bestehende Ungleichgewicht zu beseitigen. Das gilt auch für eine einseitige Raketenabwehr, denn es ist unmöglich und gefährlich, die Sicherheit einiger Länder auf Kosten anderer zu erhöhen."

Offenbar wird die Frage, wie viele atomare Waffen erhalten bleiben sollen, selbst innerhalb der russischen Machtelite zum Teil kontrovers diskutiert. So meint Armeegeneral Anatoli Kulikow, die Atomwaffen würden mittelfristig an Bedeutung für Russlands Sicherheit einbüßen. Generaloberst Solowzow hingegen verlangt, eine beträchtliche Anzahl Atomwaffen zu behalten: "Beim Abschluss eines neuen START-Vertrages darf Russland nicht unter 1.500 Atomgefechtsköpfe gehen."

Wenn der neue Vertrag bis zum Jahresende unterschrieben werden soll, müsste bald ein Ergebnis vorliegen. Unabhängig davon – bis zum deklarierten Ziel einer atomwaffenfreien Welt wird es noch dauern. Russland sei aber unter bestimmten Umständen bereit, auf Atomwaffen völlig zu verzichten, versichert Wladimir Putin mit deutlicher Pointierung: "Warum brauchen wir Atomwaffen? Haben wir sie etwa erfunden oder je eingesetzt? Wenn diejenigen, die die Atombombe erfunden und eingesetzt haben, aber auch weitere offizielle und inoffizielle Atommächte bereit sind, darauf zu verzichten, werden wir das natürlich begrüßen und diesen Vorgang fördern."

START (Strategic-Arms-Reduction-Treaty)START 1 - Der erste Vertrag zur Verringerung der Strategischen Nuklearwaffen wurde am 31. Juli 1991 von George H. W. Bush und Michail Gorbatschow unterzeichnet und trat am 5. Dezember 1994 in Kraft. Er sah jeweils eine Verminderung auf 1.600 Trägersysteme mit maximal 6.000 anrechenbaren Nukleargefechtsköpfen vor. Ohne Verlängerung läuft der vertrag am 5. Dezember 2009 aus.

START 2 - Der Vertrag wurde am 3. Januar 1993 von George H. W. Bush und Boris Jelzin unterzeichnet, trat jedoch nie formal in Kraft. Beide Seiten hielten sich aber weitgehend an die Hauptbestimmungen. Er verlangte den Abbau der strategischen Atomsprengköpfe auf jeweils 3.000 bis 3.500. Der vereinbarte Verzicht auf Mehrfachsprengköpfe wurde von Russland nach der Aufkündigung des ABM-Vertrages über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme durch die USA als obsolet erklärt.

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