So groß wie Cola-Dosen

Konferenz über "extrem grausame" Waffen in Genf Zu den Streubomben kein Wort

Obwohl die größte Bedrohung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungsmitteln ausgeht, sterben die meisten Menschen durch sogenannte konventionelle Waffen. Allein 2003 verloren in 40 Konflikten über 500.000 ihr Leben. Immer schmerzvoller leidet auch die Zivilbevölkerung. Nach Angaben des Kinderhilfswerks terre des hommes wurden allein seit 1990 mehr als zwei Millionen Kinder in Kriegen getötet, über sechs Millionen verletzt. Im Genfer Palais des Nations stand deshalb in dieser Woche die Ächtung "extrem grausamer Waffen" auf der Tagesordnung, die durch die Konvention von 1980 sowie ergänzende Protokolle aus späteren Jahren (s. unten) erfasst werden. In Genf wollten sich die 97 Mitgliedsstaaten der Konvention unter dem Vorsitz des Kroaten Gordan Markotié darüber verständigen, wie und ob das vorliegende Vertragswerk respektiert wird - und wie es um die erst im November 2003 vereinbarte Verpflichtung zur Räumung der Kriegsschauplätze steht.

Verlegte Minen, Granaten und Bomben töten noch lange, nachdem Kriege beendet sind. Erst Anfang des Monats sprengten Experten eine 5,5-Tonnen-Bombe der US-Luftwaffe, die Bewohner von Gia Lai im Zentralen Vietnamesischen Hochland gefunden hatten. Während des Indochina-Krieges kamen nach Angaben der US-Armee zwischen 1964 und 1975 über 15 Millionen Tonnen Bomben, Minen und Artilleriegeschosse zum Einsatz. Eine der Spätfolgen dieses Arsenals - seit dem Ende der Kampfhandlungen vor fast 30 Jahren starben mehr als 38.000 Vietnamesen durch Blindgänger.

Um so unverzichtbarer sind daher die in Protokoll V (s. Kasten) der Konvention empfohlenen prophylaktischen Maßnahmen zur Aufklärung und Risikoschulung der in ehemaligen Kampfzonen ansässigen Zivilbevölkerung. Die betroffenen Ländern sollen zudem - darüber sprach man in Genf - Anspruch auf Hilfe bei der Opfer-Rehabilitation erheben können. Andere Bestimmungen aus Protokoll V wirken eher präventiv, indem mehr Funktionssicherheit verwendeter Munition durch umfassende Tests verlangt wird.

Über ein Verbot der berüchtigten Streumunition, von der gleichfalls enorme Langzeitgefahren ausgehen, wurde hingegen überhaupt nicht verhandelt. Zu dieser Kategorie von Waffen gehören die sogenannten "Cluster Bombs", die aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe bestehen - die hinterhältigsten Waffen überhaupt. Zum Einsatz kommen sie in der Regel gegen größere Truppenkonzentrationen und Panzerverbände, doch treffen sie häufig noch jahrelang nach Ende der Kampfhandlungen die Zivilbevölkerung. Die "Cluster" werden von Flugzeugen als Bomben abgeworfen, können aber auch als Streumunition von Haubitzen, Artilleriegeschützen, Raketenwerfern oder Hubschraubern verschossen werden - sie öffnen sich noch in der Luft und verbreiten über eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes mehr als 200 "Bomblets", die kaum die Größe von Cola-Dosen haben. Deren Füllung wiederum kann aus Splittergeschossen oder Minen bestehen. Manche explodieren beim Aufprall auf den Erdoden, oft jedoch kann dies durch eine dichte Vegetation zunächst verhindert werden. Bei einer Blindgängerquote von 40 Prozent verwandeln sich "Cluster Bombs" praktisch zu Landminen mit langer Lebenszeit. Wenn durch Berührung die Ummantelung der Kanister zerspringt, können Hunderte von Splittern Menschen noch in einer Entfernung von bis zu 150 Metern wie Gewehrkugeln töten.

Die von vielen Kritikern generell bemängelte Begrenzung der 1980er Konvention auf Regeln für den Gebrauch von Waffen statt deren Abrüstung gilt für das Protokoll über Landminen gleichermaßen. Ursprünglich sollte es ein Totalverbot durch die Erweiterung des Minenprotokolls (Protokoll II) geben. Unter dem Druck der Minenlobby einigten sich die Vertragspartner dann allerdings lediglich auf etliche Verschärfungen. Dabei trat das Abkommen, das zur Vernichtung aller Anti-Personenminen binnen zehn Jahren verpflichtet, schon 1999 in Kraft und wurde mittlerweile von 144 Staaten ratifiziert. Bis heute fehlen über 40 Länder, darunter führende Minenproduzenten und -käufer. Die USA beispielsweise haben ihre ursprüngliche Absicht, dem Abkommen bis 2006 beizutreten, inzwischen revidiert. Ab 2010 soll wohl auf eine Reihe einfacher Minentypen verzichtet werden, aber 15 Millionen sogenannter "intelligenter Minen", die über "Selbstzerstörungs- wie Neutralisierungsmechanismen" verfügen, will die US-Armee unbefristet behalten. Immerhin sind die Amerikaner Mitglied des Landminenprotokolls. Zwar wurde das von nur 80 Ländern unterzeichnet, dafür akzeptieren aber China, Finnland, Indien, Israel und Pakistan, die ein Minen-Totalverbot ebenfalls ablehnen, ein Mindestmaß an Gebrauchs- und Handelsbeschränkungen.

Bei alldem sind Teilerfolge nicht von der Hand zu weisen, jedenfalls wurden mehr als 50 Millionen Anti-Personenminen bisher zerstört, und die Zahl der minenproduzierenden Länder sank von 54 auf 15. Seit 1997 flossen weltweit 1,2 Milliarden Dollar in sogenannte "Minenaktionsprogramme". Leider reichen diese Mittel bei weitem nicht, denn eine Mine zu legen, kostet einen Euro - ihre Beseitigung 1.000 Euro. Nach UN-Angaben sind derzeit etwa 110 Millionen Landminen in über 70 Ländern vergraben. Noch einmal die gleiche Anzahl von Minen lagert weltweit in den Waffendepots.


Die am meisten von Minen
betroffenen Staaten

LandMinen (in Mill.)

Ägypten23,0

Iran16,1

Angola9,0 - 15,0

Afghanistan10,5

Irak10,0

Kambodscha6,0

Vietnam3,5

Kroatien3,0


Das Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, besteht aus fünf Protokollen:

Protokoll I verbietet Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können.

Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper, den booby traps.

Protokoll III untersagt Brandwaffen wie Flammenwerfer und Napalm.

Protokoll IV (1995 vereinbart) verbietet Blendlaserwaffen, die eine Zerstörung der Netzhaut des menschlichen Auges bewirken.

Protokoll V (2003 vereinbart) fordert die Räumung ehemaliger Gefechtsfelder.



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