Verbannung eines Massenkillers

Vertrag gegen Streumunition In nur einem Jahr ist es gelungen, den Einsatz von Cluster-Bomben völkerrechtlich zu verbieten. Nur wenige Staaten machen nicht mit. Und auch Deutschland hat sich ein Hintertürchen offen gelassen

Zuletzt konnten selbst Problemstaaten wie Australien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und die Niederlande ins Boot geholt werden. Das war dem diplomatischen Geschick von Tagungspräsident Dáithí O´Ceallaigh zu verdanken, sonst Irlands Botschafter bei der UNO, aber auch den rund 200 Vertretern der Cluster Munition Coalition (Internationale Kampagne gegen Streumunition) im Konferenzzentrum von Oslo. In nur einem Jahr ist damit ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zum Verbot von Streubomben zustande gekommen, das die Signatarstaaten zwingt, eine extrem heimtückische Waffe aus ihren Arsenalen zu entfernen.

Seit Jahren steht fest: Es sind hauptsächlich Zivilisten, die Cluster-Bomben zum Opfer fallen - Bauern, die ihre Felder bestellen, Frauen beim Ernten und immer wieder Kinder, wenn sie Blindgänger für Spielzeug halten. Streu-Bomben oder -Granaten sind mit Submunitionen gefüllt, die Hunderte von Projektilen verbreiten. Deren Füllung kann noch einmal aus Splittergeschossen oder Minen bestehen. Blindgänger liegen oft jahrelang im Boden und detonieren bei der geringsten Berührung. Die US-Streitkräfte haben allein in Afghanistan 2001/02 (s. Übersicht) mehr als 1.200 Streubomben mit rund 250.000 Einzel-Sprengsätzen abgeworfen und sind im Irak- wie auch im Kosovo-Krieg ähnlich verfahren. Die Organisation Handicap International (s. Glossar) geht davon aus, dass weltweit 400 Millionen Menschen in mindestens 30 Ländern davon betroffen sind, dass inmitten scharfer Bomben leben, die unentdeckt den Boden verseuchen. Offiziell registriert wurden bisher etwa 14.000 Tote und Verletzte, doch schätzen Experten die wirkliche Zahl auf über 100.000.

USA und Russland blockieren noch

Nach dem Libanonkrieg im Jahr 2006, als die israelische Armee Cluster-Munition flächendeckend einsetzte, wuchs weltweit die Überzeugung, es ist genug - es muss einen Vertrag geben, um Streumunition zu verbieten. Trotz des Widerstandes einer Lobby von Waffenproduzenten und -händlern begannen Norwegen, Neuseeland, Österreich, Peru und Mexiko im Februar 2007 den "Oslo-Prozess". Seine Stationen waren neben der norwegischen Hauptstadt Lima, Wien, Wellington und Dublin, wo im vergangenen Mai die abschließenden Vertragsverhandlungen stattfanden. Irlands Außenminister Micheál Martin sagte nicht zu Unrecht, was erreicht wurde, "ist ein echter Beitrag zum humanitären Völkerrecht".

Der vorliegende Vertrag untersagt Gebrauch und Transfer von Streumunition, er verpflichtet dazu, die vorhandenen Bestände zu vernichten, verseuchte Gebiete zu räumen und den Opfern zu helfen. Wer unterschrieben hat, der darf außerdem Cluster-Waffen weder produzieren, entwickeln, erwerben, weitergeben oder lagern. Was von dieser Munition augenblicklich noch existiert, muss innerhalb von acht Jahren zerstört sein (eine längere Frist ist freilich möglich). NGOs vermerken erfreut, dass die von ihnen besonders kritisierten jahrelangen Übergangsfristen für das Verbot von Streubomben mit niedrigen Blindgängerquoten keine Akzeptanz fanden.

Die Räumpflichten sowie das Hilfsgebot für die von Streumunition heimgesuchten Länder werden sogar als bahnbrechend gelobt. So enthält der Vertragstext eine sehr weite Definition, die sowohl betroffene Einzelpersonen als auch deren Familien einschließt. Die Vertragsstaaten müssen sich um die medizinische Versorgung, physische Rehabilitation und um sozioökonomischen und psychologischen Beistand der Leidtragenden kümmern. Es gibt im Vertragstext eine detaillierte Liste mit Maßnahmen für alle jene Staaten, die Opfer zu unterstützen haben.

Blockiert wird der Vertrag bisher - und das trübt die Freude über den Erfolg - durch die größten Produzenten und Besitzer von Streumunition, die USA und Russland, aber ebenso China, Indien, Pakistan, Israel und Südkorea. Auch sind bestimmte Arten von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen, etwa sensorengesteuerte Punktzielmunition, mit elektronischen Selbstzerstörungsmechanismen ausgerüstete Minen wie auch Dispenserwaffen, mit denen Streumunition verschossen werden kann. Ebenso sind Entwicklung und Produktion neuer Bombentypen nicht vollends ausgeschlossen.

Für Deutschland gilt: 95 Prozent der Bestände an Streumunition müssen ausrangiert werden, aber Neubeschaffungen sind bereits anvisiert. Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de, sagte, die Bundeswehr habe sich bereits mit Rüstungsunternehmen wie Diehl und Rheinmetall auf die Fabrikation so genannter intelligenter Streumunition im Wert von über 500 Millionen Euro geeinigt.

Offenbar auf Druck aus Washington wurde in den Verhandlungen zu guter Letzt noch eine Klausel durchgesetzt, die den Vertrag in seinem Kern verletzt. Mit Artikel 21 wird den Vertragsstaaten erlaubt, an Militäraktionen mit Nicht-Vertragsstaaten teilzunehmen - also beispielsweise an NATO-Einsätzen mit den USA -, selbst wenn diese Streumunition einsetzen. Überdies dürfen US-Bomben weiter auf Militärbasen der NATO-Partner gelagert werden, was auch die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich gutheißt.

London setzt sich von Washington ab

Die britische Regierung hingegen hat bereits angekündigt, nicht nur ihr eigenes Streubombenarsenal abzubauen, sondern auch entsprechende US-Reservoirs von britischem Boden zu verbannen. Tom Casey, Sprecher des State Departments der USA, teilte dazu lediglich mit, man werde dem Abkommen nicht beitreten, Cluster-Bomben blieben für die eigenen Streitkräfte "von herausragender Bedeutung". Immerhin erließ Verteidigungsminister Robert Gates eine Anordnung, wonach künftig mindestens 99 Prozent der Sprengsätze einer Streubombe beim Einsatz detonieren müssen. Allerdings gilt diese Order erst ab 2018.

Dennoch lässt sich Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre den Erfolg nicht nehmen: "Wir haben ein starkes und umfassendes Abkommen erzielt. Das Verbot wird Streubomben mit inakzeptablen humanitären Konsequenzen gelten, was in der Praxis bedeutet, dass jegliche Streumunition, die bis zum heutigen Tag im Krieg benutzt wurde, jetzt verboten ist."

Wolfgang Kötter ist Konfliktforscher und Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam.

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