Push me, pimp me

Futurologe Bald dopen wir unser Hirn und optimieren unsere Kinder. Nick Bostrom findet das super
Ausgabe 23/2019
Frisch gezüchteter Mensch. So weit sind wir noch nicht. Dieses Bild ist ein PR-Stunt, der eine Netflix-Serie bewerben sollte
Frisch gezüchteter Mensch. So weit sind wir noch nicht. Dieses Bild ist ein PR-Stunt, der eine Netflix-Serie bewerben sollte

Foto: Glenn Chapman/Getty Images

Nick Bostrom ist Philosoph und Zukunftsforscher – und ein skeptischer Optimist. Weder fabuliert er Science-Fiction-Utopien herbei (die in Wahrheit Dystopien sind) wie der Transhumanist Ray Kurzweil, noch ist er ein theorieferner Fortschrittsapologet wie Steven Pinker, für den die Denker der Frankfurter Schule allesamt Schwarzmaler sind. Bostrom ist sich dennoch sicher, dass wir sehr bald schon posthumane Wesen sein werden – zumindest einige von uns.

In der lesenswerten Aufsatzsammlung Die Zukunft der Menschheit erklärt der in Oxford lehrende schwedische Philosoph und Futurologe, warum genau das auch wünschenswert ist, wenngleich Bostrom den Begriff „Fortschritt“ nicht mag. Denn dieser suggeriere, dass die Dinge besser werden. Nick Bostrom spricht lieber und neutraler von „technologischen Entwicklungen“. Die werden in naher Zukunft beispielsweise dafür sorgen, dass der Mensch 500 Jahre alt werden kann und dass Eltern ihre Kinder pränatal optimieren werden.

Alles Gute zum 170.!

„Sie haben soeben Ihren 170. Geburtstag gefeiert und sich nie besser gefühlt: Jeder Tag ist ein Fest. Sie haben völlig neue Kunstformen erfunden und sich dabei auf Ihre neu erworbenen Empfindungen und kognitiven Fähigkeiten gestützt. Sie hören immer noch Musik – aber eine, die so hoch über Mozart steht wie dieser über schlechter Fahlstuhlmusik“, verkündet Bostrom, um gleich darauf zu zeigen, dass dieses Denken gar nicht so radikal ist, wie es klingt. Schließlich wünsche sich jeder ein gesundes und langes Leben – selbst alte Menschen, belegen diverse Studien, wollen noch älter werden und musikalisch Hochbegabte optimieren ihr Spiel unaufhörlich.

Was also soll am „Enhancement“, der Erweiterung des Menschen durch Hirn-Doping, pränatale Eingriffe oder neurobiologische Manipulationen, schlimm sein? Auch im posthumanen Zeitalter, glaubt Bostrom, kann der Mensch seine Würde behalten: „Unsere Würde als Qualität wäre tatsächlich größer, wenn einige unserer Fähigkeiten größer wären, als sie es sind.“ Würdevoll sei es zum Beispiel, wenn ein Mensch in Stresssituationen die Ruhe bewahren kann – Sportler trainieren diese Fähigkeit. Doch was, wenn man einfach eine Pille einnimmt, um Gelassenheit herzustellen? Ist die ausgestrahlte Würde dann noch authentisch?

Ja, sagt Bostrom, doch muss die Entscheidung bewusst getroffen werden. Wer gerne ein ausgeglichener Mensch sein will und deshalb regelmäßig Psychopharmaka schluckt, handelt würdevoll und aufrichtig. Und die Würde dieser Person sei, da es sich beim Einnehmen von Medikamenten um eine freie Entscheidung handelt, gar noch größer als bei der Person, die von Natur aus gelassen reagiert.

Der Mensch ist für Bostrom immer schon ein Schöpfer seiner selbst, deshalb könne auch ein technisches Enhancement nicht verteufelt werden, wenn man etwa das Gehirn mit zusätzlicher Speicherkapazität ausstattet. Der Mensch will Grenzen überwinden, warum nicht auch die seiner biologischen Determiniertheit?

In einem beinahe schon provokant sachlichen Ton versucht der Autor, moralische Bedenken von Transhumanismuskritikern wie Jürgen Habermas oder Francis Fukuyama, die er „Biokonservative“ nennt, zu widerlegen. Wer will schon konservativ sein?

Doch möglicherweise ist ein Konservatismus, der sagt: „Bis hierher und nicht weiter“, heute notwendiger denn je. Zugleich könnte ein solcher Konservatismus – wie im Falle der Anti-Atomkraft-Bewegung – durchaus sehr links sein. Bostrom argumentiert zwar weitgehend sauber, problematisch aber ist das Weltbild, das seinen Argumentationen zugrunde liegt: Es ist ein utilitaristisches und szientistisches Weltbild. Was nützt, ist gut, und Probleme sind technisch lösbar, will dieses Buch weismachen, indem es reale Herrschaftsverhältnisse und kapitalistische Zusammenhänge völlig ausklammert. Doch wer wird sich das Brainhacking oder die Optimierung seiner Kinder leisten können?

Info

Die Zukunft der Menschheit. Aufsätze Nick Bostrom Jan-Erik Strasser (Übers.), Suhrkamp 2019, 209 S., 18 €

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