Bereit sein zur Attacke

Corbyn Niederlagen wie die von Labour sind keine Katastrophe. Aber im Kampf gegen reaktionäre Eliten fehlt vielen Linken noch eine Erkenntnis
Ausgabe 51/2019
Die neuen Bonapartisten
Die neuen Bonapartisten

Foto: Peter Nicholls/AFP/Getty Images

Das Jahrzehnt geht zu Ende und die Linke hat den Blues: Nichts, aber auch gar nichts scheint gegen Trump und Johnson, Bolsonaro und Salvini, Kaczyński und Orbán zu wirken. Keine sanfte Strategie der Anpassung, kein kultureller Linkskurs, kein kultureller Rechtskurs, kein sozialistisches Umverteilungsprogramm, kein Green New Deal, kein Wettbewerb um die Mitte – die Linke verliert, egal wo sie antritt, egal mit wem sie ins Rennen geht. Ob mit Hillary Clinton oder Jeremy Corbyn, ob mit Martin Schulz oder Alexis Tsipras, gegen Konservative und Rechtspopulisten scheint kein Kraut gewachsen. Schon gar nicht, wenn Konservative und Rechtspopulisten ein Bündnis eingehen. So rat- und trostlos beschreibt Zeit-Redakteur Robert Pausch die Lage der Linken nach Jeremy Corbyns Niederlage gegen Boris Johnson.

Doch er spart ein paar wichtige Dinge aus. Weder berücksichtigt er die politisch-ökonomische Entwicklung in den betroffenen Ländern noch analysiert er die Kräfte, die eine links-grüne Politik um jeden Preis verhindern wollen. Ohne die Einbeziehung dieser „Randbedingungen“ aber ist seine Analyse wertlos. Denn ohne sie bleibt die Bewertung linker Erfolgschancen eine Sache des bloßen Gefühls. Die einen werden glauben, mit „Rezepten aus der sozialistischen Mottenkiste“ sei kein Blumentopf zu gewinnen, die anderen werden behaupten, der Kandidat war der unbeliebteste seit der Steinzeit, und die dritten werden die Konzentration auf Minderheitenthemen verurteilen. All das dupliziert nur die Ratlosigkeit und verstärkt die Depression.

Viel entscheidender für das Finden der richtigen Strategie ist die Wahrnehmung der Veränderungen: Die fast 30-jährige Phase des Neoliberalismus, beginnend mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan, ist in der Finanzkrise an ihr Ende gekommen. Die Globalisierung stockt, die Produktivität stagniert, nennenswerte Profitraten können nur noch mit „unorthodoxen“ Methoden gegen das Interesse der Vielen an der Erhaltung der Lebensgrundlagen erzielt werden. In dieser Phase, die man als Pattsituation beschreiben könnte, setzt die Kapitalistenklasse auf sogenannte Bonapartisten wie Trump oder Johnson. Typische Kennzeichen des Bonapartismus sind das Bündnis von reaktionären Eliten und Mob, der unerbittliche Kampf der Exekutive gegen das Parlament (siehe Brexit und US-Impeachment) sowie die kriegerische Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Staaten (America first). Da Die neuen Bonapartisten (so der Titel eines Buches von Martin Beck und Ingo Stützle) die alten, unter Druck geratenen Industrien begünstigen, erlangen sie nicht selten auch die Zustimmung dort tätiger Mitarbeiter. Die neuen Wirtschaftszweige (IT, Öko etc.) brauchen dagegen noch Zeit, um die alten Industrien schöpferisch zu zerstören und sich machtpolitisch ganz oben festzusetzen.

Dieser Prozess des Übergangs wird von Krisen und gesellschaftlicher Unsicherheit begleitet. Den linken und grünen Parteien, die den Transformationsprozess gestalten wollen, schlägt deshalb viel Misstrauen entgegen. Fahren sie das Ding vor die Wand? Überschätzen sie ihre Kräfte? Sind es nicht Ideologen, die vom wirklichen Leben keine Ahnung haben? Die Bonapartisten und ihre Helfer schüren solche Ängste. Ihr autoritäres und ungehobeltes Gehabe kann die Vorstufe zur Zerstörung der Demokratie sein oder es füllt nur die bleierne Zeit vor dem endgültigen Durchbruch einer Politik, die den öko-sozialen Anforderungen genügt. Beide Entwicklungen sind möglich. So weit die Ausgangsposition.

Wie aber sollen Linke auf den Bonapartismus reagieren? Gibt es ein Rezept? Nein. Ein historischer Kompromiss zwischen Konservativen und Linken zur Eindämmung des Bonapartismus ist unter Umständen genauso sinnvoll wie das Werben für einen öko-sozialistischen Green New Deal. Resigniert haben nur diejenigen, die sich einreden lassen, sie müssten sich hier und jetzt für die Beschäftigten der Kohleindustrie oder für die Einrichtung von Transgender-Toiletten entscheiden. Anders formuliert: Wahlniederlagen sind keine Katastrophe, solange die Richtung stimmt. Das vom jüngsten SPD-Parteitag beschlossene Sozialstaatskonzept ist langfristig wichtiger als die Frage, ob Saskia Esken so „unbeliebt“ wie Jeremy Corbyn ist (der doch die Menschen 2017 zu Freudengesängen hinriss und die Mitgliederzahl seiner Partei verdoppelte).

Worauf sich linke Parteien aber einstellen müssen, ist die Tatsache, dass politische Auseinandersetzungen härter werden. Denn Bonapartisten scheuen sich nicht, skrupellose „Dienstleister“ wie Dominic Cummings oder Steve Bannon als Chefstrategen für ihre Wahlkämpfe einzukaufen. Diese „dunklen Meister“ des „Negative Campaigning“ schaffen es, selbst den anständigsten Linkspolitiker mit Schmutzkampagnen in den Dreck zu ziehen. Milliardenschwere Finanziers und niederträchtige Medien helfen dabei nach Kräften.

Das Ausmaß der Anti-Corbyn-Kampagne sollte den Linken zu denken geben; nicht in dem Sinne, dass sie ihn nun genauso zum Versager stempeln wie viele Journalisten. Sie sollten vielmehr den Schluss daraus ziehen, dass Linke künftig aggressiver zurückschlagen müssen. Dass sie Verunglimpfungen nicht mehr wegstecken und unverschämte Suggestivfragen in Talkshows nicht mehr mit Wohlverhalten zuzudecken hoffen. Sie müssen auch bereit sein zur Attacke.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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