Das etwas andere Finale

Schwarze Zukunft Die Entfremdung zwischen CDU und CSU zeugt vom Ende der Volksparteien
Ausgabe 25/2018
Die CSU will nicht wahrhaben, dass sie für eine „konservative Revolution“ bereits zu schwach ist
Die CSU will nicht wahrhaben, dass sie für eine „konservative Revolution“ bereits zu schwach ist

Foto: Argum/Imago

Vor 30 Jahren klagte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, das deutsche Asylrecht sei „zum Einfallstor für eine uferlose Einwanderung geworden“. Seine CSU empörte sich über den „Asyltourismus“. Die bayerische Staatsregierung wollte sogar das Grundgesetz ändern: Asylbewerber sollten gegen Ablehnungsbescheide nicht mehr klagen können. Doch der Populismus der CSU regte weit weniger Menschen auf als heute.

Im Sommer 1995 polterte die CSU gegen das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie startete eine Kampagne „für das christlich-abendländische Bollwerk Bayern“ und erklärte das Kreuz kurzerhand zum staatsbayerischen Identifikationssymbol. Damals kämpften die heimischen Eliten noch an der Seite der CSU: die katholische Kirche, die Regionalpresse, die Vereins- und Verbandshonoratioren. Wenn heute Bayerns Ministerpräsident Markus Söder eine „Kreuzpflicht“ für Amtsstuben anordnet, distanziert sich sogar der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz. Söder „instrumentalisiere“ das Kreuz für Parteizwecke und „spalte“ so die Gesellschaft. Warf die Süddeutsche Zeitung früher vorwiegend ironische Blicke auf die CSU, geißelt sie heute die Staatspartei pathetisch als „Sicherheitsrisiko für die Zukunft Deutschlands“. Nein, die CSU hat sich nicht verändert, die Menschen und das Land sind anders geworden.

Im Grunde begann die Krise der CSU mit der deutschen Einheit. Aus der Randlage am Eisernen Vorhang, der Bayern während des Kalten Krieges Schutz vor fremden Einflüssen bot, wurde über Nacht ein offenes, zentraleuropäisches Durchgangsgebiet. Die Zuwanderung aus dem Osten und dem Süden ins bayerische Wohlfahrts-„Paradies“ veränderte die alteingesessenen Milieus. Die rasche Verwandlung des einstigen Agrarstaats in ein Dienstleistungs-, Forschungs- und Hochtechnologieland riss die Menschen aus ihren Traditionen. Die Folgen von Modernisierung und Globalisierung ließen sich nicht mehr mit Folklore, Marienbildchen und billigen Aschermittwochsreden zudecken.

Der ökonomische Erfolg untergrub auch die bauernschlaue CSU-Politik: In den Bundesregierungen hatten sich die CSU-Minister immer jene Ministerien gesichert, die über die größten Investitionshaushalte verfügten: Verkehr, Bau, Post, Verteidigung, Landwirtschaft, Finanzen. Das lenkte viel Geld in den Freistaat. Doch Korruption und Skandale („Amigo-Affäre“) nagten am Image. Überteuerte Projekte planierten die Voralpen-Idylle wie der Franz-Josef-Strauß-Flughafen das Erdinger Moos. Aus dem Nehmerland Bayern im Länderfinanzausgleich wurde nach 1990 ein Geberland für unfähige „Nordlichter“. Die CSU sah sich in der Rolle einer „Lega Süd“, die den Norden mit durchfüttern musste. Doch der offen zur Schau getragene Wohlstandschauvinismus ließ die Sympathien für die CSU schwinden. „Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat“, brauchte jetzt einen Heimatminister Söder, der die Entfremdung zwischen Staatspartei und Bürgern kaschieren sollte. Es half nichts. Zwischen 1990 und 2017 verlor die CSU ein Viertel ihrer Mitglieder, ihre Netzwerke im vorpolitischen Raum dünnten aus. Heute ist die Partei überaltert, der Frauenanteil liegt bei 20 Prozent. Am deutlichsten zeigt sich der Verfall an den Wahlergebnissen. Bei der Bundestagswahl 2017 fiel die CSU erstmals seit 1949 unter 40 Prozent. Ohne diese „Katastrophe“ kann man den Asyl-Konflikt nicht verstehen.

Marktkonform bis zuletzt

Ähnlich prekär, aber ganz anders gelagert ist die Situation der CDU: Die Schwesterpartei hat sich seit der Jahrtausendwende bis zur Unkenntlichkeit verändert. Sie hat alle Kernanliegen der Konservativen und Nationalliberalen pulverisiert und sich den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst: vom Nein zur Atomkraft bis zur Ehe für alle. Sie hat sich den Erfordernissen der Globalisierung unterworfen und alles Verstockte und Verstaubte aus der Partei verbannt. Die marktkonforme Demokratie benötigte eine marktkonforme CDU: tolerant, kompromissbereit, flexibel und so unspektakulär wie ihre Repräsentanten Angela Merkel, Peter Altmaier, Hermann Gröhe, Peter Tauber, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet, Julia Klöckner. Einen „Stahlhelm-Flügel“ gibt es nicht mehr. Doch auch der Anpassungskurs der CDU war nur mäßig erfolgreich. Die Partei verzeichnete nach 1990 ähnliche Verluste an Mitgliedern und Wählerstimmen wie die bayerische Schwester.

Es ist deshalb völlig unerheblich, ob der Asylkonflikt – wie beschlossen – für ein paar Wochen „stillgelegt“ wird. Die Entfremdung zwischen den Unionsschwestern hat einen Punkt erreicht, an dem eine konfliktfreie Verständigung über zentrale Fragen nicht mehr möglich ist. Es genügt eine Nebensächlichkeit wie der 63. Punkt im Seehofer’schen Masterplan, um die Fraktionsgemeinschaft in Frage zu stellen. Wir sehen also tatsächlich ein „Endspiel“, aber es ist nicht das „Endspiel“, das Söder meint. Es ist das Endspiel seiner Partei, die sich verzweifelt an die Vorstellung klammert, sie habe ihre Sonderstellung direkt vom Herrgott empfangen und dürfe allen Ungläubigen deshalb Strafe androhen.

Die CSU will nicht wahrhaben, dass sie für eine „konservative Revolution“ bereits zu schwach ist. Ihr Niedergang als Regionalpartei ist unausweichlich. Schon 1990 hat sie durch die Vergrößerung der Bundesrepublik an politischem Gewicht eingebüßt, nun verliert sie zusätzlich durch Regierungen, die aus vier oder mehr Parteien gebildet werden müssen. Steigt die CSU aus, ist schnell Ersatz gefunden. Doch auch die Zukunft der CDU sieht nicht rosig aus. Sie erleidet – wie der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck feststellte – das gleiche Schicksal wie die SPD, „mit einer Zeitverzögerung von 15 Jahren“. Durch Überanpassung verliert sie Wähler auf beiden Seiten. Die Ära der traditionellen Volksparteien scheint auch in Deutschland zu Ende zu gehen.

Wenn aber der Streit zwischen Merkel und Seehofer beide Unionsparteien gefährdet, wer ist dann der lachende Dritte? Die SPD? Wohl kaum. Sie muss die unionsintern ausgehandelten Kröten schlucken oder die Koalition unter Protest verlassen. Entweder sie handelt prinzipienlos, oder man kreidet ihr das Scheitern der Regierung an. All jene, die Andrea Nahles und Olaf Scholz vor der GroKo gewarnt haben, bekommen schneller recht als ihnen lieb ist.

Können die Grünen profitieren? Auch das ist unwahrscheinlich. Sie verteidigen ihr Idol Angela Merkel und sind wild entschlossen, selbst als Oppositionspartei mit der Kanzlerin unterzugehen.

Die AfD aber hält sich mit Triumphgeheul zurück. Anders als Christian Lindners FDP gießen Alexander Gauland und Alice Weidel weder Öl ins Feuer noch stellen sie sich demonstrativ auf die Seite der CSU. Die AfD hat keinerlei Interesse an einer Lösung des Konflikts, sie möchte, dass er weiter vor sich hin köchelt. Würde die Kanzlerin jetzt stürzen, fehlte der Rechtsaußenpartei die Garantin ihres Höhenflugs. Ohne das Feindbild Merkel kein Erfolg bei den nächsten Landtagswahlen.

Ein flottes Bollwerk

Bleiben Jens Spahn und die Konservativen in der CDU. Spahn sammelt hinter den Kulissen bereits fleißig Sympathiepunkte und Verbündete. Seine Hausmacht ist freilich noch klein, seine Beliebtheit gering. Eine angeschlagene, im Amt verbleibende Angela Merkel, die zu schwach ist, ihre Nachfolge zu regeln, würde Spahn am ehesten nützen und die Konkurrenz aus dem Merkel-Lager beeinträchtigen.

Darauf setzen auch Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Von Hauptstadtjournalisten wird derzeit verbreitet, die beiden wollten Horst Seehofer aufwiegeln und in sein Unglück rennen lassen. Anschließend könnte Dobrindt den CSU-Vorsitz übernehmen und einen Preis für das Einlenken der CSU im Asylkonflikt verlangen. Diese Räuberpistole ist aber wohl nur eine Warnung staatstragender Journalisten an Seehofer, er möge seine „Schmutzeleien“ gegen die Kanzlerin einstellen, sonst werde es ihm schlecht ergehen.

Sicher ist, dass das Trio Spahn, Dobrindt, Lindner seit den geplatzten Jamaika-Verhandlungen an einer gemeinsamen Machtperspektive für die Nach-Merkel-Ära arbeitet. Die drei „Jungpolitiker“ – alle unter 50 – sind überzeugt davon, eine Wiederannäherung der Unionsschwestern bewerkstelligen zu können und das bürgerliche Lager unter Einschluss der Liberalen neu zu formieren. Nebenbei würden sie die Anschlussfähigkeit Deutschlands an ein konservativ gewendetes Europa ermöglichen, die skeptischen Eliten mit Donald Trump versöhnen und die am Horizont auftauchende linke Sammlungsbewegung rechtzeitig neutralisieren. Dann wäre Deutschland ein ungemein flottes christlich-abendländisches Bollwerk.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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