Das Kegelrobbenbaby wartet schon

Union Mit welchem Kanzler und mit welchem CDU-Vorsitzenden ließe sich grüne Politik wohl am besten umsetzen?
Ausgabe 30/2020
Eigentlich sollte sich zu diesem Zeitpunkt der Inszenierung noch eine Chiemsee-Forelle aus den Wogen erheben
Eigentlich sollte sich zu diesem Zeitpunkt der Inszenierung noch eine Chiemsee-Forelle aus den Wogen erheben

Foto: Peter Kneffel/AFP/Getty Images

Der Sommerloch-Reigen des Jahres 2020 geht so: Laschet runterschreiben, Söder hochschreiben, Spahn nach vorn bringen, aber von Laschet trennen, Merz aus der Versenkung holen, kurz mit Röttgen antäuschen, Laschet rehabilitieren, Söder relativieren, Spahn abservieren und dann alles wieder von vorn. Der Vorteil: Die Union ist immer im Gespräch. Und wenn es doch mal langweilig wird, erfindet man schnell ein „Szenario“, das irgendwo „in CDU-Kreisen“ kursieren soll.

Die Personaldebatte ist das, was die CDU für Medien interessant macht, inhaltlich gibt es wenig Aufregendes zu berichten. Jetzt aber kopieren die Grünen dieses Muster, indem sie mal Habeck, mal Baerbock in den Vordergrund rücken. Bei Schwarzen und Grünen läuft eine Art Wettbewerb um das schönste Bild. Zuerst wanderten Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck durch das Naturschutzgebiet „Stiftungsland Schäferhaus“ (früher bekannt als Truppenübungsplatz „Jägerslust“) und ließen sich im Gras ablichten, während neugierige Konik-Pferdchen zutraulich zu ihnen hinunterwieherten. Diesen Politkitsch toppte Markus Söder wenige Tage später mit einer ausgefeilten Herrenchiemsee-Inszenierung, die eine Überfahrt im Kahn, eine Kutschfahrt zum Schloss und eine prunkvolle Kabinettssitzung im Stile Ludwigs II. zu einer politischen Großerzählung verknüpfte: Der bayerische Kurfürst macht der Kaiserin den Hof. Dagegen fielen der grüne Janker, die grüne Krawatte und die grünen Topfpflanzen, die Friedrich Merz bei seiner schwarz-grünen Videoansprache ins Bild rückte, recht mager aus. Und die gute, aber sehr kleine Figur, die Armin Laschet am 14. Juli als Ehrengast des französischen Staatspräsidenten Macron auf der Place de la Concorde machte, war den hiesigen Medien kaum eine Erwähnung wert.

Die Kretschmannisierung

Laschet wird boykottiert, während Söder, vor Kurzem noch der oberste Kotzbrocken der Talkshows, zum obersten Medienliebling aufstieg. Mitte August will er mit Günther durchs Wattenmeer stapfen, und ganze Heerscharen von Fotografen werden dann darauf warten, dass Söder führungsstark ins Brackwasser greift, ein Kegelrobbenbaby knuddelt oder beim Anblick einer Pantoffelschnecke den berühmten Merkelsatz fallen lässt: In der Ruhe liegt die Kraft. Vorgeahnte Bild-Schlagzeile: „Söder kann es! Fast alle Deutschen sind davon überzeugt“.

Die „Gleichschaltung“ von Schwarzen und Grünen mit den Mitteln der Bildsprache soll den Eindruck erwecken, eine schwarz-grüne Koalition sei das Natürlichste von der Welt, ein im Grunde seit Urzeiten vorherbestimmtes Traumbündnis. PR-technisch geschickt wird Konrad Adenauers Wahlspruch „Keine Experimente“ aus dem Jahr 1957 auf ein bürgerlich-stabiles Schwarz-Grün übertragen. Dazu passt, dass den Entwurf des neuen grünen Grundsatzprogramms ein christlich-konservativer Titel ziert: „... zu achten und zu schützen ... Veränderung schafft Halt“.

Der Programmentwurf, der parallel zum CDU-Parteitag Ende 2020 verabschiedet werden soll, richtet sich gezielt an Wechselwähler und versteht sich als „Einladung für neue Bündnisse“. Er besteht aus 383 lose aneinandergereihten Textschnipseln und bietet ein Potpourri aus Buzzwörtern und Plattitüden wie „Alleine schafft es niemand“ oder „Wir streben nach einem gemeinsamen Wir“. Um konservative Wähler erfolgreich abwerben zu können, vielleicht auch, um misstrauische Konservative einzulullen, gehen die grünen Programmmacher bis an die Grenzen der Selbstverleugnung. Sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kann trotz verzweifelter Suche keinen Ansatzpunkt für eine Generalabrechnung finden. „Konkrete Ansätze fehlen ...“, heißt es resignierend, und: „Es mangelt an Präzision und an Wegen der Umsetzung.“ Die konservative FAZ spottete sogleich, das Programm habe wohl „mehrere Waschgänge mit Weichspüler hinter sich“.

Im Zentrum der grünen Programmatik steht der europäische „Green Deal“, der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende 2019 vorgestellt wurde und die EU bis zum Jahr 2050 „klimaneutral“ machen soll. In diesem „Green Deal“, einem konservativ geprägten Regierungsprogramm, das wenig gemein hat mit dem linken Projekt eines „Green New Deal“, sehen die heutigen Grünen den passenden „Ordnungsrahmen einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“. Das heißt, sie reduzieren ihren einstigen Anspruch, eine umfassende Transformation der kapitalistischen Wirtschaft ins Werk zu setzen, auf die von grünen Konservativen wie Herbert Gruhl oder christlichen Wirtschaftswissenschaftlern wie Hans Christoph Binswanger vor 40 Jahren propagierte „sozial-ökologische Marktwirtschaft“. Man könnte diese Rückwendung der Grünen auch als „Kretschmannisierung“ bezeichnen.

Winfried Kretschmann, seit fast zehn Jahren Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte die Grünen 1979 mitgegründet und ihre überstürzte Linkswende Anfang der achtziger Jahre stets bedauert. Bereits 2013, so Kretschmann, habe Angela Merkel den Grünen eine Koalition angeboten, sei aber am grünen Beharren auf einer Vermögenssteuer gescheitert. Kretschmann würde diesen letzten verbliebenen „Knackpunkt“ gern abräumen, doch im grünen Grundsatzprogrammentwurf ist er weiterhin enthalten. Es ist im Übrigen die einzige Forderung, die der Bundesverband der Deutschen Industrie voller Empörung zurückweist. Besteht Kretschmann die Landtagswahl am 14. März 2021 mit Bravour und bleibt Ministerpräsident, kann er bei den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl ein gewichtiges Wort mitreden. Sein schwarz-grünes Credo hat er bereits in Buchform präsentiert: Worauf wir uns verlassen wollen. Für eine neue Idee des Konservativen.

Bleibt die Frage: Mit welchem Kanzler, mit welchem CDU-Vorsitzenden ließe sich grüne Politik am besten umsetzen? Vulgärmarxistisch betrachtet ist die Antwort einfach: Hinter Söder steht die Autoindustrie, hinter Spahn die Pharmaindustrie, hinter Merz die Finanzindustrie, hinter Röttgen die NATO und hinter Laschet stehen ... die Küchenbauer Nordrhein-Westfalens. Am besten wäre es also, mit Armin Laschet zu regieren. Er ist der teamfähigste Kandidat, er hätte die für das Gedeihen der EU erforderliche Nähe zu Frankreich und er würde den Grünen – schon um Söder zu ärgern – sogar heilige CSU-Pfründe wie das Verkehrsministerium überlassen. Neben Laschet dürften die Grünen glänzen.

Exzellenter Wahlverlierer

Mit Markus Söder hätten sie dagegen nichts zu lachen. „Es gibt keinen Anlass, jetzt Schwarz-Grün zu propagieren“, knurrte der bayerische Ministerpräsident nach seiner verheerenden Wahlniederlage am 14. Oktober 2018. Trotz größter Bereitschaft der Grünen koalierte er – aus purer Bequemlichkeit – mit den Freien Wählern. Söder, in vielen Medien grundlos als Gewinnertyp gepriesen („Vom Haudrauf zum Hoffnungsträger“), fuhr als Spitzenkandidat das zweitschlechteste CSU-Ergebnis der Geschichte ein – und inszeniert sich seither aus reinem Opportunismus als supergrüner Landesvater. Neben Söder bliebe den Grünen wenig Spielraum. Im Kabinett säßen sie am Katzentisch.

Jens Spahn aber, in einem „brandneuen Szenario“ zum CDU-Chef unter Kanzler Söder geadelt, hätte – mit dem Kainsmal des „Laschet-Mörders“ versehen – keinen guten Stand, weder in der Christen-Union noch in der Bevölkerung, auch wenn ihn Wolfgang Schäuble mit Lobeshymnen überschüttet. Seine Rolle in der Corona-Krise war auch bei Weitem nicht so überragend, wie es manche Medien darstellen. Zwar klingt sein Gerede vom neuen „Corona-Patriotismus“ und vom „beschützenden Staat“ („Wir brauchen ein modernes Wir-Gefühl“) ganz nach den Wohlfühlphrasen des grünen Grundsatzprogramms, aber als ausgleichender Makler zwischen Söder und Baerbock wäre auf ihn kein Verlass.

Bei Friedrich Merz wiederum sitzt Schwarz-Grün zwar „am Frühstückstisch“, aber im Talkshow-Sessel macht er gegenüber dem grünen Nachwuchsstar Luisa Neubauer („Fridays for Future“) keine gute Figur. Als Vermögensverwalter mag er in gewissen Kreisen (sowie bei Spiegel und Springer) gut gelitten sein, doch als Politiker bewegt er sich unbeholfen und gestrig. Norbert Röttgen schließlich ist ein exzellenter Wahlverlierer. Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2012 erzielte er das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Landes-CDU. Lange galt er als „Muttis Klügster“, aber seine Hausmacht ist schmal und der Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss führt in Trump-Zeiten selten zu positiven Schlagzeilen. Als Ex-Umweltminister stünde er den Grünen nahe, doch um grüne Themen kümmern sich die Grünen lieber selber.

Egal, welcher Unionskandidat im Herbst 2021 auf die Grünen zugehen wird, einen Faktor unterschätzen alle: den Faktor SPD. Wird Olaf Scholz der Spitzenkandidat seiner Partei, hätte die Union die Wahl: entweder mit dem bewährten Vizekanzler weiterzuregieren oder das unkalkulierbare Risiko einzugehen, grüne Minister*innen für bürgerlich-konservative Wähler noch attraktiver zu machen. Mit der Drohung „Weiter mit Scholz“ könnte die Union die Grünen in Koalitionsverhandlungen kurzhalten. Anders gesagt: Hätte die SPD die versprochene Linkswende 2019 durchgezogen, müsste die Union 2021 mit den Grünen koalieren oder auf eine stabile Kanzlerschaft verzichten. Die Grünen hätten dadurch eine bärenstarke Verhandlungsposition. So aber verhilft die Scholz-SPD der Union zu einem bequemen Ausweg. Die Politik des Stillstands würde verlängert.

Schuld daran trügen diejenigen, die in der SPD gern den Mund spitzen, aber nicht zu pfeifen wagen. Also diejenigen, die den Bruch mit der GroKo ein ums andere Mal versäumten. Auch die erstrebte Erneuerung der SPD unterbliebe. Denn eine Fortsetzung der Großen Koalition würde Linke und Grüne gleichermaßen ausbremsen.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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