Immer wenn sich die Lösung eines Problems als besonders zäh und schwierig erweist, taucht mit Sicherheit ein guter Mensch auf und bietet an, den gordischen Knoten mit einem gezielten Hieb zu durchschlagen. Dieser gute Mensch stammt in unserem Fall aus den Niederlanden und heißt Joost Smiers. Zusammen mit seiner Kollegin Marieke van Schijndel hat der an der Kunsthochschule Utrecht lehrende Politikwissenschaftler eine Streitschrift verfasst, in der die beiden Autoren unbefangen und frech erklären, das beste Urheberrecht sei gar kein Urheberrecht.
Potzdonner! Das lässt einen aufhorchen. Und man denkt, die Welt könnte so einfach sein, wenn die Leute nur den Mut hätten, die Verhältnisse, die als unantastbar gelten, radikal infrage zu stellen. Oder, wie es die proletarische Comicfigur Werner mit einer Pulle Flens in der Faust auszudrücken pflegte: „Hau wech den Scheiß!“
Oh Gott, werden unsere politischen Bedenkenträger sofort sagen, geht das denn? Können Urheber ohne ein komplexes Urheberrecht überhaupt atmen, leben und ordentlich Geld verdienen? Ja, es geht, sagen Smiers und van Schijndel. Es geht sogar besser als mit Urheberrecht.
In ihrer Beweisführung umreißen die Autoren vier klare Gedanken: 1. Das Urheberrecht sei nichts anderes als ein frivoler Deck- und Tarnname der Verwerterindustrie, um die Künstler besser ausbeuten zu können. 2. Alle gut gemeinten Ratschläge für eine Reform des Urheberrechts würden die Lage nur verschlimmbessern. Es sei absolut vergebliche Liebesmüh, ein untaugliches Recht irgendwie retten zu wollen. 3. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, die verhindern, dass sich marktbeherrschende Verwerter bilden können. Alles Übrige regle der Markt. 4. Es gibt schon Wege ins Paradies.
Ausgeblendet
Nimmt man diese stringente Beweisführung genauer unter die Lupe, wird es aber doch wieder komplizierter. Denn die Autoren haben sorgfältig ausgeblendet, was ihre Argumentationskette stören könnte.
Smiers und van Schijndel gehen davon aus, dass kreative Schöpfungen zum Allgemeingut der Menschheit gehören und deshalb auch nicht privatisiert werden sollten. Jeder Mensch müsse zu jeder Zeit auf die Schöpfungen der anderen zugreifen und sie nutzen und verändern können. Schließlich stünden wir auf den Schultern von Riesen, und das heißt, all unsere Werke sind in Wahrheit kollektive Schöpfungen der bisher lebenden Generationen. Ein Urheberrecht, das diese tiefe (und banale) Wahrheit leugne und die Wissbegier der Menschen durch exklusive Verwerterrechte, Urheberpersönlichkeitsrechte und drakonische Strafen einenge und von jeglicher Kommunikation abschneide, sei nichts anderes als Zensur. Es fessle die Gesellschaft und hindere sie an ihrer Entfaltung. Ja, selbst den Künstlern verschaffe das Urheberrecht kein ausreichendes Einkommen. Es schütze letztlich nur die Profite der „Kreativindustrie“ und die Interessen einiger Superstars.
Smiers und van Schijndel treiben ihre Dämonisierung des Urheberrechts schließlich so weit, dass sie allen Ernstes (und auch ein bisschen wahrheitswidrig) behaupten, niemand dürfe unter dem Regime des bestehenden Rechts etwas schreiben, filmen oder spielen, das auch nur „in einem winzigen Detail“ an ein früheres Werk erinnere oder erinnern könnte. Allein der Rechteinhaber habe darüber zu bestimmen, was mit einem Werk gemacht werden darf. „Wir anderen dürfen dem Werk also zum Beispiel nicht widersprechen.“ (sic!)
Und damit auch keiner auf die Idee kommt, das Urheberrecht durch Reformen doch wieder salonfähig zu machen, entlarven die beiden Autoren im zweiten Schritt alle gut gemeinten Versuche als „unbefriedigende Alternativen“. Dazu zählen sie die Vorschläge der Piratenpartei ebenso wie die Ausweitung der sogenannten Schrankenregelungen (Fair Use, Tauschlizenz, Kulturflatrate) die Einführung von Creative Commons-Lizenzen oder die Stärkung der Urheber gegenüber ihren Verwertern.
Zwischen Wahn und Märchen
Sämtliche Anstrengungen, das Urheberrecht an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts anzupassen, könnten „die grundsätzlichen und praktischen Probleme nicht lösen“. Heraus kämen allenfalls Flickschusterei, verwirrende Paragrafen und staatlich verordnete Bürokratie. Warum sollte man derart unsinnige Irrwege einschlagen? „Es gibt nämlich ein besseres Instrument, um sehr vielen Künstlern und ihren Werkmittlern zu einem angemessenen Einkommen zu verhelfen und zugleich sicherzustellen, dass unser an frei zugänglicher künstlerischer Kreativität und an frei nutzbarem Wissen reiches Gemeinwesen nicht privatisiert wird. Dieses Instrument ist der Markt.“
Holla! Mit dieser unerwarteten Lösung verblüffen uns die beiden Autoren, die wir bis dahin eher zu den Utopisten und idealistischen Schwärmern gerechnet hätten. Smiers und van Schijndel plädieren dafür, den Markt nach der Abschaffung des Urheberrechts allein über das bestehende Wettbewerbsrecht zu regulieren. Wollen uns die beiden damit veräppeln? Wollen sie das Übel – wie Till Eulenspiegel – mit den eigenen Waffen schlagen? Nein, Smiers und van Schijndel glauben fest daran, dass sich durch eine konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts – das eine Zerschlagung beziehungsweise Entflechtung marktbeherrschender Konzerne beinhaltet – Chancengleichheit und Gerechtigkeit herstellen ließe.
Für Urheber und Verwerter sollten „level playing fields“ geschaffen werden, was sich zunächst so anhört wie eine Mischung aus tabula rasa und kambodschanischer Umerziehung. Alle Marktteilnehmer hätten – ähnlich wie nach einer Währungsreform – das gleiche Startkapital zur Verfügung und könnten damit munter drauflos produzieren. Da jeder in diesem wahrhaft freien Markt jedes Werk kopieren, verändern und verwerten dürfte, entstünde mit der Zeit eine kreative Vielzahl von Kleinunternehmen und Kleinkünstlern. Konzerne könnten sich nicht bilden, da sie – mangels Urheberrecht – keine exklusiven Schutzrechte an sich reißen können. Der freie Markt, die sozialen Netzwerke und die gesellschaftliche Moral würden außerdem dafür sorgen, dass Diebe, Betrüger und Trittbrettfahrer entlarvt und an den Pranger gestellt würden. Fairness würde so belohnt, Qualität würde sich durchsetzen.
Das klingt für manche wie ein Märchen, für andere wie heller Wahn, doch genau mit dieser naiven „Schockstrategie“ wollen die Autoren einen „Paradigmenwechsel“ beim Nachdenken über das Urheberrecht erzwingen. Einige Beispiele, die sie im vierten Kapitel anführen, sollen den Ruf nach Abschaffung des Copyrights untermauern.
Es ist zu hoffen, dass dieses tollkühne Buch, das in den Niederlanden bereits vor drei Jahren erschienen ist, der festgefahrenen Debatte in Deutschland wieder neues Leben einhaucht. Denn wer so fröhlich die kapitalistische Logik ignoriert, die Kräfte des Marktes idealisiert und an die Anständigkeit einer urheberrechtslosen Gesellschaft glaubt, dem muss man einfach zuhören – mit einem leisen und wehmütigen „Yes, we can“ auf den Lippen.
No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht Marieke van Schijndel, Joost Smiers, aus dem Niederländischen von Ilja Braun, Alexander 2012, 168 S., 9,95 € Wolfgang Michal bloggt auf carta.info
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.