Die Als-ob-Regierung

Große Koalition Nach außen wollen Union und SPD den Eindruck erwecken, sie seien grundverschieden. In Wahrheit sind ihre Funktionseliten zu einer soliden Mittepartei verschmolzen
Ausgabe 13/2018
Und alle so: "Yeaahh!"
Und alle so: "Yeaahh!"

Foto: Tobias Schwarz/Getty Images

Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne“, schrieben die Leitartikler vergangene Woche. Mit rückwärtsgewandten Scheingefechten um Armut, Islam und Abtreibung sei der Start der neuen GroKo missglückt.

Genau das aber könnte deren Erfolgsrezept sein: Scheindebatten zulassen, während der Apparat weiterregiert wie bisher. Für die Opposition im Bundestag und die Zuschauer an den Endgeräten wird das Stück „lebendige Demokratie“ aufgeführt. Die Regieanweisung steht ganz vorn im Koalitionsvertrag: „Wir streben einen politischen Stil an, der die öffentliche Debatte belebt, Unterschiede sichtbar lässt und damit die Demokratie stärkt.“ Soll heißen: Bevor die Opposition echten Streit anzetteln kann, fliegen in der Regierung schon die Fetzen. CDU, CSU und SPD werden ihr Ringen um Profil als „offene“, „ehrliche“ und „transparente“ Politik verkaufen. Man könnte auch sagen: Sie tun ein bisschen so, als ob sie unterschiedlicher Meinung wären.

Die Als-ob-Methode funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Alle Regierungsparteien versprechen, die „soziale Spaltung zu überwinden“ und „den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken“. Keine Phrase war zuletzt häufiger zu hören. Zum Beweis wird die neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ins Rampenlicht geschoben. Doch in Wahrheit unternimmt die Regierung so gut wie nichts gegen die Spaltung. Bis heute versteht sie nicht, warum sich die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen 20 Jahren – unter SPD- wie CDU-Regierungen – so weit geöffnet hat. Sie verdrängt die Zusammenhänge. Als die Gehälter des VW-Vorstands 2017 um 25 Prozent stiegen, ging das nur, weil VW in Deutschland für den Dieselbetrug nie belangt wurde. Als der vierköpfige Vorstand des Axel-Springer-Konzerns für 2017 31,7 Millionen Euro einstreichen konnte, schusterte ihm die neue GroKo auch noch eine Senkung der Sozialabgaben für Zeitungsausträger zu. Deren Mini-Renten werden jetzt noch kleiner ausfallen. Als Wundpflaster verteilt Arbeitsminister Hubertus Heil ein paar Lohnzuschüsse.

Die Regierung erklärt, sie wolle, um die Demokratie vor den Autokraten dieser Welt zu retten, „mehr Verantwortung übernehmen“. In Wirklichkeit folgt sie nur den NATO-Vorgaben. Der Etat der Bundeswehr steigt bis 2021 um 14 Prozent auf 42,2 Milliarden Euro, die Auslandseinsätze werden ausgeweitet, die Rüstungsexporte an die Krieg führenden Nicht-Demokratien Saudi-Arabien und Türkei laufen unbehindert weiter. Deutschland darf sich nicht „wegducken“, sagt Außenminister Heiko Maas.

Nach außen wollen die Regierungsparteien zu Demokratiebelebungszwecken den Eindruck erwecken, sie seien grundverschieden, doch in Wahrheit sind ihre Funktionseliten zu einer soliden Mittepartei verschmolzen. Dieser Mitte geht es weniger um ein sozialeres und demokratischeres Europa als um die Wahrung deutscher Interessen. Welchem EU-Projekt der Vorzug gegeben wird – der Schaffung einer gemeinsamen Interventionsarmee mit angeschlossener Grenzschutzpolizei (Fürsprecher: von der Leyen/Seehofer) oder der Schaffung eines Europäischen Währungsfonds, der Kredite nur an Staaten vergibt, die sich zu „inneren Reformen“ verpflichten (Fürsprecher: Scholz) –, ist dabei nebensächlich. Solange uns neue Scheindebatten in Atem halten, wird nicht weiter auffallen, dass es den GroKo-Parteien um das Gleiche geht: ein möglichst deutsch geführtes Europa.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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