TV Schon immer wollte der Medienkonzern Springer die Öffentlich-Rechtlichen schlagen. Mit Flankenschutz der CDU und Hilfe von ProSieben/Sat1 könnte es bald soweit sein
Foto: [M.]: Johanna Goldmann für der Freitag, Material: Screenshots/Youtube
Axel Cäsar Springer wollte zeitlebens ins Fernseh-Geschäft. Für einen einzigen Sender, sagte Europas mächtigster Verleger 1961, würde er alle seine Blätter verkaufen. Die Presse habe ein Anrecht auf das Fernsehen, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk torpediere das. Springers Chefredakteure wurden angewiesen, Material über die Machenschaften des Rundfunks zu sammeln, eine eigens eingerichtete Stabsabteilung hatte die Aufgabe, Munition für Kampagnen zu liefern, mit denen man die Volkswut auf die „Staatssender“ entfachen könne. Springer war nie zimperlich, wenn es um seine Interessen ging. Als der Spiegel das Bubenstück 1967 aufdeckte, war’s erst mal vorbei mit dem Verlegerfernsehen.
Aber Springer gab nicht auf. Mal v
ab nicht auf. Mal versuchte er, eine Sendelizenz in Liechtenstein zu ergattern, um von dort aus in die Bundesrepublik senden zu können, mal forderte er die Auslieferung des ZDF an die Verleger. Er mobilisierte seine Lobbyisten in den Parlamenten, trieb die Gründung der „Fernsehgesellschaft Berliner Tageszeitungen“ voran und wollte die NDR-Tochter „Studio Hamburg“ kapern. Doch alle Versuche, einen Fuß in die Tür zu bekommen, scheiterten an uneinsichtigen Politikern, an den Anti-Springer-Kampagnen von Spiegel, Zeit und Stern und an den Protesten der 1968er. Erst nach dem Ende des „roten Jahrzehnts“ schöpfte er wieder Hoffnung. 1981 beteiligte er sich an der Gründung der „Aktuell Pressefernsehen GmbH“, aus der im Januar 1985 der erste kommerziell betriebene Privatsender Sat1 hervorging. Dafür verbündete sich Springer sogar mit dem dubiosen Filmrechtehändler Leo Kirch. Gemeinsam wollten sie der „Linkslastigkeit“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etwas entgegensetzen. Kanzler Helmut Kohl förderte Kirch, Springer setzte auf Franz Josef Strauß. Doch der Aufbau eines Fernsehsenders, der mit ARD und ZDF konkurrieren konnte, würde mehr Geld verschlingen, als Springer hatte. Es brauchte einen Gang an die Börse.Redaktion der LinkenfresserKurz darauf starb Axel Springer, und seine Erben waren erst mal überfordert. Statt des Alleinherrschers saßen jetzt Großaktionäre wie Kirch und Burda mit am Tisch und planten die feindliche Übernahme. Nur die Pleite Kirchs im Jahr 2002 verhinderte das. Der neue Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner und Haupterbin Friede Springer räumten das „Tollhaus Springer“ auf, entledigten sich des obersten Testamentsvollstreckers, erstickten alle Erbstreitigkeiten, kauften die Aktienmehrheit zurück und beschlossen, die TV-Pläne des Gründers wieder auf die Tagesordnung zu setzen. 2005 verkündeten sie, die Sendergruppe ProSieben/Sat1 für drei Milliarden Euro übernehmen zu wollen. Die Zeit fragte entsetzt: „Entsteht nach der Übernahme von ProSieben/Sat1 ein Medienkonzern, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch die Republik umkrempelt?“ Springer-Journalist Alan Posener keifte zurück: „Die angeblich seriöse Zeit vergleicht allen Ernstes Axel Springer mit Hitlers Steigbügelhalter Hugenberg; den Verteidiger der Republik mit dem Totengräber der Republik. (…) Das ist eine Beleidigung für jeden Journalisten, der bei Springer arbeitet oder gearbeitet hat.“Natürlich würde man sich bei Springer viel lieber mit den alten Berliner Zeitungshäusern Ullstein, Mosse und Scherl vergleichen, was auch gar nicht so abwegig erscheint, doch der Hugenberg-Vorwurf klebt an Springer seit seinen Anfängen. Warnungen vor dessen geballter Macht äußerten bereits britische Presseoffiziere während der Besatzungszeit, später liberale und konservative Publizisten wie Sebastian Haffner, Gerd Bucerius, Rudolf Augstein oder Golo Mann, und – natürlich! – linke Schriftsteller wie Heinrich Böll oder APO-Größen wie Rudi Dutschke. Man muss sich auch gar nicht wundern darüber, beschäftigte Springer doch mit Vorliebe rechte Eiferer und Linkenfresser als Chefredakteure und Kommentatoren, von Matthias Walden über Wilfried Hertz-Eichenrode, Winfried Martini und Armin Mohler bis zum Querfrontler Hans Zehrer. Als Berater und Aufseher fungierten ehemalige SS-Sturmbannführer wie Horst Mahnke und Paul Schmidt-Carell. Springer förderte den rechtslastigen ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal und den rechtsgerichteten Bund Freies Deutschland, einen Vorläufer der AfD. Das Springer-Motto „Seid nett zueinander!“ galt nur für den unpolitischen Bereich, politisch dominierten die Feindbilder: die Ostzone, die Entspannungspolitik, die Mitbestimmung, das „Regime Brandt/Scheel“, die Gammler und der SDS.Im Januar 2006 stoppte das Bundeskartellamt Springers Pläne, sich ProSieben/Sat1 einzuverleiben. Zu viel Marktmacht für einen, hieß es. Statt Springer kauften sich die US-Beteiligungsgesellschaften KKR und Permira bei Pro Sieben/Sat1 ein. Als dann auch noch das teure Engagement Springers beim Postdienstleister PIN Group in einem ökonomischen Desaster endete, musste man sich – wie es im Managementdeutsch heißt – „neu aufstellen“. Döpfner, ein begnadeter Schönredner vor dem Herrn, postulierte unter dem Eindruck des Erfolgs der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley einen „radikalen Wandel“. Er legte seine Manager-Krawatte ab und spielte nun den Game Changer, den Transformationsprediger, der das überlebte Traditionshaus Springer zum „führenden digitalen Medienunternehmen“ machen wollte, am besten gleich zum „Weltmarktführer für digitalen Journalismus“. 2013 kappte er die Wurzeln des Konzerns und verscherbelte fast alle Print-Titel an die Essener Funke-Gruppe. Es blieben Bild und Welt, an deren Markenkern allerlei Ableger, Start-up- und „Bewegtbild“-Projekte andockten. 2019 stieg „die Heuschrecke“ KKR auch bei Springer ein und sicherte sich fast die Hälfte der Anteile. Mit dieser „strategischen Partnerschaft“ glaubt Springer sich für den „Umbau“ gerüstet. Der Rückzug von der Börse soll den Wandlungsprozess noch beschleunigen. Als Döpfner am 6. Oktober das neue Springer-Hochhaus einweiht, sprechen viele bereits andächtig vom „gebauten Internet“.Und die TV-Pläne? Interessant ist, dass ProSieben/Sat1 und Springer einen ganz ähnlichen Transformationsprozess durchlaufen. Springer unterteilt sein Geschäft in drei Segmente: den publizistischen Bereich (News Media), die digitalen Rubrikenmärkte für Immobilien, Autos und Jobs (Classified Media) sowie die Marketingsparte, die Unternehmen bei der Vermarktung hilft. In gleicher Weise verfährt ProSieben/Sat1: Neben dem Infotainment (News Media) existieren Verbraucherberatung und Partnervermittlung (Consumer Focused) und digitale Dienstleistungen für Dritte. „Wir sprechen nicht vom digitalen Wandel“, heißt es, „wir leben ihn, (…) um ProSieben/Sat1 zu einem diversifizierten Digital-Konzern zu machen. We are Game Changers.“Doch Springer und ProSieben/Sat1 leiden auch unter den gleichen Problemen. Bei beiden verschieben sich die Gewichte von klassischen journalistischen Inhalten zu Handel und Dienstleistung. Die Grenzen zwischen Werbung und Journalismus verwischen, Inhalte werden oft nur produziert, um Produkte zu bewerben. Umsatztreiber sind die Rubrikenmärkte, während klassische Medien Verluste schreiben. Der entstehende Kostendruck bei wachsender Verschuldung führt zu verschärfter Konkurrenz – oder zu Fusionsfantasien.Vorbild Rupert MurdochDenn Verbindungen gibt es seit Langem. Anfangs lieferte Springer die Nachrichten für Sat1, später für ProSieben/Sat1. Heute erledigt das die Welt-Gruppe, die den Sender N24 von ProSieben/Sat1 übernommen hat. Claus Strunz, Lieferant des Sat1-Frühstücksfernsehens, wechselt im Januar in die Bild-Chefredaktion und ist dort für Bewegtbildinhalte zuständig. Zwar wollen beide Konzerne ihre „Newsrooms“ stärken, doch dieser „Wettlauf“ könnte auch eine Fusion anbahnen. Gemeinsames Vorbild dürfte Rupert Murdochs Fox Corporation sein, die neben Sport und lokaler Berichterstattung jenen berüchtigten News Channel betreibt, der als Tea-Party-Sender, Irak-Kriegstreiber, Trump-Lautsprecher und Covid-Verharmloser Furore machte und mit parteiischer Krawallstrategie zum meistgesehenen Nachrichtenkanal in den USA wurde. Aber kann man sich – nach Trumps Abwahl! – einen Kampfsender vom Format der Bild-Zeitung, moderiert von Chefredakteur Julian Reichelt, beim Unterhaltungssender ProSieben/Sat1 vorstellen? Sicher ist, dass beide Konzerne unter gewaltigem Zugzwang stehen, seit sich der deutsche und europäische Konzentrationsprozess angesichts der digitalen US-Übermacht beschleunigt.Will Springer eines Tages mit den öffentlich-rechtlichen Sendern konkurrieren, muss der Konzern expandieren. Eine Fusion aus ProSieben/Sat1 und Springer würde zumindest vom Umsatz her an ARD & Co heranreichen. Springer könnte, wenn die Union den etwa in Sachsen-Anhalt angekündigten Flankenschutz durchhält, das „Linkskartell“ endlich herausfordern.Doch auch andere Konzerne haben ein Auge auf ProSieben/Sat1 geworfen. Silvio Berlusconis Mediaset wurde 2019 Mitgesellschafter und hat seinen Anteil inzwischen auf 24,2 Prozent erhöht. KKR ist nach dem Ausstieg vor sechs Jahren wieder eingestiegen. Ebenfalls dabei: der tschechische Medientycoon Daniel Křetínský. Doch die „Europäische Medienallianz“, die 2014 von zwölf europäischen TV-Konzernen zur Abwehr der US-Giganten gegründet wurde, kommt nicht vom Fleck, zu unterschiedlich die Interessen der Beteiligten.Bleibt die Frage: Was will KKR? Medienkenner wie Kai-Hinrich Renner glauben, der Deal mit Springer laufe darauf hinaus, dass KKR die lukrative Rubrikensparte übernimmt, aufhübscht und an der Börse zu Geld macht, während Springer den publizistischen Teil in eine Stiftung einbringt, die sich aus den Gewinnen der Rubrikenmärkte finanziert. Dafür spricht, dass der langjährige Springer-Manager Andreas Wiele nach 20 Dienstjahren bei KKR anheuerte. Dafür spricht, dass es für beide nach einer Win-win-Situation aussieht. Doch KKR könnte auch andere Pläne haben – nämlich als trojanisches Pferd der US-Giganten den europäischen Markt für Übernahmen oder Ableger vorzubereiten. Seit einigen Jahren kauft KKR gezielt in Europa ein. Fred Kogel, vormals Chef bei Constantin Film und TV-Produzent (Wetten,dass ..?, Harald Schmidt Show), baut für KKR ein paneuropäisches Filmstudio namens „Leonine“ auf. Eine Partnerschaft mit Springer sei denkbar. Internationale Plattformen bräuchten für ihre Kundschaft passgenaue nationale Inhalte. KKR könnte den Weg dafür ebnen. Dann wäre Springer am Ende nur der Spielball für Google, Amazon oder Netflix. Und Döpfner ein nützlicher Idiot in einer Welt, in der missionarische Verlegergrößen keinen Platz mehr haben.Axel Cäsar schien das früh zu spüren. Manchmal hatte er die Nase so voll, dass er den ganzen Schamott verkaufen wollte, 1969 an Bertelsmann, 1981 an Burda. Vielleicht hätte er es tun sollen.Placeholder infobox-1
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