Fürchtet euch nicht

CDU Annegret Kramp-Karrenbauer geht. Rückt die Union nun mit Friedrich Merz nach rechts? Für Progressive würde das durchaus Vorteile bieten
Ausgabe 07/2020
Im Schatten von Kramp-Karrenbauer: Die nächsten Konservativen planen seit Monaten ihren Weg an die Spitze der CDU
Im Schatten von Kramp-Karrenbauer: Die nächsten Konservativen planen seit Monaten ihren Weg an die Spitze der CDU

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte. Fünf Tage vor der Ankündigung Annegret Kramp-Karrenbauers, sie werde den CDU-Vorsitz aufgeben und ihre Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur begraben, gab es noch eine Rücktrittsankündigung. Am 5. Februar erklärte Kramp-Karrenbauers Rivale Friedrich Merz, er habe sich entschlossen, sein Mandat als Aufsichtsratsvorsitzender des US-Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland zum 31. März aufzugeben, um die CDU „bei ihrer Erneuerung noch stärker“ unterstützen zu können.

Merz’ Ankündigung erfolgte nur drei Stunden nach Thomas Kemmerichs überraschender Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen. Noch am selben Abend saß Friedrich Merz wie bestellt in der Talkshow von ZDF-Moderator Markus Lanz, um sich als Retter und Kanzlerkandidat der CDU gehörig in Szene zu setzen. Ausführlich legte er dar, wie er als CDU-Vorsitzender die Krise in Thüringen gemanagt hätte. Und Lanz fragte, ob Merz seine Kanzlerkandidatur nicht endlich anmelden wolle.

Dieses Timing war so wenig Zufall, wie Christian Lindners FDP-Coup in Thüringen ein bedauerlicher Unfall war. Kramp-Karrenbauer musste einsehen, dass die Merz-Anhänger in den Wirtschafts-, Medien- und Politikeliten von nun an keine Ruhe mehr geben würden. Sie kapitulierte.

Merkels Plan verhindern

Was haben Friedrich Merz und Christian Lindner vor? Sie wollen gemeinsam verhindern, dass der „irre Plan“ von Angela Merkel aufgeht. Die Kanzlerin, die 18 Jahre lang Parteivorsitzende war, möchte ihr Erbe, die umfassende Modernisierung und Öffnung der Volkspartei CDU, unumkehrbar machen, bevor sie in Rente geht. Um dies zu erreichen, will sie die CDU 2021 in eine schwarz-grüne Koalition bugsieren. Nach der „Sozialdemokratisierung“ in den Jahren der Großen Koalition soll nun eine sanfte „Begrünung“ die CDU in der Mitte halten und gegen rechte Abenteuer immunisieren.

Doch mit dem plötzlichen Abgang der ebenso glücklosen wie führungsschwachen Merkel-Nachfolgerin droht diese Strategie zu scheitern. Denn Annegret Kramp-Karrenbauer hat, wie der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans zutreffend analysierte, mit ihrer Taktiererei „den rechten Kräften in der Partei erst den Raum gelassen, der die akute Krise der CDU heraufbeschworen hat“.

Ausgelöst wurde die Krise vom Erfolg der AfD bei den ostdeutschen Landtagswahlen 2019, doch sie verschärfte sich massiv vor allem dadurch, dass die seit Ende 2018 in Umfragen stabil über 20 Prozent liegenden Grünen die Ängste konservativer Kreise vor einer „Öko-Diktatur“ zu einer Art Hysterie verstärkten. Werden die Bundesbürger nach 2021 noch Fleisch essen und Auto fahren dürfen? Im derzeitigen Hamburger Wahlkampf ist zu beobachten, wie hanseatische Pfeffersäcke und lokale SPD-Strategen gemeinsam gegen die „Machtübernahme“ der Grünen Stimmung machen. Denn in konservativen Kreisen der mittelständischen Wirtschaft hat man die Sorge, durch hohe Ökosteuern und allerlei bürokratische Auflagen gegenüber „Asien“ nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Merz und Lindner reiten besonders gern auf diesem Thema herum. Die ungeniert kapitalfreundliche Politik Donald Trumps und Boris Johnsons zeige ja, dass es ohne allzu viel Öko- und Sozialklimbim funktioniere. Eine „Germany First“-Politik findet auch in der CDU allmählich Anklang.

Laschet wäre umgänglicher

Der beginnende Richtungskampf um Vorsitz und Kanzlerkandidatur hat deshalb zuallererst Auswirkungen auf die Grünen. Sie werden mit einem Friedrich Merz, der im Klimaschutz sofort die linke „Systemkritik“ wittert und Atomkraft als Zukunftsenergie preist, nicht ganz so reibungslos koalieren können wie mit dem umgänglicheren Armin Laschet. Mit Merz und Lindner würde es doppelt schwer.

Für die Linke und die SPD hat das durchaus Vorteile. Auch wenn sich beide Parteien derzeit vor einem Rechtsruck der CDU unter Merz „fürchten“ und den „Dammbruch“ nach rechts beschwören – mit Merz als Gegner kämen sie einer grün-rot-roten Koalition im Bund einen großen Schritt näher.

Denn strikt konservativ ausgerichtete Parteien haben in Deutschland schon seit 1918 keine durchschlagenden Erfolge mehr. Weder die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik noch die konservative Deutsche Partei (DP) in den 1950er Jahren konnten sich lange halten. Sie zersplitterten nach wenigen Jahren und drifteten in die rechtsextreme Szene ab. Die Werteunion um Alexander Mitsch und Hans-Georg Maaßen könnte einen ähnlichen Weg gehen. Die Merkel-CDU war und ist dagegen gefeit. Jetzt müssen Merz und Lindner daran gehindert werden, die politischen Dummheiten der Konservativen zu wiederholen.

Doch eine solche Auseinandersetzung werden Grüne, Linke und SPD nur gewinnen, wenn sie nicht immer nur den schlimmstmöglichen Ausgang befürchten und panisch auf Zusammenhalt pochen. Sie müssen auch bereit sein, in die Offensive zu gehen. Die Verteidigung der Großen Koalition in allen Ehren, das unverdrossene Werben Bodo Ramelows um CDU und FDP ist heldenhaft, aber es wird so wenig bringen wie die weltfremde Hoffnung Kramp-Karrenbauers, sie könne den Prozess der Kanzlerkandidaten- und Vorsitzendenwahl noch irgendwie „von vorne“ steuern und bis zum Parteitag im Dezember aufschieben. Die GroKo ist klinisch tot, und AKK ist eine „lame duck“. Der Bundestagswahlkampf hat am 5. Februar in Erfurt begonnen.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

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