Haltung statt Häme

Öffentlichkeit Die politischen Debatten der Gegenwart unterscheiden sich zuweilen nur wenig von den Arenen des Römischen Reiches
Ausgabe 34/2020
Daumen hoch – Kandidat super, Daumen runter – Kandidat wird den Raubkatzen zum Fraß vorgeworfen. Die moderne Öffentlichkeit funktioniert genau wie die antike Arena
Daumen hoch – Kandidat super, Daumen runter – Kandidat wird den Raubkatzen zum Fraß vorgeworfen. Die moderne Öffentlichkeit funktioniert genau wie die antike Arena

Foto: Imago Images/Leemage

Die Kaiser des Römischen Reiches unterhielten das Volk in den Krisenjahren gern mit Gladiatorenkämpfen. So konnte der Alltagsfrust abgebaut und ein wenig umgelenkt werden. In den Arenen testeten die Herrschenden die Stimmung – heute macht dies Infratest dimap. Hatten die Zuschauer schlechte Laune oder bekamen sie nicht geboten, was sie erwarteten, senkte der Kaiser den Daumen und die unterlegenen Gladiatoren wurden ausgebuht und öffentlich hingerichtet. Heute erledigen das Shitstorms und Cancel Cultures. War das Volk aber zufrieden, gab es Likes vom Kaiser und neue Follower für die Gladiatoren. Zwischen Daumen hoch und Daumen runter existierte nichts Drittes. Es gab nur Entweder-Oder.

Manches an den heutigen Schaukämpfen läuft nach einem ähnlichen Muster ab, egal ob es dabei um Kanzlerkandidaten, Künstler oder Virologen geht. Es gibt nur Top oder Flop, Versager oder Macher, Freund oder Feind. Galt Armin Laschet, der Teamplayer, anfangs als besonders clever, war er kurz darauf schon „Laschet, die Lusche“. Konnte der Heilsbringer Markus Söder zu Beginn der Coronakrise über Wasser laufen, war er nach „seiner“ Testpanne nur noch ein aufgeblasener Gernegroß. Olaf Scholz und Joe Biden sind die nächsten, die als Lichtgestalten in den Kampf ziehen. Doch ein unbedachter Satz, eine falsche Zahl – und ihre Zustimmungswerte stürzen ab. Schuld daran, so heißt es, sei eine um sich greifende Differenzierungsunlust. Kommt eine coronabedingte Gereiztheit hinzu, wird’s schnell persönlich, launisch und rüpelhaft.

Das Auf und Ab zwischen Hochjubeln und Niederkartätschen, großer Heilserwartung und tiefer Enttäuschung wird von Politik und Medien nicht etwa gebremst, sondern zusätzlich befeuert, indem alles, wirklich alles, auf Personen reduziert wird. Das gipfelt in der ängstlich-autoritären Dauerfrage an die Kandidaten: „Kann der Krise?“ Die moderne Öffentlichkeit funktioniert genau wie die antike Arena.

Bis hierhin könnte dieser Kommentar in jedem bürgerlichen Feuilleton stehen: Elegischer Kulturpessimismus, verächtliche Ablehnung von Masse und Pöbel, das war schon immer das Kennzeichen und die Gebetsmühle der Konservativen. „Die allgemeine Nivellierung und Vulgarisierung des Stils“, schrieb der ehemalige Welt-Chefredakteur Hans Zehrer Jahrzehnte vor Erfindung des bösen Internets, „ist das vornehmste Zeichen der heutigen Zeit“. Doch vielleicht ist das nur vornehmer Quatsch und war immer schon Bullshit. Vielleicht ist „die Launenhaftigkeit des Volkes“ hinsichtlich der Beurteilung von Personen nur die Folge einer sich zuspitzenden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Jedenfalls sollten wir nicht vorschnell die Nase rümpfen über „die neue Ruppigkeit“, das wirre Auf und Ab, „das Unbehagen in der Kultur“ und die schnelle Bereitschaft, alles zu „canceln“ oder zu brandmarken, was einem nicht passt.

Besser wäre es, zu versuchen, was Peter Glotz, der einstige Generalsekretär der SPD, 1987 in einem Buch „die Arbeit der Zuspitzung“ nannte. Statt die Launenhaftigkeit, die Ruppigkeit, die überspannten Erwartungshaltungen und die übergroße Enttäuschungsbereitschaft der Menschen weiter zu nähren, indem man sie bestärkt oder verächtlich missbilligt, käme es darauf an, diese Haltungen als Krisenerscheinungen bewusst und damit produktiv zu machen. Schließlich lautet der Untertitel des Glotz-Buchs ganz nüchtern: „Über die Organisation einer regierungsfähigen Linken“.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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