Nepotismus und Günstlingswirtschaft hat es immer gegeben. Warum das so ist, kann man der Abhandlung Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates von Friedrich Engels entnehmen. Die Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens von den ersten Stammesgesellschaften (den Gentes) bis zum bürgerlichen Staat brachte es mit sich, die eigene Verwandtschaft mit guten Jobs zu versorgen.
Dass wir uns immer wieder über dieses Phänomen aufregen können, verdanken wir der Erfindung der Massenmedien. Interessant an deren Rolle ist aber nicht, dass sie Vetternwirtschaft gnadenlos und unparteiisch aufdecken und verdammen, interessant ist, wie verschieden sie mit „Skandalen“ umgehen. Machen sie einen Fall von Nepotismus groß auf, im Sinne einer politisc
inne einer politischen Kampagne („Der Graichen-Clan“) oder verbuchen sie das aufgedeckte Amigo-Gebaren („Maskendeals“ zu Beginn der Pandemie) unter ferner liefen? Der Grad der Empörung ist abhängig von der Menge der Berichte, ihrem Tonfall und der medialen Gewichtung. Kleingedrucktes löst wenig Empörung aus.Umgedrehte TürsteherNatürlich feiern sich Journalisten am liebsten als unentbehrliche Kontrolleure der Macht, als systemrelevante Teile der kritischen Infrastruktur. Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt eröffnet seine „Meinungsshow“ regelmäßig mit der dreisten Behauptung, sein Youtube-Kanal sei „der härteste und schärfste Widersacher von Scheinheiligkeit und Heuchelei in der Politik“.Das ist natürlich albern. Medien sind sehr viel weniger Kontrolleure der Macht als deren dienstbare Gatekeeper. Sie fungieren wie „umgedrehte“ Türsteher. Denn sie entscheiden, wer in der Medienhölle schmoren muss und wer – aus welchen Gründen auch immer – verschont wird und draußen bleiben darf. Sie handeln also genauso interessengeleitet wie jene, deren Günstlingswirtschaft sie sittenstreng kritisieren. Mit einem wesentlichen Unterschied: Über Seilschaften im Medienbetrieb hört und liest man eher selten.Redenschreiberin für Pistorius„In der Zeitung nichts über die Zeitung!“ Das war bereits der Grundsatz der Presseverleger des 19. Jahrhunderts. Es soll gefälligst unter der Decke bleiben, wenn Vettern- oder Freunderlwirtschaft im eigenen Haus vorkommt. Wenn etwa Politikjournalisten mit Parteigrößen zum gegenseitigen Vorteil verbandelt sind oder Verwandte von Politikjournalisten für Regierungsmitglieder arbeiten. So wurde im Spiegel zwar scharf kritisiert, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Sohn im Regierungsflieger mitgenommen hat, aber schamhaft verschwiegen, dass die Tochter des Spiegel-Reporters, der Verteidigungsminister Boris Pistorius in einer Titelgeschichte schwärmerisch porträtierte („Minister Perfect“), als Redenschreiberin für diesen Minister tätig ist.Im Springer-Konzern wurde „Habecks Graichen-Clan“ wochenlang rauf und runter skandalisiert, aber die beiden Ehen des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit Springer-Journalistinnen finden dort kaum Erwähnung – höchstens mal in der Klatschkolumne irgendeiner Gräfin.Darauf angesprochen, reagieren Medienverantwortliche meist gekränkt und flüchten sich in allerlei „Erklärungen“. Die Berichterstattung über private Beziehungen und die Arbeit der Journalistinnen hätten nichts miteinander zu tun. Wenn eine Chefredakteurin der Welt dem FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs „ironische“ Styling-Tipps im eigenen Blatt gibt, dann sei doch völlig unerheblich, ob die beiden miteinander verheiratet sind. Muss man das wirklich extra erwähnen? Der Presserat meinte: Ja.